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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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"Friederikchen" auf Grund ihrer Briefe tiefer reagirt als ihren Gatten, so
wird sie dieselben auch wohl selbst verfaßt haben. Uebrigens heißt es in einen:
an Gottsched gerichteten Briefe Neubers vom 17. September 1730 mit Bezug
ans das falsche Gerücht des Ablebens der Neuberin: Einliegendes Briefchen
hat meine Frau selbst geschrieben, und weil Ihnen ohne Zweifel ihre Hand
bekannt seyn wird, können Sie deutlicher daraus ersehen, daß sie noch lebt.

Eine -- freilich wenig benutzte -- Abschrift des ganzen Gottschedschen
Briefwechsels findet sich auch auf der Königlichen Bibliothek zu Dresden. Im
Ganzen enthält dieser Briefwechsel 14 Briefe von Reuber und 2 von der
Nenberin.

Daß Abschreiber nicht immer völlig zuverlässige Leute sind, ist eine alte
Erfahrung. Irenäus, der in seinem Buche über die Achtzahl den Abschreibern
die oft wiederholte Beschwörungsformel OdLeero hos ete, widmete, hat an der
Sache nichts geändert. Auch die von Dcmzel mitgetheilten Briefe find jenem
Unstern nicht entgangen -- für die von Danzel auf den Styl und die Gram¬
matik der Briefe basirten Schlußfolgerungen freilich ein störender Umstand.
So fand ich beim Vergleichen des von Danzel mitgetheilten Neuberschen Briefes
vom 8. Juli 1730, daß eine Periode desselben in der Danzelschen Wiedergabe
wie folgt anhebt:

Für die Uebersendung der II. und III. Handlung soll von meiner Frau
als mir besonders danken . . .

Die augenscheinlich korrektere Dresdner Abschrift lautet dagegen:

Vor die Ueberschickung der II. und III. Handlung soll von meiner
Frauen?c.

Ebenso ungenan sind andere Briefe copirt. So beginnt der Brief Caro-
llnens, welchen Danzel abdrückt, in der Dresdner Abschrift mit den Worten:

Wenn dero geneigtes Andenken gegen mich (bei Danzel: gutes Andenken
vor mich) noch so wie sonst beschaffen ist, so hoffe ich (bei Danzel fehlt "ich")
daß Sie mir vergeben werden, daß ich (bei Danzel weil ich) meine schrift¬
liche Schuldigkeit?c.

Auch die Daten stimmen nicht immer, und es bleibt auf alle Fälle mißlich,
die Bedeutung der Neuberin und Neubers nach diesen Schriften abschätzen
an wolle". Im Ganzen scheint nicht zu bezweifeln, daß Caroline die Seele
der Reform war und blieb, daß ihr Mann aber unverdrossen ihre Bestrebungen
unterstützte, daß sie auch in Glück und Unglück treu zusammen hielten. Da
bisher so wenige von den doch gewiß noch in manchen Antographen-
sammlungen aufbewahrten Briefen des Ehepaars veröffentlicht worden sind,
iheile ich hier nach den Dresdner Abschriften die wesentlicheren derjenigen an
Gottsched gerichteten Schreiben mit, welche Danzels Buch nicht enthält.


Grenzboten l. 1877. 54

„Friederikchen" auf Grund ihrer Briefe tiefer reagirt als ihren Gatten, so
wird sie dieselben auch wohl selbst verfaßt haben. Uebrigens heißt es in einen:
an Gottsched gerichteten Briefe Neubers vom 17. September 1730 mit Bezug
ans das falsche Gerücht des Ablebens der Neuberin: Einliegendes Briefchen
hat meine Frau selbst geschrieben, und weil Ihnen ohne Zweifel ihre Hand
bekannt seyn wird, können Sie deutlicher daraus ersehen, daß sie noch lebt.

Eine — freilich wenig benutzte — Abschrift des ganzen Gottschedschen
Briefwechsels findet sich auch auf der Königlichen Bibliothek zu Dresden. Im
Ganzen enthält dieser Briefwechsel 14 Briefe von Reuber und 2 von der
Nenberin.

Daß Abschreiber nicht immer völlig zuverlässige Leute sind, ist eine alte
Erfahrung. Irenäus, der in seinem Buche über die Achtzahl den Abschreibern
die oft wiederholte Beschwörungsformel OdLeero hos ete, widmete, hat an der
Sache nichts geändert. Auch die von Dcmzel mitgetheilten Briefe find jenem
Unstern nicht entgangen — für die von Danzel auf den Styl und die Gram¬
matik der Briefe basirten Schlußfolgerungen freilich ein störender Umstand.
So fand ich beim Vergleichen des von Danzel mitgetheilten Neuberschen Briefes
vom 8. Juli 1730, daß eine Periode desselben in der Danzelschen Wiedergabe
wie folgt anhebt:

Für die Uebersendung der II. und III. Handlung soll von meiner Frau
als mir besonders danken . . .

Die augenscheinlich korrektere Dresdner Abschrift lautet dagegen:

Vor die Ueberschickung der II. und III. Handlung soll von meiner
Frauen?c.

Ebenso ungenan sind andere Briefe copirt. So beginnt der Brief Caro-
llnens, welchen Danzel abdrückt, in der Dresdner Abschrift mit den Worten:

Wenn dero geneigtes Andenken gegen mich (bei Danzel: gutes Andenken
vor mich) noch so wie sonst beschaffen ist, so hoffe ich (bei Danzel fehlt „ich")
daß Sie mir vergeben werden, daß ich (bei Danzel weil ich) meine schrift¬
liche Schuldigkeit?c.

Auch die Daten stimmen nicht immer, und es bleibt auf alle Fälle mißlich,
die Bedeutung der Neuberin und Neubers nach diesen Schriften abschätzen
an wolle». Im Ganzen scheint nicht zu bezweifeln, daß Caroline die Seele
der Reform war und blieb, daß ihr Mann aber unverdrossen ihre Bestrebungen
unterstützte, daß sie auch in Glück und Unglück treu zusammen hielten. Da
bisher so wenige von den doch gewiß noch in manchen Antographen-
sammlungen aufbewahrten Briefen des Ehepaars veröffentlicht worden sind,
iheile ich hier nach den Dresdner Abschriften die wesentlicheren derjenigen an
Gottsched gerichteten Schreiben mit, welche Danzels Buch nicht enthält.


Grenzboten l. 1877. 54
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[0433] „Friederikchen" auf Grund ihrer Briefe tiefer reagirt als ihren Gatten, so wird sie dieselben auch wohl selbst verfaßt haben. Uebrigens heißt es in einen: an Gottsched gerichteten Briefe Neubers vom 17. September 1730 mit Bezug ans das falsche Gerücht des Ablebens der Neuberin: Einliegendes Briefchen hat meine Frau selbst geschrieben, und weil Ihnen ohne Zweifel ihre Hand bekannt seyn wird, können Sie deutlicher daraus ersehen, daß sie noch lebt. Eine — freilich wenig benutzte — Abschrift des ganzen Gottschedschen Briefwechsels findet sich auch auf der Königlichen Bibliothek zu Dresden. Im Ganzen enthält dieser Briefwechsel 14 Briefe von Reuber und 2 von der Nenberin. Daß Abschreiber nicht immer völlig zuverlässige Leute sind, ist eine alte Erfahrung. Irenäus, der in seinem Buche über die Achtzahl den Abschreibern die oft wiederholte Beschwörungsformel OdLeero hos ete, widmete, hat an der Sache nichts geändert. Auch die von Dcmzel mitgetheilten Briefe find jenem Unstern nicht entgangen — für die von Danzel auf den Styl und die Gram¬ matik der Briefe basirten Schlußfolgerungen freilich ein störender Umstand. So fand ich beim Vergleichen des von Danzel mitgetheilten Neuberschen Briefes vom 8. Juli 1730, daß eine Periode desselben in der Danzelschen Wiedergabe wie folgt anhebt: Für die Uebersendung der II. und III. Handlung soll von meiner Frau als mir besonders danken . . . Die augenscheinlich korrektere Dresdner Abschrift lautet dagegen: Vor die Ueberschickung der II. und III. Handlung soll von meiner Frauen?c. Ebenso ungenan sind andere Briefe copirt. So beginnt der Brief Caro- llnens, welchen Danzel abdrückt, in der Dresdner Abschrift mit den Worten: Wenn dero geneigtes Andenken gegen mich (bei Danzel: gutes Andenken vor mich) noch so wie sonst beschaffen ist, so hoffe ich (bei Danzel fehlt „ich") daß Sie mir vergeben werden, daß ich (bei Danzel weil ich) meine schrift¬ liche Schuldigkeit?c. Auch die Daten stimmen nicht immer, und es bleibt auf alle Fälle mißlich, die Bedeutung der Neuberin und Neubers nach diesen Schriften abschätzen an wolle». Im Ganzen scheint nicht zu bezweifeln, daß Caroline die Seele der Reform war und blieb, daß ihr Mann aber unverdrossen ihre Bestrebungen unterstützte, daß sie auch in Glück und Unglück treu zusammen hielten. Da bisher so wenige von den doch gewiß noch in manchen Antographen- sammlungen aufbewahrten Briefen des Ehepaars veröffentlicht worden sind, iheile ich hier nach den Dresdner Abschriften die wesentlicheren derjenigen an Gottsched gerichteten Schreiben mit, welche Danzels Buch nicht enthält. Grenzboten l. 1877. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/433>, abgerufen am 23.07.2024.