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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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so leichtlich zu Willen worden sein und geglaubt haben; denn wer leichtlich
glaubt, wird bald betrogen."

Solche Reden waren kein Trost, und so klagt Faust in unserm Buche
noch ein paar Seiten aufs erbärmlichste fort bis zum Vorabend des Tages,
wo sein Geschick sich erfüllen soll. Mephostophiles erscheint, zeigt ihm seine
Verschreibung vor und kündigt ihm an, daß der Teufel in der nächsten Nacht
kommen und seinen Leib holen werde. Faust fährt darauf die Nacht hindurch
mit Weinen und Jammern fort. Am Morgen aber geht er zu seinen Freunden,
den Studenten und Magistern, und bittet sie, ihm nach dem eine halbe Meile
von Wittenberg entfernten Dorfe Rimlich zu folgen und dort mit ihm zu
frühstücken und später zu Nacht zu essen. Sie schmansen und zechen dort
weidlich, und nach der Abendmahlzeit hält ihnen Faust eine Rede, in der er
sie bittet, den übrigen Freunden brüderliche und freundliche Grüße zu bestellen,
sich sein greulig Ende all ihr Lebtag ein Fürbitt und Erinnerung sein zu
lassen, sich vor Verführung zu hüten, fleißig die Kirche zu besuchen und alle
Zeit wider den Teufel zu streiten und zu siegen mit einem guten Glauben
an Christum und gottseligem Wandel. Dann ermahnt er sie, zu Bette zu
gehen und sich durch nichts, was geschehen werde, anfechten zu lassen. Die
Studenten versuchten ihn zu trösten und riethen ihm, Gottes Barmherzigkeit
anzurufen, daß er ihm um seines lieben Sohnes Jesu Christi willen verzeihe
und ihm, wenn er dem Teufel den Leib lassen müsse, doch die Seele erhalte.
"Da sagte er ihnen zu, er wolle beten, es wollte ihm aber nicht eingehen, wie
dem Kam, der auch sagte, seine Sünden wären größer, denn daß sie ihm
möchten verziehen werden." Darauf nahmen sie weinend Abschied von ihm
und gingen schlafen, während er in der Stube zurückblieb.

"Es geschah aber zwischen zwölf und ein Uhr in der Nacht, daß gegen
das Haus her ein großer ungestümer Wind ging, der es an allen Orten um¬
gab, als ob er es zu Boden reißen wollte, darob die Studenten verzagen zu
müssen meinten, sprangen aus dem Bette und huben an einander zu trösten,
wollten nicht aus der Kammer. Der Wirth lief aus seinein in ein ander
Haus. Die Studenten lagen nahe bei der Stube, da Doctor Faustus innen
war, sie hörten ein greuliges Pfeifen und Zischen, als ob das Haus voller
Schlangen, Nattern und andere schädliche Würmer wäre. Indem gehet Doctor
Fausti Thür auf in der Stuben, der hub an, um Hülfe und Mordio zu
schreien, aber kaum mit halber Stimme, bald nachher hörte man ihn nicht
mehr. Als es nun Tag ward, und die Studenten die ganze Nacht nicht ge¬
schlafen hatten, sind sie in die Stube gegangen, sie sahen aber keinen Faustum
mehr und nichts, denn die Stube voller Bluts gespritzet. Das Hirn klebte an
der Wand, es lagen auch seine Angen und etliche Zähne allda, ein greulig


so leichtlich zu Willen worden sein und geglaubt haben; denn wer leichtlich
glaubt, wird bald betrogen."

Solche Reden waren kein Trost, und so klagt Faust in unserm Buche
noch ein paar Seiten aufs erbärmlichste fort bis zum Vorabend des Tages,
wo sein Geschick sich erfüllen soll. Mephostophiles erscheint, zeigt ihm seine
Verschreibung vor und kündigt ihm an, daß der Teufel in der nächsten Nacht
kommen und seinen Leib holen werde. Faust fährt darauf die Nacht hindurch
mit Weinen und Jammern fort. Am Morgen aber geht er zu seinen Freunden,
den Studenten und Magistern, und bittet sie, ihm nach dem eine halbe Meile
von Wittenberg entfernten Dorfe Rimlich zu folgen und dort mit ihm zu
frühstücken und später zu Nacht zu essen. Sie schmansen und zechen dort
weidlich, und nach der Abendmahlzeit hält ihnen Faust eine Rede, in der er
sie bittet, den übrigen Freunden brüderliche und freundliche Grüße zu bestellen,
sich sein greulig Ende all ihr Lebtag ein Fürbitt und Erinnerung sein zu
lassen, sich vor Verführung zu hüten, fleißig die Kirche zu besuchen und alle
Zeit wider den Teufel zu streiten und zu siegen mit einem guten Glauben
an Christum und gottseligem Wandel. Dann ermahnt er sie, zu Bette zu
gehen und sich durch nichts, was geschehen werde, anfechten zu lassen. Die
Studenten versuchten ihn zu trösten und riethen ihm, Gottes Barmherzigkeit
anzurufen, daß er ihm um seines lieben Sohnes Jesu Christi willen verzeihe
und ihm, wenn er dem Teufel den Leib lassen müsse, doch die Seele erhalte.
„Da sagte er ihnen zu, er wolle beten, es wollte ihm aber nicht eingehen, wie
dem Kam, der auch sagte, seine Sünden wären größer, denn daß sie ihm
möchten verziehen werden." Darauf nahmen sie weinend Abschied von ihm
und gingen schlafen, während er in der Stube zurückblieb.

„Es geschah aber zwischen zwölf und ein Uhr in der Nacht, daß gegen
das Haus her ein großer ungestümer Wind ging, der es an allen Orten um¬
gab, als ob er es zu Boden reißen wollte, darob die Studenten verzagen zu
müssen meinten, sprangen aus dem Bette und huben an einander zu trösten,
wollten nicht aus der Kammer. Der Wirth lief aus seinein in ein ander
Haus. Die Studenten lagen nahe bei der Stube, da Doctor Faustus innen
war, sie hörten ein greuliges Pfeifen und Zischen, als ob das Haus voller
Schlangen, Nattern und andere schädliche Würmer wäre. Indem gehet Doctor
Fausti Thür auf in der Stuben, der hub an, um Hülfe und Mordio zu
schreien, aber kaum mit halber Stimme, bald nachher hörte man ihn nicht
mehr. Als es nun Tag ward, und die Studenten die ganze Nacht nicht ge¬
schlafen hatten, sind sie in die Stube gegangen, sie sahen aber keinen Faustum
mehr und nichts, denn die Stube voller Bluts gespritzet. Das Hirn klebte an
der Wand, es lagen auch seine Angen und etliche Zähne allda, ein greulig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/426>, abgerufen am 23.07.2024.