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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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mit vieler Mühe herunterholten. Faustus aber kam mit seiner Burse wohlbe¬
halten nach Hause, wo sie das Valete mit einander hielten mit dem Wein, so
er in des Bischofs Keller in große Flaschen gefüllet hatte." Am nächsten Tage
traktirte Faust seine Gaste abermals, indem er Flaschen und Schüsseln in
seinen Garten setzte, die ihm sein dienstbarer Geist aus den Küchen und Kellern
reicher Leute füllte. Am Aschermittwoch kamen sie wieder, und Faust ergötzte
sich durch allerhand Gaukelspiele, bei denen unsichtbare Orgeln, Lauten, Geigen,
Harfen und Posaunen spielten, Gläser, Becher und Töpfe auf dem Tisch tanzten
und ein Affe sie mit Possen unterhielt. Am Donnerstag wurde Faust vou
Studenten mit einem stattlichen Essen geehrt, wofür er wieder verschiedene
Wunder verrichtete, unter denen ein gebratner Kalbskopf, der unter dem Vor-
schneidemesser Mordio, Helfio schrie, das seltsamste war. Am weißen Sonntag
endlich, wo die Gesellschaft wieder bei Faust war und überm Wein die
Rede auf schöne Frauen kam, citirte ihnen der Schwarzkünstler Helena von
Graecia, die Hausfrau des Menelaus. "Diese Helena erschien in einem köst¬
lichen schwarzen Purpurkleide, ihr Haar hatte sie herabhängen, das schön, herr¬
lich wie Goldfarbe glänzte, anch so lang war, daß es ihr bis an die Knie¬
beugen hinabging, mit schönen kohlschwarzen Augen, ein lieblich Angesicht mit
einem runden Köpflein, ihre Lippen roth wie Kirschen, mit einem kleinen
Mündchen, einem Hals wie ein weißer Schwan, rothen Bäcklein wie Röschen,
eine lange gerade Person. In Summa: es war an ihr kein Unthätchen zu finden,
sie sah sich allenthalben in der Stube um mit gar frechem und bübischem Ge¬
sicht, daß die Studenten gegen ihr in Liebe entzündet waren."

Darauf folgen in unserm Buche eine Reihe komischer Streiche Fausts,
unter denen auffälliger Weise der Ritt auf dem Fasse aus Auerbachs Keller
nicht ist, wie denn nach dieser ältesten Schrift über Faust der Zauberer nie¬
mals in Leipzig gewesen wäre. Auf einer Fußreise nach Braunschweig, wo
er einem Marschalk von der Schwindsucht helfen soll, bittet er einen Bauern,
der einen leeren Wagen nach der Stadt fährt, ihn mitzunehmen, und als dieser
es ihm grob abschlägt, macht der Hexenmeister, daß ihm die vier Räder vom
Wagen abfliegen und jedes vor einem andern Thore liegen bleibt. Als er in
Gotha mit guten Freunden wohlbezecht spazieren geht und ihm ein Bauer
mit einem Fuder Heu entgegenkommt und nicht ausweichen will, frißt er ihm ohne
Weiteres den Wagen sammt dem Heu und den Pferden auf. Der Bauer läuft
zum Bürgermeister und klagt ihm sein Unglück. Als der aber lächelnd mit ihm
geht, um sich die Sache zu besehen, finden sie Rosse und Geschirr unversehrt an Ort
und Stelle. Faust hatte den Bauer nur verblendet. Aehnlich ergeht es einem
Bauer in Zwickau, mit dem Faust einig wird, er solle von der Ladung
Grummet, die jener heimfährt, für einen Löwenpfennig so viel essen dürfen,


mit vieler Mühe herunterholten. Faustus aber kam mit seiner Burse wohlbe¬
halten nach Hause, wo sie das Valete mit einander hielten mit dem Wein, so
er in des Bischofs Keller in große Flaschen gefüllet hatte." Am nächsten Tage
traktirte Faust seine Gaste abermals, indem er Flaschen und Schüsseln in
seinen Garten setzte, die ihm sein dienstbarer Geist aus den Küchen und Kellern
reicher Leute füllte. Am Aschermittwoch kamen sie wieder, und Faust ergötzte
sich durch allerhand Gaukelspiele, bei denen unsichtbare Orgeln, Lauten, Geigen,
Harfen und Posaunen spielten, Gläser, Becher und Töpfe auf dem Tisch tanzten
und ein Affe sie mit Possen unterhielt. Am Donnerstag wurde Faust vou
Studenten mit einem stattlichen Essen geehrt, wofür er wieder verschiedene
Wunder verrichtete, unter denen ein gebratner Kalbskopf, der unter dem Vor-
schneidemesser Mordio, Helfio schrie, das seltsamste war. Am weißen Sonntag
endlich, wo die Gesellschaft wieder bei Faust war und überm Wein die
Rede auf schöne Frauen kam, citirte ihnen der Schwarzkünstler Helena von
Graecia, die Hausfrau des Menelaus. „Diese Helena erschien in einem köst¬
lichen schwarzen Purpurkleide, ihr Haar hatte sie herabhängen, das schön, herr¬
lich wie Goldfarbe glänzte, anch so lang war, daß es ihr bis an die Knie¬
beugen hinabging, mit schönen kohlschwarzen Augen, ein lieblich Angesicht mit
einem runden Köpflein, ihre Lippen roth wie Kirschen, mit einem kleinen
Mündchen, einem Hals wie ein weißer Schwan, rothen Bäcklein wie Röschen,
eine lange gerade Person. In Summa: es war an ihr kein Unthätchen zu finden,
sie sah sich allenthalben in der Stube um mit gar frechem und bübischem Ge¬
sicht, daß die Studenten gegen ihr in Liebe entzündet waren."

Darauf folgen in unserm Buche eine Reihe komischer Streiche Fausts,
unter denen auffälliger Weise der Ritt auf dem Fasse aus Auerbachs Keller
nicht ist, wie denn nach dieser ältesten Schrift über Faust der Zauberer nie¬
mals in Leipzig gewesen wäre. Auf einer Fußreise nach Braunschweig, wo
er einem Marschalk von der Schwindsucht helfen soll, bittet er einen Bauern,
der einen leeren Wagen nach der Stadt fährt, ihn mitzunehmen, und als dieser
es ihm grob abschlägt, macht der Hexenmeister, daß ihm die vier Räder vom
Wagen abfliegen und jedes vor einem andern Thore liegen bleibt. Als er in
Gotha mit guten Freunden wohlbezecht spazieren geht und ihm ein Bauer
mit einem Fuder Heu entgegenkommt und nicht ausweichen will, frißt er ihm ohne
Weiteres den Wagen sammt dem Heu und den Pferden auf. Der Bauer läuft
zum Bürgermeister und klagt ihm sein Unglück. Als der aber lächelnd mit ihm
geht, um sich die Sache zu besehen, finden sie Rosse und Geschirr unversehrt an Ort
und Stelle. Faust hatte den Bauer nur verblendet. Aehnlich ergeht es einem
Bauer in Zwickau, mit dem Faust einig wird, er solle von der Ladung
Grummet, die jener heimfährt, für einen Löwenpfennig so viel essen dürfen,


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[0419] mit vieler Mühe herunterholten. Faustus aber kam mit seiner Burse wohlbe¬ halten nach Hause, wo sie das Valete mit einander hielten mit dem Wein, so er in des Bischofs Keller in große Flaschen gefüllet hatte." Am nächsten Tage traktirte Faust seine Gaste abermals, indem er Flaschen und Schüsseln in seinen Garten setzte, die ihm sein dienstbarer Geist aus den Küchen und Kellern reicher Leute füllte. Am Aschermittwoch kamen sie wieder, und Faust ergötzte sich durch allerhand Gaukelspiele, bei denen unsichtbare Orgeln, Lauten, Geigen, Harfen und Posaunen spielten, Gläser, Becher und Töpfe auf dem Tisch tanzten und ein Affe sie mit Possen unterhielt. Am Donnerstag wurde Faust vou Studenten mit einem stattlichen Essen geehrt, wofür er wieder verschiedene Wunder verrichtete, unter denen ein gebratner Kalbskopf, der unter dem Vor- schneidemesser Mordio, Helfio schrie, das seltsamste war. Am weißen Sonntag endlich, wo die Gesellschaft wieder bei Faust war und überm Wein die Rede auf schöne Frauen kam, citirte ihnen der Schwarzkünstler Helena von Graecia, die Hausfrau des Menelaus. „Diese Helena erschien in einem köst¬ lichen schwarzen Purpurkleide, ihr Haar hatte sie herabhängen, das schön, herr¬ lich wie Goldfarbe glänzte, anch so lang war, daß es ihr bis an die Knie¬ beugen hinabging, mit schönen kohlschwarzen Augen, ein lieblich Angesicht mit einem runden Köpflein, ihre Lippen roth wie Kirschen, mit einem kleinen Mündchen, einem Hals wie ein weißer Schwan, rothen Bäcklein wie Röschen, eine lange gerade Person. In Summa: es war an ihr kein Unthätchen zu finden, sie sah sich allenthalben in der Stube um mit gar frechem und bübischem Ge¬ sicht, daß die Studenten gegen ihr in Liebe entzündet waren." Darauf folgen in unserm Buche eine Reihe komischer Streiche Fausts, unter denen auffälliger Weise der Ritt auf dem Fasse aus Auerbachs Keller nicht ist, wie denn nach dieser ältesten Schrift über Faust der Zauberer nie¬ mals in Leipzig gewesen wäre. Auf einer Fußreise nach Braunschweig, wo er einem Marschalk von der Schwindsucht helfen soll, bittet er einen Bauern, der einen leeren Wagen nach der Stadt fährt, ihn mitzunehmen, und als dieser es ihm grob abschlägt, macht der Hexenmeister, daß ihm die vier Räder vom Wagen abfliegen und jedes vor einem andern Thore liegen bleibt. Als er in Gotha mit guten Freunden wohlbezecht spazieren geht und ihm ein Bauer mit einem Fuder Heu entgegenkommt und nicht ausweichen will, frißt er ihm ohne Weiteres den Wagen sammt dem Heu und den Pferden auf. Der Bauer läuft zum Bürgermeister und klagt ihm sein Unglück. Als der aber lächelnd mit ihm geht, um sich die Sache zu besehen, finden sie Rosse und Geschirr unversehrt an Ort und Stelle. Faust hatte den Bauer nur verblendet. Aehnlich ergeht es einem Bauer in Zwickau, mit dem Faust einig wird, er solle von der Ladung Grummet, die jener heimfährt, für einen Löwenpfennig so viel essen dürfen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/419>, abgerufen am 23.07.2024.