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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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alles Nähere, und diese eigenthümliche Notiz hat bisher überhaupt kaum Be¬
achtung gefunden. Dennoch wirst dieselbe auf die Bildungsstufe, welche die
Neuberin einnahm, ein scharfes Licht, und im Zusammenhang mit der Angabe
der Zwickauer Inquisitions-Akten: Caroline sei der französischen und lateinischen
Sprache mächtig gewesen, tritt der Abstand, in welchem sich die Neuberin zu
dem Bildungsgrade der übrigen damaligen Prinzipale und Prinzipalinnen be¬
fand, besonders deutlich hervor.

Auf die Frage, wie weit Reuber bei den Reform-Bestrebungen seiner be¬
rühmten Fran betheiligt gewesen, hat Th. W. Danzel ("Gottsched und seine
Zeit", Leipzig 1855) dankenswerthe Streiflichter fallen lassen, vornehmlich auf
Grund des auf der Leipziger Universitäts - Bibliothek aufbewahrten Brief¬
wechsels Gottscheds. Abweichend von der früher beliebten Annahme, Johann
Reuber sei eine Null gewesen, kommt er nicht nur zu dein Schlüsse, der
nicht anfechtbar ist: die Reform des Theaters sei auch ihm Herzenssache
gewesen -- er bestreitet auch, daß es besonders die Neuberin gewesen sei, die
sich der Sache "mit Verständniß und Eifer" angenommen habe und meint:
"wenn sich Herr Reuber (in den Briefen) als ein ganz gebildeter Mann dar¬
stellt, so wird man bei dem berühmten "Friederikchen" das Gegentheil be¬
merken." Und er fügt hinzu, es gehe aus den von ihm mitgetheilten Briefen
hervor, daß Reuber und nicht feine Frau bei dem Unternehmen die erste Rolle
gespielt, ja daß sie geradezu "eine untergeordnete Stelle" eingenommen habe.

Einige gehässige Bemerkungen Grimms, des "Propheten von Böhmisch-
broda", mögen Danzel in dieser unterschätzenden Auffassung der Neuberin be¬
stärkt haben, wobei aber Eckhof erst zu widerlegen wäre, -- der jeuer Zeit
noch nahe genug stand, um als Fachmann über das Ehepaar zu urtheilen --
denn es heißt in seiner bekannten Meinungsabgabe über die damals angestrebte
Reform: "Mitten in dieser Barbarei wagte eine liebenswürdige Frau den
Vorsatz zu fassen, das deutsche Theater zu reinigen und ihm eine vernünftige
Form zu geben."

Schon Fürstenau (a. a. O. S. 315) hat Danzels Meinung als zu weit
gehend bezeichnet, doch obschon er nach Originalen einige Schriftstücke des
Ehepaars mittheilt, stellt er nicht fest, ob die von den Neubers bisher bekannt
gewordenen Schriftstücke uicht etwa ausnahmslos von Johann Reuber verfaßt
sind, vermuthet es jedoch. Dies würde zu der Annahme führen, daß Reuber
die von Caroline zu unterzeichnenden Briefe schlechter stylisirt habe, als seine
eignen, denn woher sonst die von Danzel gerügte Mannhaftigkeit der letzteren?
Durch Vergleichung der Originale ans der Leipziger Universitäts-Bibliothek
ließe sich hierüber leicht jeder Zweifel heben. Danzel hat dieselben vor Augen
gehabt, und da er keine Vermuthung der gedachten Art äußert, vielmehr


alles Nähere, und diese eigenthümliche Notiz hat bisher überhaupt kaum Be¬
achtung gefunden. Dennoch wirst dieselbe auf die Bildungsstufe, welche die
Neuberin einnahm, ein scharfes Licht, und im Zusammenhang mit der Angabe
der Zwickauer Inquisitions-Akten: Caroline sei der französischen und lateinischen
Sprache mächtig gewesen, tritt der Abstand, in welchem sich die Neuberin zu
dem Bildungsgrade der übrigen damaligen Prinzipale und Prinzipalinnen be¬
fand, besonders deutlich hervor.

Auf die Frage, wie weit Reuber bei den Reform-Bestrebungen seiner be¬
rühmten Fran betheiligt gewesen, hat Th. W. Danzel („Gottsched und seine
Zeit", Leipzig 1855) dankenswerthe Streiflichter fallen lassen, vornehmlich auf
Grund des auf der Leipziger Universitäts - Bibliothek aufbewahrten Brief¬
wechsels Gottscheds. Abweichend von der früher beliebten Annahme, Johann
Reuber sei eine Null gewesen, kommt er nicht nur zu dein Schlüsse, der
nicht anfechtbar ist: die Reform des Theaters sei auch ihm Herzenssache
gewesen — er bestreitet auch, daß es besonders die Neuberin gewesen sei, die
sich der Sache „mit Verständniß und Eifer" angenommen habe und meint:
„wenn sich Herr Reuber (in den Briefen) als ein ganz gebildeter Mann dar¬
stellt, so wird man bei dem berühmten „Friederikchen" das Gegentheil be¬
merken." Und er fügt hinzu, es gehe aus den von ihm mitgetheilten Briefen
hervor, daß Reuber und nicht feine Frau bei dem Unternehmen die erste Rolle
gespielt, ja daß sie geradezu „eine untergeordnete Stelle" eingenommen habe.

Einige gehässige Bemerkungen Grimms, des „Propheten von Böhmisch-
broda", mögen Danzel in dieser unterschätzenden Auffassung der Neuberin be¬
stärkt haben, wobei aber Eckhof erst zu widerlegen wäre, — der jeuer Zeit
noch nahe genug stand, um als Fachmann über das Ehepaar zu urtheilen —
denn es heißt in seiner bekannten Meinungsabgabe über die damals angestrebte
Reform: „Mitten in dieser Barbarei wagte eine liebenswürdige Frau den
Vorsatz zu fassen, das deutsche Theater zu reinigen und ihm eine vernünftige
Form zu geben."

Schon Fürstenau (a. a. O. S. 315) hat Danzels Meinung als zu weit
gehend bezeichnet, doch obschon er nach Originalen einige Schriftstücke des
Ehepaars mittheilt, stellt er nicht fest, ob die von den Neubers bisher bekannt
gewordenen Schriftstücke uicht etwa ausnahmslos von Johann Reuber verfaßt
sind, vermuthet es jedoch. Dies würde zu der Annahme führen, daß Reuber
die von Caroline zu unterzeichnenden Briefe schlechter stylisirt habe, als seine
eignen, denn woher sonst die von Danzel gerügte Mannhaftigkeit der letzteren?
Durch Vergleichung der Originale ans der Leipziger Universitäts-Bibliothek
ließe sich hierüber leicht jeder Zweifel heben. Danzel hat dieselben vor Augen
gehabt, und da er keine Vermuthung der gedachten Art äußert, vielmehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/432>, abgerufen am 23.07.2024.