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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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sein, wenn man dieser berühmten Schauspielerin eine vollkommene Kenntniß
ihrer Kunst absprechen wollte. Sie hat männliche Einsichten; nur in einem
Artikel verräth sie ihr Geschlecht. Sie tändelt ungemein gern auf dem Theater.
Alle Schauspiele von ihrer Erfindung sind voll Putz, voller Verkleidung, voller
Festivitäten, wunderbar und schimmernd. Vielleicht zwar kannte sie ihre
Leipziger, und das war vielleicht eine List von ihr, was ich für Schwachheit
an ihr halte."

Gewiß war es eine "List", denn die Entwöhnung des Publikums vom
Gemeinen und Anstößigen konnte schon für eine so schwierige Aufgabe gelten,
daß dieselbe nicht füglich auch noch sich vermessen dürfte, dem allgemeinen
Begehren nach theatralischen Glanz und Schimmer den Krieg zu erklären.
Daß si^ von Kostümtreue, worauf Gottsched drang, nichts wissen wollte, weil
die Kosten dadurch zu sehr anwachsen würden, diesen Standpunkt muß man
gelten lassen, da nicht bewiese" werden kann, daß ein Wagniß auch nach dieser
Seite hin ihre ohnehin opfervolle Thätigkeit nicht einem raschen Untergang
entgegengeführt haben würde. Wie man weiß, hat Tieck sich ebenfalls dem Ver¬
langen nach weit gehender Kostümtreue entgegen gestemmt, und Lichtenberg
fchrieb mit Recht: Wo der Antiquar in den Köpfen eines Publikums noch
schlummert, da soll der Schauspieler nicht der Erste sein, der ihn wecken will.

Auch Gottsched hat nur in wenigen Worten hie und da der Neuberin ge¬
dacht, so z. B. in der Vorrede zum 2. Theile seiner "Deutschen Schaubühne",
wo er rühmend ihrer "Vorspiele in Versen" Erwähnung thut, und dann, als
die Neuberin einem Ruse der Kaiserin Elisabeth nach Se. Petersburg folgte,
wo er am 12. März 1740 an Manteuffel in Dresden fchrieb: So verlieren
wir in Deutschland wiederum ein Mittel, den guten Geschmack zu befördern,
nämlich die einzige Comödie, die eine gesunde und vernünftige Schaubühne
gehabt :e. Und in der ersten Ausgabe seiner "kritischen Dichtkunst" rühmt Gott¬
sched sowohl "Herrn Reuber, den jetzigen Direktor", wie auch dessen Ehegattin,
der es auf der Bühne "schwerlich ein Frauenzimmer zuvorthun wird", Lob¬
sprüche, welche auf Grund des bekannten Zerwürfnisses zwischen Gottsched und
den Neubers in den spätern Auflagen zu Gunsten Schönemanns unterdrückt
wurden. In seiner Vorrede zum "sterbenden Cato" sagt er: die Neuberin gebe
in der Vvrstellungskunst gewiß keiner Französin oder Engländerin etwas nach.

Was die oben berührten Vorspiele betrifft, so sagt Schütze darüber, sie
habe "aus sehr verzeihlichen Neide" nur eins drucken lassen. Auf der Dresdner
Königlichen Bibliothek ist dies Stück nicht vorhanden.

Ingleichen weiß Schütze von französischen Stücken, die sie in Hamburg
"in der Ursprache" gegeben hat, gleichsam "als Dessert-Schüsseln zu den
deutschen; z. B. ArMMmbis, IraA, en 1 ^." Hierüber fehlt meines Wissens


sein, wenn man dieser berühmten Schauspielerin eine vollkommene Kenntniß
ihrer Kunst absprechen wollte. Sie hat männliche Einsichten; nur in einem
Artikel verräth sie ihr Geschlecht. Sie tändelt ungemein gern auf dem Theater.
Alle Schauspiele von ihrer Erfindung sind voll Putz, voller Verkleidung, voller
Festivitäten, wunderbar und schimmernd. Vielleicht zwar kannte sie ihre
Leipziger, und das war vielleicht eine List von ihr, was ich für Schwachheit
an ihr halte."

Gewiß war es eine „List", denn die Entwöhnung des Publikums vom
Gemeinen und Anstößigen konnte schon für eine so schwierige Aufgabe gelten,
daß dieselbe nicht füglich auch noch sich vermessen dürfte, dem allgemeinen
Begehren nach theatralischen Glanz und Schimmer den Krieg zu erklären.
Daß si^ von Kostümtreue, worauf Gottsched drang, nichts wissen wollte, weil
die Kosten dadurch zu sehr anwachsen würden, diesen Standpunkt muß man
gelten lassen, da nicht bewiese» werden kann, daß ein Wagniß auch nach dieser
Seite hin ihre ohnehin opfervolle Thätigkeit nicht einem raschen Untergang
entgegengeführt haben würde. Wie man weiß, hat Tieck sich ebenfalls dem Ver¬
langen nach weit gehender Kostümtreue entgegen gestemmt, und Lichtenberg
fchrieb mit Recht: Wo der Antiquar in den Köpfen eines Publikums noch
schlummert, da soll der Schauspieler nicht der Erste sein, der ihn wecken will.

Auch Gottsched hat nur in wenigen Worten hie und da der Neuberin ge¬
dacht, so z. B. in der Vorrede zum 2. Theile seiner „Deutschen Schaubühne",
wo er rühmend ihrer „Vorspiele in Versen" Erwähnung thut, und dann, als
die Neuberin einem Ruse der Kaiserin Elisabeth nach Se. Petersburg folgte,
wo er am 12. März 1740 an Manteuffel in Dresden fchrieb: So verlieren
wir in Deutschland wiederum ein Mittel, den guten Geschmack zu befördern,
nämlich die einzige Comödie, die eine gesunde und vernünftige Schaubühne
gehabt :e. Und in der ersten Ausgabe seiner „kritischen Dichtkunst" rühmt Gott¬
sched sowohl „Herrn Reuber, den jetzigen Direktor", wie auch dessen Ehegattin,
der es auf der Bühne „schwerlich ein Frauenzimmer zuvorthun wird", Lob¬
sprüche, welche auf Grund des bekannten Zerwürfnisses zwischen Gottsched und
den Neubers in den spätern Auflagen zu Gunsten Schönemanns unterdrückt
wurden. In seiner Vorrede zum „sterbenden Cato" sagt er: die Neuberin gebe
in der Vvrstellungskunst gewiß keiner Französin oder Engländerin etwas nach.

Was die oben berührten Vorspiele betrifft, so sagt Schütze darüber, sie
habe „aus sehr verzeihlichen Neide" nur eins drucken lassen. Auf der Dresdner
Königlichen Bibliothek ist dies Stück nicht vorhanden.

Ingleichen weiß Schütze von französischen Stücken, die sie in Hamburg
„in der Ursprache" gegeben hat, gleichsam „als Dessert-Schüsseln zu den
deutschen; z. B. ArMMmbis, IraA, en 1 ^." Hierüber fehlt meines Wissens


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[0431] sein, wenn man dieser berühmten Schauspielerin eine vollkommene Kenntniß ihrer Kunst absprechen wollte. Sie hat männliche Einsichten; nur in einem Artikel verräth sie ihr Geschlecht. Sie tändelt ungemein gern auf dem Theater. Alle Schauspiele von ihrer Erfindung sind voll Putz, voller Verkleidung, voller Festivitäten, wunderbar und schimmernd. Vielleicht zwar kannte sie ihre Leipziger, und das war vielleicht eine List von ihr, was ich für Schwachheit an ihr halte." Gewiß war es eine „List", denn die Entwöhnung des Publikums vom Gemeinen und Anstößigen konnte schon für eine so schwierige Aufgabe gelten, daß dieselbe nicht füglich auch noch sich vermessen dürfte, dem allgemeinen Begehren nach theatralischen Glanz und Schimmer den Krieg zu erklären. Daß si^ von Kostümtreue, worauf Gottsched drang, nichts wissen wollte, weil die Kosten dadurch zu sehr anwachsen würden, diesen Standpunkt muß man gelten lassen, da nicht bewiese» werden kann, daß ein Wagniß auch nach dieser Seite hin ihre ohnehin opfervolle Thätigkeit nicht einem raschen Untergang entgegengeführt haben würde. Wie man weiß, hat Tieck sich ebenfalls dem Ver¬ langen nach weit gehender Kostümtreue entgegen gestemmt, und Lichtenberg fchrieb mit Recht: Wo der Antiquar in den Köpfen eines Publikums noch schlummert, da soll der Schauspieler nicht der Erste sein, der ihn wecken will. Auch Gottsched hat nur in wenigen Worten hie und da der Neuberin ge¬ dacht, so z. B. in der Vorrede zum 2. Theile seiner „Deutschen Schaubühne", wo er rühmend ihrer „Vorspiele in Versen" Erwähnung thut, und dann, als die Neuberin einem Ruse der Kaiserin Elisabeth nach Se. Petersburg folgte, wo er am 12. März 1740 an Manteuffel in Dresden fchrieb: So verlieren wir in Deutschland wiederum ein Mittel, den guten Geschmack zu befördern, nämlich die einzige Comödie, die eine gesunde und vernünftige Schaubühne gehabt :e. Und in der ersten Ausgabe seiner „kritischen Dichtkunst" rühmt Gott¬ sched sowohl „Herrn Reuber, den jetzigen Direktor", wie auch dessen Ehegattin, der es auf der Bühne „schwerlich ein Frauenzimmer zuvorthun wird", Lob¬ sprüche, welche auf Grund des bekannten Zerwürfnisses zwischen Gottsched und den Neubers in den spätern Auflagen zu Gunsten Schönemanns unterdrückt wurden. In seiner Vorrede zum „sterbenden Cato" sagt er: die Neuberin gebe in der Vvrstellungskunst gewiß keiner Französin oder Engländerin etwas nach. Was die oben berührten Vorspiele betrifft, so sagt Schütze darüber, sie habe „aus sehr verzeihlichen Neide" nur eins drucken lassen. Auf der Dresdner Königlichen Bibliothek ist dies Stück nicht vorhanden. Ingleichen weiß Schütze von französischen Stücken, die sie in Hamburg „in der Ursprache" gegeben hat, gleichsam „als Dessert-Schüsseln zu den deutschen; z. B. ArMMmbis, IraA, en 1 ^." Hierüber fehlt meines Wissens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/431>, abgerufen am 23.07.2024.