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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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schein nach anch. Wenigstens glauben die Teufel ihre Arbeit vollbracht zu
haben. Sie stimmen im fünften Akte Triumphlieder an. Da aber unterbricht
sie ein Engel und ruft ihnen zu: Triumphirt nicht, ihr habt nicht über
Menschheit und Wissenschaft gesiegt. Die Gottheit ha-t dem Menschen nicht
den edelsten der Triebe gegeben, um ihn ewig unglücklich zu machen. Was ihr
sahet und jetzt zu besitzen glaubt, war nichts als ein Phantom.

So weit v. Blankenburg nach seiner Erinnerung. Genaueres konnte der
Bruder des Dichters 1786 im zweiten Theile des "Theatralischen Nachlasses"
nach Mittheilungen des berliner Professors Engel veröffentlichen, der sogar
die erste Scene des Stückes aus dem Gedächtniß wiedergab, so gut er's ver¬
mochte. Der erste der Unterteufel, der hier über seine Leistungen berichtet,
hat einem frommen Armen die Hütte über dem Kopfe verbrannt, der zweite
eine Flotte mit Wucherern scheitern lassen, der dritte eine noch unberührte
Schönheit auf dem Weg der Verführung gebracht. Der Meister ist mit ihnen
allen bis auf den dritten unzufrieden. Aber dieser wird vom vierten, der auf
den wahrheitsdurstigen Faust hinweist und zeigt, wie vortheilhaft für die Hölle
es sein würde, wenn man Gott diesen Liebling rauben und verhindern könnte,
daß er ein Lehrer der Menschheit würde, weit überboten. Der Satan be¬
schließt, Faust bei seiner Wißbegierde zu fassen, er bricht zu diesem Zwecke
mit der ganzen Versammlung ans und ist bei den Hilfsmitteln, die ihm
seine Macht und Lift an die Hand geben, des Erfolges völlig sicher. Aber
der Engel der Vorsehung, der unsichtbar über der Kirchenruine geschwebt hat,
in der die Teufel ihren Konvent hielten, verkündet uns im voraus die Frucht¬
losigkeit des Unternehmens. Im weiteren Verlauf versenkt der Engel Faust
in einen tiefen Schlaf und erschafft an seiner Stelle ein Phantom, mit welchem
die Teufel dann ihr Spiel treiben, bis es in dem Augenblicke, wo sie sich seiner
versichern wollen, verschwindet. Alles, was mit diesem Scheinsaust vorgeht,
ist Traumgesicht für den wirklichen, dieser erwacht, als die bösen Geister sich
bereits voll Scham und Wuth entfernt haben, dankt der Vorsehung für die
ihm ertheilte Warnung und ist jetzt fester in der Wahrheit und Tugend als
je vorher.

Endlich befindet sich in der königlichen Bibliothek zu Berlin der Entwurf
zu diesem Faust von Lessings Hand selbst, der aus dem Nachlasse v. Meuse-
bachs stammt und in Betreff des Inhalts seines Vorspieles den Angaben
Engels ähnelt. Wir sind in der Mitternachtsstunde in einem alten Dom, auf
dessen Altären die versammelten Teufel sitzen. Beelzebub verhört mehrere von
ihm ausgesandte Untergebene über ihre Verrichtungen. Einer hat eine Stadt
in Brand gesteckt, ein anderer eine ganze Flotte im Sturm begraben, ein dritter
rühmt sich, einen Heiligen zum Trunke und in der Trunkenheit zu Ehebruch


schein nach anch. Wenigstens glauben die Teufel ihre Arbeit vollbracht zu
haben. Sie stimmen im fünften Akte Triumphlieder an. Da aber unterbricht
sie ein Engel und ruft ihnen zu: Triumphirt nicht, ihr habt nicht über
Menschheit und Wissenschaft gesiegt. Die Gottheit ha-t dem Menschen nicht
den edelsten der Triebe gegeben, um ihn ewig unglücklich zu machen. Was ihr
sahet und jetzt zu besitzen glaubt, war nichts als ein Phantom.

So weit v. Blankenburg nach seiner Erinnerung. Genaueres konnte der
Bruder des Dichters 1786 im zweiten Theile des „Theatralischen Nachlasses"
nach Mittheilungen des berliner Professors Engel veröffentlichen, der sogar
die erste Scene des Stückes aus dem Gedächtniß wiedergab, so gut er's ver¬
mochte. Der erste der Unterteufel, der hier über seine Leistungen berichtet,
hat einem frommen Armen die Hütte über dem Kopfe verbrannt, der zweite
eine Flotte mit Wucherern scheitern lassen, der dritte eine noch unberührte
Schönheit auf dem Weg der Verführung gebracht. Der Meister ist mit ihnen
allen bis auf den dritten unzufrieden. Aber dieser wird vom vierten, der auf
den wahrheitsdurstigen Faust hinweist und zeigt, wie vortheilhaft für die Hölle
es sein würde, wenn man Gott diesen Liebling rauben und verhindern könnte,
daß er ein Lehrer der Menschheit würde, weit überboten. Der Satan be¬
schließt, Faust bei seiner Wißbegierde zu fassen, er bricht zu diesem Zwecke
mit der ganzen Versammlung ans und ist bei den Hilfsmitteln, die ihm
seine Macht und Lift an die Hand geben, des Erfolges völlig sicher. Aber
der Engel der Vorsehung, der unsichtbar über der Kirchenruine geschwebt hat,
in der die Teufel ihren Konvent hielten, verkündet uns im voraus die Frucht¬
losigkeit des Unternehmens. Im weiteren Verlauf versenkt der Engel Faust
in einen tiefen Schlaf und erschafft an seiner Stelle ein Phantom, mit welchem
die Teufel dann ihr Spiel treiben, bis es in dem Augenblicke, wo sie sich seiner
versichern wollen, verschwindet. Alles, was mit diesem Scheinsaust vorgeht,
ist Traumgesicht für den wirklichen, dieser erwacht, als die bösen Geister sich
bereits voll Scham und Wuth entfernt haben, dankt der Vorsehung für die
ihm ertheilte Warnung und ist jetzt fester in der Wahrheit und Tugend als
je vorher.

Endlich befindet sich in der königlichen Bibliothek zu Berlin der Entwurf
zu diesem Faust von Lessings Hand selbst, der aus dem Nachlasse v. Meuse-
bachs stammt und in Betreff des Inhalts seines Vorspieles den Angaben
Engels ähnelt. Wir sind in der Mitternachtsstunde in einem alten Dom, auf
dessen Altären die versammelten Teufel sitzen. Beelzebub verhört mehrere von
ihm ausgesandte Untergebene über ihre Verrichtungen. Einer hat eine Stadt
in Brand gesteckt, ein anderer eine ganze Flotte im Sturm begraben, ein dritter
rühmt sich, einen Heiligen zum Trunke und in der Trunkenheit zu Ehebruch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/451>, abgerufen am 23.07.2024.