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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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hat für Lasters Handlungsweise den richtigen Ausdruck gefunden, indem er sie
als Sentimentalität bezeichnete. Die Kundgebung macht dem Herzen Lasters
alle Ehre, als Akt eines politischen Führers aber kann und darf sie nicht be¬
trachtet werden. Jeder Freund des Vaterlandes wünscht den kirchlichen Frieden,
aber unerläßliche Vorbedingung ist die Anerkennung der Souveränetät des
Staates durch die Kirche. Wenn die Koryphäen des Centrums diese Souve¬
ränetät wochenlang verhöhnen und schließlich eine Große zweiten Ranges in
beweglichen Worten von Versöhnung spricht, so ist das eine leere Redensart
und muß als solche behandelt werden.

Bon den Thaten des Landtages ist aus der letzte" Woche nicht viel mehr
Zu berichten. Die Berlin-Dresdener Bahn hat noch einmal die Situation be¬
herrscht. Mit schwacher Majorität ist die Vorlage im Abgeordnetenhause, mit
ziemlich beträchtlicher im Herrenhause angenommen werden. Es ist gesagt
worden, dies Resultat habe die Regierung lediglich dein Konflikte mit Sachsen
zu danken; viele prinzipielle Gegner des Gesetzes hätten sie hier nicht im Stich
lassen mögen. Wir wollen annehmen, daß dem nicht so ist. Seitdem jener
Streit vor dem Bundesrathe anhängig gemacht worden, durften für die Beur¬
theilung der Vorlage im Landtage lediglich die in der Sache selbst liegenden
Gesichtspunkte maßgebend sein. Unserer Ansicht nach spitzte sich die Frage, ob-
schon hervorragende Befürworter des Reichseisenbahnprojekts wie Laster und
Löwe gegen den Entwurf gestimmt haben, auf die Alternative zu, ob Reichs¬
bahnen oder nicht. Hauptsächlich aus diesen: Grnnde wäre es hoch bedauer¬
lich gewesen, wenn der Landtag diesmal einen den vorjährigen paralysirenden
Beschluß gefaßt hätte.

Mit gehobenem Herzen wird schwerlich Jemand auf die abgelaufene
Session zurückblicken. Das Beste, was sie hätte liefern können, die Gesetze
über die Unterbringung verwahrloster Kinder und über die Befähigung zum
höheren Verwaltungsdienst, ist unerledigt geblieben. Ju der die ganze Session
beherrschenden Etatsberathung sind die wirklich sachlichen und ersprießlichen
Anregungen durch den Alles überwuchernden Kulturkampf aufs traurigste ver¬
kümmert worden. Ueber das, was der neu gewählte Landtag in großen Dingen
zu leisten im Stande ist, hat sich keinerlei Urtheil gewinnen lassen. Er wird
also seine Probe erst im nächsten Herbst, wo die umfassendsten Organisations¬
fra X- ?- gen an ihn herantreten, zu bestehen haben.




hat für Lasters Handlungsweise den richtigen Ausdruck gefunden, indem er sie
als Sentimentalität bezeichnete. Die Kundgebung macht dem Herzen Lasters
alle Ehre, als Akt eines politischen Führers aber kann und darf sie nicht be¬
trachtet werden. Jeder Freund des Vaterlandes wünscht den kirchlichen Frieden,
aber unerläßliche Vorbedingung ist die Anerkennung der Souveränetät des
Staates durch die Kirche. Wenn die Koryphäen des Centrums diese Souve¬
ränetät wochenlang verhöhnen und schließlich eine Große zweiten Ranges in
beweglichen Worten von Versöhnung spricht, so ist das eine leere Redensart
und muß als solche behandelt werden.

Bon den Thaten des Landtages ist aus der letzte» Woche nicht viel mehr
Zu berichten. Die Berlin-Dresdener Bahn hat noch einmal die Situation be¬
herrscht. Mit schwacher Majorität ist die Vorlage im Abgeordnetenhause, mit
ziemlich beträchtlicher im Herrenhause angenommen werden. Es ist gesagt
worden, dies Resultat habe die Regierung lediglich dein Konflikte mit Sachsen
zu danken; viele prinzipielle Gegner des Gesetzes hätten sie hier nicht im Stich
lassen mögen. Wir wollen annehmen, daß dem nicht so ist. Seitdem jener
Streit vor dem Bundesrathe anhängig gemacht worden, durften für die Beur¬
theilung der Vorlage im Landtage lediglich die in der Sache selbst liegenden
Gesichtspunkte maßgebend sein. Unserer Ansicht nach spitzte sich die Frage, ob-
schon hervorragende Befürworter des Reichseisenbahnprojekts wie Laster und
Löwe gegen den Entwurf gestimmt haben, auf die Alternative zu, ob Reichs¬
bahnen oder nicht. Hauptsächlich aus diesen: Grnnde wäre es hoch bedauer¬
lich gewesen, wenn der Landtag diesmal einen den vorjährigen paralysirenden
Beschluß gefaßt hätte.

Mit gehobenem Herzen wird schwerlich Jemand auf die abgelaufene
Session zurückblicken. Das Beste, was sie hätte liefern können, die Gesetze
über die Unterbringung verwahrloster Kinder und über die Befähigung zum
höheren Verwaltungsdienst, ist unerledigt geblieben. Ju der die ganze Session
beherrschenden Etatsberathung sind die wirklich sachlichen und ersprießlichen
Anregungen durch den Alles überwuchernden Kulturkampf aufs traurigste ver¬
kümmert worden. Ueber das, was der neu gewählte Landtag in großen Dingen
zu leisten im Stande ist, hat sich keinerlei Urtheil gewinnen lassen. Er wird
also seine Probe erst im nächsten Herbst, wo die umfassendsten Organisations¬
fra X- ?- gen an ihn herantreten, zu bestehen haben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/445>, abgerufen am 23.07.2024.