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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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schickte, bis das Fäßlein ganz leer wurde. Dem rieth er, als er sich
einst barbieren lassen wollte, sich lieber aus der Apotheke Arsenik holen zu
lassen und den Bart damit tüchtig einzureihen, er werde dann kein Scheer-
messer mehr nöthig haben. Die Folge war, daß dem Pfaffen nicht blos die
Haare im Gesichte ausfielen, sondern auch die Haut sammt dem Fleische
sich ablöste.

Besonders schlimm trieb es Faust in den letzten fünf Jahren seines Con-
trcckts mit dem Teufel in Betreff der Weiber. Zunächst suchte er, indem er
mit Mephostophiles in aller Herren Länder herumzog, sich sieben der schönsten,
zwei Niederländerinnen, eine Ungarin, eine Engländerin, zwei Schwäbinnen
und eine aus Franken aus. Dann bewog er seinen Geist, ihm die Helena
aus Graecia, die er ehedem den Studenten am weißen Sonntage erweckt
hatte, zu verschaffen, die er so lieb gewann, daß er schier keinen Augenblick
ohne sie sein könnte, und die ihm einen Sohn gebar, den er Justus Faustus
nannte, und der ihm schon als kleines Kind viel "zukünftige Dinge erzählete,
so in allen Ländern sollten geschehen.".

Als nun sein Vertrag mit der Hölle abgelaufen war, fetzte er seinen Fa¬
mulus Wagner, einen bösen Buben, der mit ihm geschlemmt hatte und ihm
in Allem zu Willen gewesen war, notariell zum Erben ein, wodurch diesem
Fausts Haus und Garten "neben des Gansers und Veit Rodingers Haus ge¬
legen, beim Eisernen Thor in der Schergasse an der Ringmauer", sechzehnhundert
Gulden an Zinsgeld, ein Bauerngut, sechshundert Gulden baar, eine goldene
Kette und Silbergeschirr an tausend Gulden werth, desgleichen die Bücher
seines Meisters zufielen. Auch verschaffte er ihm einem dienenden Geist, der
die Gestalt eines Assen hatte und Auerhcchu hieß, und der ihn künftig be¬
gleiten sollte, wofür Wagner sich verpflichten mußte, nach Fausts Tode dessen
Geschichte zu schreiben. Wenn Faust seines eben erwähnten Sohnes in seinem
Testamente nicht gedachte, so war der Grund der, daß er wußte, derselbe werde
sammt seiner Mutter demnächst verschwinden.

Die Zeit verlief nun rasch wie der Sand in einem Stundenglase, und
als Faust nur noch einen Monat zu leben hatte, hub er jämmerlich an zu klagen
und zu verzagen. Er weinte, redete mit sich selbst, phantasirte mit den Hän¬
den in der Luft, ächzte und seufzte und magerte zusehends ab. Er ging wenig
mehr aus und mochte auch den Geist nicht mehr sehen. "O Du betrübter
Fauste", rief er aus, "Dn bist nun in dem Haufen der Unseligen, wo Du den
übermüßigen Schmerz des Todes erwarten mußt! Ja, einen erbärmlicheren
denn jemals eine schmerzhafte Kreatur erduldet hat. Ach, ach, Vernunft, Ver¬
messenheit und freier Wille, o Du verfluchtes und unbeständiges Leben, o Du
Blinder und Unachtsamer, der Du Deine Glieder, Leib und Seele so blind


schickte, bis das Fäßlein ganz leer wurde. Dem rieth er, als er sich
einst barbieren lassen wollte, sich lieber aus der Apotheke Arsenik holen zu
lassen und den Bart damit tüchtig einzureihen, er werde dann kein Scheer-
messer mehr nöthig haben. Die Folge war, daß dem Pfaffen nicht blos die
Haare im Gesichte ausfielen, sondern auch die Haut sammt dem Fleische
sich ablöste.

Besonders schlimm trieb es Faust in den letzten fünf Jahren seines Con-
trcckts mit dem Teufel in Betreff der Weiber. Zunächst suchte er, indem er
mit Mephostophiles in aller Herren Länder herumzog, sich sieben der schönsten,
zwei Niederländerinnen, eine Ungarin, eine Engländerin, zwei Schwäbinnen
und eine aus Franken aus. Dann bewog er seinen Geist, ihm die Helena
aus Graecia, die er ehedem den Studenten am weißen Sonntage erweckt
hatte, zu verschaffen, die er so lieb gewann, daß er schier keinen Augenblick
ohne sie sein könnte, und die ihm einen Sohn gebar, den er Justus Faustus
nannte, und der ihm schon als kleines Kind viel „zukünftige Dinge erzählete,
so in allen Ländern sollten geschehen.".

Als nun sein Vertrag mit der Hölle abgelaufen war, fetzte er seinen Fa¬
mulus Wagner, einen bösen Buben, der mit ihm geschlemmt hatte und ihm
in Allem zu Willen gewesen war, notariell zum Erben ein, wodurch diesem
Fausts Haus und Garten „neben des Gansers und Veit Rodingers Haus ge¬
legen, beim Eisernen Thor in der Schergasse an der Ringmauer", sechzehnhundert
Gulden an Zinsgeld, ein Bauerngut, sechshundert Gulden baar, eine goldene
Kette und Silbergeschirr an tausend Gulden werth, desgleichen die Bücher
seines Meisters zufielen. Auch verschaffte er ihm einem dienenden Geist, der
die Gestalt eines Assen hatte und Auerhcchu hieß, und der ihn künftig be¬
gleiten sollte, wofür Wagner sich verpflichten mußte, nach Fausts Tode dessen
Geschichte zu schreiben. Wenn Faust seines eben erwähnten Sohnes in seinem
Testamente nicht gedachte, so war der Grund der, daß er wußte, derselbe werde
sammt seiner Mutter demnächst verschwinden.

Die Zeit verlief nun rasch wie der Sand in einem Stundenglase, und
als Faust nur noch einen Monat zu leben hatte, hub er jämmerlich an zu klagen
und zu verzagen. Er weinte, redete mit sich selbst, phantasirte mit den Hän¬
den in der Luft, ächzte und seufzte und magerte zusehends ab. Er ging wenig
mehr aus und mochte auch den Geist nicht mehr sehen. „O Du betrübter
Fauste", rief er aus, „Dn bist nun in dem Haufen der Unseligen, wo Du den
übermüßigen Schmerz des Todes erwarten mußt! Ja, einen erbärmlicheren
denn jemals eine schmerzhafte Kreatur erduldet hat. Ach, ach, Vernunft, Ver¬
messenheit und freier Wille, o Du verfluchtes und unbeständiges Leben, o Du
Blinder und Unachtsamer, der Du Deine Glieder, Leib und Seele so blind


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[0424] schickte, bis das Fäßlein ganz leer wurde. Dem rieth er, als er sich einst barbieren lassen wollte, sich lieber aus der Apotheke Arsenik holen zu lassen und den Bart damit tüchtig einzureihen, er werde dann kein Scheer- messer mehr nöthig haben. Die Folge war, daß dem Pfaffen nicht blos die Haare im Gesichte ausfielen, sondern auch die Haut sammt dem Fleische sich ablöste. Besonders schlimm trieb es Faust in den letzten fünf Jahren seines Con- trcckts mit dem Teufel in Betreff der Weiber. Zunächst suchte er, indem er mit Mephostophiles in aller Herren Länder herumzog, sich sieben der schönsten, zwei Niederländerinnen, eine Ungarin, eine Engländerin, zwei Schwäbinnen und eine aus Franken aus. Dann bewog er seinen Geist, ihm die Helena aus Graecia, die er ehedem den Studenten am weißen Sonntage erweckt hatte, zu verschaffen, die er so lieb gewann, daß er schier keinen Augenblick ohne sie sein könnte, und die ihm einen Sohn gebar, den er Justus Faustus nannte, und der ihm schon als kleines Kind viel „zukünftige Dinge erzählete, so in allen Ländern sollten geschehen.". Als nun sein Vertrag mit der Hölle abgelaufen war, fetzte er seinen Fa¬ mulus Wagner, einen bösen Buben, der mit ihm geschlemmt hatte und ihm in Allem zu Willen gewesen war, notariell zum Erben ein, wodurch diesem Fausts Haus und Garten „neben des Gansers und Veit Rodingers Haus ge¬ legen, beim Eisernen Thor in der Schergasse an der Ringmauer", sechzehnhundert Gulden an Zinsgeld, ein Bauerngut, sechshundert Gulden baar, eine goldene Kette und Silbergeschirr an tausend Gulden werth, desgleichen die Bücher seines Meisters zufielen. Auch verschaffte er ihm einem dienenden Geist, der die Gestalt eines Assen hatte und Auerhcchu hieß, und der ihn künftig be¬ gleiten sollte, wofür Wagner sich verpflichten mußte, nach Fausts Tode dessen Geschichte zu schreiben. Wenn Faust seines eben erwähnten Sohnes in seinem Testamente nicht gedachte, so war der Grund der, daß er wußte, derselbe werde sammt seiner Mutter demnächst verschwinden. Die Zeit verlief nun rasch wie der Sand in einem Stundenglase, und als Faust nur noch einen Monat zu leben hatte, hub er jämmerlich an zu klagen und zu verzagen. Er weinte, redete mit sich selbst, phantasirte mit den Hän¬ den in der Luft, ächzte und seufzte und magerte zusehends ab. Er ging wenig mehr aus und mochte auch den Geist nicht mehr sehen. „O Du betrübter Fauste", rief er aus, „Dn bist nun in dem Haufen der Unseligen, wo Du den übermüßigen Schmerz des Todes erwarten mußt! Ja, einen erbärmlicheren denn jemals eine schmerzhafte Kreatur erduldet hat. Ach, ach, Vernunft, Ver¬ messenheit und freier Wille, o Du verfluchtes und unbeständiges Leben, o Du Blinder und Unachtsamer, der Du Deine Glieder, Leib und Seele so blind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/424>, abgerufen am 23.07.2024.