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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Zur Biographie der Aeuberin.
Robert Waldmüller-Duboc. Von II.

Ueber den weiteren künstlerischen Lebenslang des Paares hat n. A. Fürstenau
im 2. Bande seines sehr gründlichen Werkes "Zur Geschichte der Musik und
des Theaters am Hofe der Kurfürsten von Sachsen und Könige von Polen"
das Wesentlichste zusammengestellt, soweit wenigstens bis jetzt unter Benutzung
der Dresdener und Leipziger Quellen und vor Allem der sorgfältig gearbeiteten
Hamburger Theater - Geschichte von I. F. Schütze an Material zu Tage ge¬
fördert ist. Auch enthält, soweit der Raum es zuläßt, Ed. Devrients "Ge¬
schichte der deutschen Schauspielkunst" bekanntlich ein übersichtliches Bild der
Wirksamkeit der Neüberin. Prutz verweist in seinen Vorlesungen über die
Geschichte des deutschen Theaters u. A. auf eine angeblich im Jahre 1744
erschienene und in zwei Theilen in Quart von D. W. Mayer in Zwickau ver¬
faßte Biographie der Neuberin, ein Pasquill, das in mehrfachen Bezugnahmen
anderweitig als ein ernst gemeintes Werk aufgefaßt wird, dessen aber nicht mehr
habhaft zu werden sei. Fürstenau kennt es und nennt es mit Recht ein ab¬
scheuliches Pamphlet. Ich gebe weiter unten über dasselbe Auskunft. Auf¬
fallend gering ist bis jetzt die Ausbeute aus den Aeußerungen von Zeitgenossen
der Neuberin gewesen. Lessing, dessen erstes Stück "Der junge Gelehrte" sie
im Jahre 1747 aufführte, muß insofern als ihr Zeitgenosse gelten, als er die
Neuberin noch sah und kannte, wie denn ihre reformatorischen Bestrebungen
ihm für die Bühne lebhaftes Interesse einflößten. Doch war er damals erst achtzehn
Jahre alt, während sie bereits das fünfzigste Jahr erreicht hatte und im raschen
Niedergang begriffen war. Dies muß man nicht übersehen, wenn man, was
er beiläufig über sie geäußert hat, zu ihrer Beurtheilung mit heranziehen zu
dürfen meint. Es gilt auch einigermaßen für Eckhof, dessen zwei sie betreffende
Briefe oft citirt worden sind. Er selbst datirt ihren Niedergang vom Jahre 1740.
Damals war sie dreiundvierzig, er aber erst zwanzig Jahre alt. Was sie in ihrer
besten Zeit geleistet hatte, kannte er daher nur vom Hörensagen. Lessing thut
der Neuberin an zwei Stellen Erwähnung, in dem 15. Literaturbriefe, wo er
nur erwähnt, daß sie zu eiuer Zeit geblüht habe, als es um die deutsche
dramatische Poesie noch sehr elend aussah: "Unsere Staats- und Helden-Aktionen
waren voller Unsinn, Bombast, Schmutz und Pöbelwitz. Unsere Lustspiele be¬
standen in Verkleidung und Zaubereien, und Prügel waren die witzigsten
Einfälle" -- und ferner in der Vorrede zu den Schriften seines Freundes Milius:
"Kennen sie den Geschmack der Frau Neuberin? Man müßte sehr unbillig


Zur Biographie der Aeuberin.
Robert Waldmüller-Duboc. Von II.

Ueber den weiteren künstlerischen Lebenslang des Paares hat n. A. Fürstenau
im 2. Bande seines sehr gründlichen Werkes „Zur Geschichte der Musik und
des Theaters am Hofe der Kurfürsten von Sachsen und Könige von Polen"
das Wesentlichste zusammengestellt, soweit wenigstens bis jetzt unter Benutzung
der Dresdener und Leipziger Quellen und vor Allem der sorgfältig gearbeiteten
Hamburger Theater - Geschichte von I. F. Schütze an Material zu Tage ge¬
fördert ist. Auch enthält, soweit der Raum es zuläßt, Ed. Devrients „Ge¬
schichte der deutschen Schauspielkunst" bekanntlich ein übersichtliches Bild der
Wirksamkeit der Neüberin. Prutz verweist in seinen Vorlesungen über die
Geschichte des deutschen Theaters u. A. auf eine angeblich im Jahre 1744
erschienene und in zwei Theilen in Quart von D. W. Mayer in Zwickau ver¬
faßte Biographie der Neuberin, ein Pasquill, das in mehrfachen Bezugnahmen
anderweitig als ein ernst gemeintes Werk aufgefaßt wird, dessen aber nicht mehr
habhaft zu werden sei. Fürstenau kennt es und nennt es mit Recht ein ab¬
scheuliches Pamphlet. Ich gebe weiter unten über dasselbe Auskunft. Auf¬
fallend gering ist bis jetzt die Ausbeute aus den Aeußerungen von Zeitgenossen
der Neuberin gewesen. Lessing, dessen erstes Stück „Der junge Gelehrte" sie
im Jahre 1747 aufführte, muß insofern als ihr Zeitgenosse gelten, als er die
Neuberin noch sah und kannte, wie denn ihre reformatorischen Bestrebungen
ihm für die Bühne lebhaftes Interesse einflößten. Doch war er damals erst achtzehn
Jahre alt, während sie bereits das fünfzigste Jahr erreicht hatte und im raschen
Niedergang begriffen war. Dies muß man nicht übersehen, wenn man, was
er beiläufig über sie geäußert hat, zu ihrer Beurtheilung mit heranziehen zu
dürfen meint. Es gilt auch einigermaßen für Eckhof, dessen zwei sie betreffende
Briefe oft citirt worden sind. Er selbst datirt ihren Niedergang vom Jahre 1740.
Damals war sie dreiundvierzig, er aber erst zwanzig Jahre alt. Was sie in ihrer
besten Zeit geleistet hatte, kannte er daher nur vom Hörensagen. Lessing thut
der Neuberin an zwei Stellen Erwähnung, in dem 15. Literaturbriefe, wo er
nur erwähnt, daß sie zu eiuer Zeit geblüht habe, als es um die deutsche
dramatische Poesie noch sehr elend aussah: „Unsere Staats- und Helden-Aktionen
waren voller Unsinn, Bombast, Schmutz und Pöbelwitz. Unsere Lustspiele be¬
standen in Verkleidung und Zaubereien, und Prügel waren die witzigsten
Einfälle" — und ferner in der Vorrede zu den Schriften seines Freundes Milius:
„Kennen sie den Geschmack der Frau Neuberin? Man müßte sehr unbillig


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[0430] Zur Biographie der Aeuberin. Robert Waldmüller-Duboc. Von II. Ueber den weiteren künstlerischen Lebenslang des Paares hat n. A. Fürstenau im 2. Bande seines sehr gründlichen Werkes „Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Hofe der Kurfürsten von Sachsen und Könige von Polen" das Wesentlichste zusammengestellt, soweit wenigstens bis jetzt unter Benutzung der Dresdener und Leipziger Quellen und vor Allem der sorgfältig gearbeiteten Hamburger Theater - Geschichte von I. F. Schütze an Material zu Tage ge¬ fördert ist. Auch enthält, soweit der Raum es zuläßt, Ed. Devrients „Ge¬ schichte der deutschen Schauspielkunst" bekanntlich ein übersichtliches Bild der Wirksamkeit der Neüberin. Prutz verweist in seinen Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Theaters u. A. auf eine angeblich im Jahre 1744 erschienene und in zwei Theilen in Quart von D. W. Mayer in Zwickau ver¬ faßte Biographie der Neuberin, ein Pasquill, das in mehrfachen Bezugnahmen anderweitig als ein ernst gemeintes Werk aufgefaßt wird, dessen aber nicht mehr habhaft zu werden sei. Fürstenau kennt es und nennt es mit Recht ein ab¬ scheuliches Pamphlet. Ich gebe weiter unten über dasselbe Auskunft. Auf¬ fallend gering ist bis jetzt die Ausbeute aus den Aeußerungen von Zeitgenossen der Neuberin gewesen. Lessing, dessen erstes Stück „Der junge Gelehrte" sie im Jahre 1747 aufführte, muß insofern als ihr Zeitgenosse gelten, als er die Neuberin noch sah und kannte, wie denn ihre reformatorischen Bestrebungen ihm für die Bühne lebhaftes Interesse einflößten. Doch war er damals erst achtzehn Jahre alt, während sie bereits das fünfzigste Jahr erreicht hatte und im raschen Niedergang begriffen war. Dies muß man nicht übersehen, wenn man, was er beiläufig über sie geäußert hat, zu ihrer Beurtheilung mit heranziehen zu dürfen meint. Es gilt auch einigermaßen für Eckhof, dessen zwei sie betreffende Briefe oft citirt worden sind. Er selbst datirt ihren Niedergang vom Jahre 1740. Damals war sie dreiundvierzig, er aber erst zwanzig Jahre alt. Was sie in ihrer besten Zeit geleistet hatte, kannte er daher nur vom Hörensagen. Lessing thut der Neuberin an zwei Stellen Erwähnung, in dem 15. Literaturbriefe, wo er nur erwähnt, daß sie zu eiuer Zeit geblüht habe, als es um die deutsche dramatische Poesie noch sehr elend aussah: „Unsere Staats- und Helden-Aktionen waren voller Unsinn, Bombast, Schmutz und Pöbelwitz. Unsere Lustspiele be¬ standen in Verkleidung und Zaubereien, und Prügel waren die witzigsten Einfälle" — und ferner in der Vorrede zu den Schriften seines Freundes Milius: „Kennen sie den Geschmack der Frau Neuberin? Man müßte sehr unbillig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/430>, abgerufen am 23.07.2024.