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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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bracht werden müssen; nur im Zusammenhange mit derselben wird es ganz
seine Schuldigkeit thun können.

Die Parteiformation des Reichstags hat in der letzten Woche an Klarheit
gewonnen. Der Versuch, in die geplante "große" Partei der "deutschen Kon¬
servativen" auch die deutsche Reichspartei hereinzuziehen, ist gescheitert; von
vorne herein konnte niemand annehmen, daß Männer wie Graf Bethusy-Huc,
Lucius u. s. w. in derselben Fraktion mit den Kleist-Retzow und Nathusius-
Ludom Platz nehmen würden. Hinterher wird denn auch von den Deutsch¬
konservativen in Abrede gestellt, daß mau an eine Verschmelzung beider
Fraktionen gedacht habe; man habe nur ein freundnachbarliches Verhältniß an¬
bahnen wollen. Es bleibt nun abzuwarten, wie die vierzig Mann starke
Partei der "deutschen Konservativen" sich zur Reichspolitik stellen wird. Wenn
die oben erwähnte Predigt von der prinzipiellen Umkehr nicht ein Privatver¬
vergnügen des Herrn Ackermann, sondern ein Ausfluß der Gesammtstimmung
der Fraktion war, so ist wenig Aussicht vorhanden, daß an ihr ein Bestandtheil
einer zuverlässigen Majorität gewonnen werde. Mit ehrlichen Konservativen
wird die größte Partei des Reichstags, die nationalliberale, in vielen Fragen
zusammengehen können, mit Reaktionären nimmermehr.

Mit dem letzten Tage der Woche hat die diesmalige Session des preußi¬
schen Landtages ihr Ende erreicht. Nach dem langweiligen Kulturkampflärm
hatte das Centrum der Welt zum Schluß eine kleine Ueberraschung zugedacht.
Im letzten Augenblicke der endlosen Etatsberathnng begann man plötzlich, von
Frieden und Versöhnung zu reden. Am Tag zuvor hatte Herr von Schorlemer
von den dunkeln Schatten gesprochen, welche der kirchenpolitische Kampf auf
das Verhältniß zwischen Volk und Dynastie geworfen haben soll. Man muß
gestehen, frappanter konnte der Kontrast nicht sein. Dennoch war die elegisch¬
patriotische Versöhnungsmahnnng nicht nen in der ultramontanen Rhetorik,
wenn sie much niemals mit solcher Prägnanz zur Anwendung gebracht wurde.
Der Zweck dieser Variation dünkt uns leicht zu errathen. Nach all deu
Maßlosigkeiten, mit welchen man die Masse der katholischen Bevölkerung auf¬
zureizen versucht hatte, wollte man jetzt dem Vorwurf begegnen, daß mau
immer nur Streit suche, niemals sich entgegenkommend zeige. "Seht da", so
wollte man vor dem Lande ausrufen, "trotz all deu Mißhandlungen, die wir
in deu letzten Wochen aufgedeckt haben , bieten wir doch die Hand zur Ver¬
söhnung. Auf die Gegner also alle Schuld, wenn der Friede nicht zurück¬
kehrt!" Daß im Abgeordnetenhause die angebliche Versöhnungshand,
statt in ihrer wahren Bedeutung gekennzeichnet zu werden, von einem hervor¬
ragenden Mitgliede der nationalliberalen Partei mit loyalster Wärme er¬
griffen wurde, wird das Centrum selbst uicht wenig überrascht haben. Virchow


bracht werden müssen; nur im Zusammenhange mit derselben wird es ganz
seine Schuldigkeit thun können.

Die Parteiformation des Reichstags hat in der letzten Woche an Klarheit
gewonnen. Der Versuch, in die geplante „große" Partei der „deutschen Kon¬
servativen" auch die deutsche Reichspartei hereinzuziehen, ist gescheitert; von
vorne herein konnte niemand annehmen, daß Männer wie Graf Bethusy-Huc,
Lucius u. s. w. in derselben Fraktion mit den Kleist-Retzow und Nathusius-
Ludom Platz nehmen würden. Hinterher wird denn auch von den Deutsch¬
konservativen in Abrede gestellt, daß mau an eine Verschmelzung beider
Fraktionen gedacht habe; man habe nur ein freundnachbarliches Verhältniß an¬
bahnen wollen. Es bleibt nun abzuwarten, wie die vierzig Mann starke
Partei der „deutschen Konservativen" sich zur Reichspolitik stellen wird. Wenn
die oben erwähnte Predigt von der prinzipiellen Umkehr nicht ein Privatver¬
vergnügen des Herrn Ackermann, sondern ein Ausfluß der Gesammtstimmung
der Fraktion war, so ist wenig Aussicht vorhanden, daß an ihr ein Bestandtheil
einer zuverlässigen Majorität gewonnen werde. Mit ehrlichen Konservativen
wird die größte Partei des Reichstags, die nationalliberale, in vielen Fragen
zusammengehen können, mit Reaktionären nimmermehr.

Mit dem letzten Tage der Woche hat die diesmalige Session des preußi¬
schen Landtages ihr Ende erreicht. Nach dem langweiligen Kulturkampflärm
hatte das Centrum der Welt zum Schluß eine kleine Ueberraschung zugedacht.
Im letzten Augenblicke der endlosen Etatsberathnng begann man plötzlich, von
Frieden und Versöhnung zu reden. Am Tag zuvor hatte Herr von Schorlemer
von den dunkeln Schatten gesprochen, welche der kirchenpolitische Kampf auf
das Verhältniß zwischen Volk und Dynastie geworfen haben soll. Man muß
gestehen, frappanter konnte der Kontrast nicht sein. Dennoch war die elegisch¬
patriotische Versöhnungsmahnnng nicht nen in der ultramontanen Rhetorik,
wenn sie much niemals mit solcher Prägnanz zur Anwendung gebracht wurde.
Der Zweck dieser Variation dünkt uns leicht zu errathen. Nach all deu
Maßlosigkeiten, mit welchen man die Masse der katholischen Bevölkerung auf¬
zureizen versucht hatte, wollte man jetzt dem Vorwurf begegnen, daß mau
immer nur Streit suche, niemals sich entgegenkommend zeige. „Seht da", so
wollte man vor dem Lande ausrufen, „trotz all deu Mißhandlungen, die wir
in deu letzten Wochen aufgedeckt haben , bieten wir doch die Hand zur Ver¬
söhnung. Auf die Gegner also alle Schuld, wenn der Friede nicht zurück¬
kehrt!" Daß im Abgeordnetenhause die angebliche Versöhnungshand,
statt in ihrer wahren Bedeutung gekennzeichnet zu werden, von einem hervor¬
ragenden Mitgliede der nationalliberalen Partei mit loyalster Wärme er¬
griffen wurde, wird das Centrum selbst uicht wenig überrascht haben. Virchow


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/444>, abgerufen am 23.07.2024.