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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Das ist alles, was wir von dem historischen Faust wissen. Die Verfasser
der Bücher über sein Leben und Schicksal aber haben diesen Kern mit allerlei
Sagen und Mythen von Schwarzkünstlern, die vor ihm lebten oder gelebt
haben sollen, umkleidet und so ziemlich alles mit geringen Veränderungen auf
ihn übertragen, was von jenen verzeichnet war oder mündlich erzählt wurde.
Wir werden weiter unten einen Abriß seines auf diese Weise aufgeschmückten
Lebens mittheilen. Vorher aber thun wir einen Blick auf jene Vorgänger
Fausts, von denen Züge geborgt wurden, als man Faust zum Repräsentanten
der mit dem Teufel verbündeten schwarzen Magie überhaupt machte. Hier
begegnet uns zuerst nach dem bereits erwähnten Theophilus der große italienische
Zauberer Virgilius, der in Rom, Neapel und der Levante eine ungeheure
Menge wunderbarer Dinge verrichtete, und dessen schon Gervasius von Tilbnry
gedenkt. Später geriethen eine Anzahl Gelehrter, besonders solche, die sich mit
naturwissenschaftlichen Studien beschäftigten, u. A. Raimund Lullus, Albertus
Magnus, Cardanus, Johannes Tritheim, Cornelius Agrippa und Theophrastus
Paracelsus in den Verdacht, der schwarzen Kunst ergeben zu sein. Ebenso
erzählte man von mehreren Päpsten, daß sie im Bunde mit dem Teufel gelebt
und schließlich von ihm geholt worden. Endlich knüpfte sich an das Andenken
gewisser Fürsten, von denen wir nur Robert von der Normandie erwähnen,
dieselbe Sage.

Albertus Magnus empfing den Kaiser Wilhelm zu Köln um Weihnachten,
wo Alles draußen Eis und Schnee war, in einem grünen blühenden Garten,
in dessen Wipfeln Nachtigallen sangen. Als ein ander Mal ein Fürst von
ihm Austern verlangte, klopfte er nur ans Fenster, und sofort reichte jemand
eine Schüssel herein, die mit Austern gefüllt und, wie sich später ergab, aus
der Küche des Königs von Frankreich verschwunden war. Erlolfus, der zauber-
knndige Abt von Fulda, verstand, wie die Sage behauptete, Wein jeder Sorte
ans Holzpflöckchen zu zapfen, die er in den Tisch geschlagen. Johannes Teu-
tonicus, ein Domherr zu Halberstadt, der im dreizehnten Jahrhundert lebte,
schnitt einem seiner betrunkenen Kumpane auf seiner Stube den Kopf ab und
irng ihn anf einer Schüssel zu den Uebrigen hinunter. Diese liefen hinauf
und fanden die ganze Stube voll Blut, aber siehe da, als sie wieder hinunter¬
stiegen, saß der Getödtete munter und gesund am Tische. Teutonieus hatte
in Halberstadt, Mainz und Köln Pfründen und mußte in der Christnacht an
jedem der drei Orte eine Messe lesen. Zu diesem Zwecke hatte er in seiner
Schreibstube einen Zaum hängen, und wenn die Zeit zum Messelesen kam,
sagte er zu seinem Diener: "Jung', nimm den Zaum, geh in den Hof und
winke mit dem Zaume." Dann kam sogleich ein Zauberpferd, mit dem der
Pfaffe davonflog. Scotus in Frankfurt fuhr mit Hunden in der Luft herum


Das ist alles, was wir von dem historischen Faust wissen. Die Verfasser
der Bücher über sein Leben und Schicksal aber haben diesen Kern mit allerlei
Sagen und Mythen von Schwarzkünstlern, die vor ihm lebten oder gelebt
haben sollen, umkleidet und so ziemlich alles mit geringen Veränderungen auf
ihn übertragen, was von jenen verzeichnet war oder mündlich erzählt wurde.
Wir werden weiter unten einen Abriß seines auf diese Weise aufgeschmückten
Lebens mittheilen. Vorher aber thun wir einen Blick auf jene Vorgänger
Fausts, von denen Züge geborgt wurden, als man Faust zum Repräsentanten
der mit dem Teufel verbündeten schwarzen Magie überhaupt machte. Hier
begegnet uns zuerst nach dem bereits erwähnten Theophilus der große italienische
Zauberer Virgilius, der in Rom, Neapel und der Levante eine ungeheure
Menge wunderbarer Dinge verrichtete, und dessen schon Gervasius von Tilbnry
gedenkt. Später geriethen eine Anzahl Gelehrter, besonders solche, die sich mit
naturwissenschaftlichen Studien beschäftigten, u. A. Raimund Lullus, Albertus
Magnus, Cardanus, Johannes Tritheim, Cornelius Agrippa und Theophrastus
Paracelsus in den Verdacht, der schwarzen Kunst ergeben zu sein. Ebenso
erzählte man von mehreren Päpsten, daß sie im Bunde mit dem Teufel gelebt
und schließlich von ihm geholt worden. Endlich knüpfte sich an das Andenken
gewisser Fürsten, von denen wir nur Robert von der Normandie erwähnen,
dieselbe Sage.

Albertus Magnus empfing den Kaiser Wilhelm zu Köln um Weihnachten,
wo Alles draußen Eis und Schnee war, in einem grünen blühenden Garten,
in dessen Wipfeln Nachtigallen sangen. Als ein ander Mal ein Fürst von
ihm Austern verlangte, klopfte er nur ans Fenster, und sofort reichte jemand
eine Schüssel herein, die mit Austern gefüllt und, wie sich später ergab, aus
der Küche des Königs von Frankreich verschwunden war. Erlolfus, der zauber-
knndige Abt von Fulda, verstand, wie die Sage behauptete, Wein jeder Sorte
ans Holzpflöckchen zu zapfen, die er in den Tisch geschlagen. Johannes Teu-
tonicus, ein Domherr zu Halberstadt, der im dreizehnten Jahrhundert lebte,
schnitt einem seiner betrunkenen Kumpane auf seiner Stube den Kopf ab und
irng ihn anf einer Schüssel zu den Uebrigen hinunter. Diese liefen hinauf
und fanden die ganze Stube voll Blut, aber siehe da, als sie wieder hinunter¬
stiegen, saß der Getödtete munter und gesund am Tische. Teutonieus hatte
in Halberstadt, Mainz und Köln Pfründen und mußte in der Christnacht an
jedem der drei Orte eine Messe lesen. Zu diesem Zwecke hatte er in seiner
Schreibstube einen Zaum hängen, und wenn die Zeit zum Messelesen kam,
sagte er zu seinem Diener: „Jung', nimm den Zaum, geh in den Hof und
winke mit dem Zaume." Dann kam sogleich ein Zauberpferd, mit dem der
Pfaffe davonflog. Scotus in Frankfurt fuhr mit Hunden in der Luft herum


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[0411] Das ist alles, was wir von dem historischen Faust wissen. Die Verfasser der Bücher über sein Leben und Schicksal aber haben diesen Kern mit allerlei Sagen und Mythen von Schwarzkünstlern, die vor ihm lebten oder gelebt haben sollen, umkleidet und so ziemlich alles mit geringen Veränderungen auf ihn übertragen, was von jenen verzeichnet war oder mündlich erzählt wurde. Wir werden weiter unten einen Abriß seines auf diese Weise aufgeschmückten Lebens mittheilen. Vorher aber thun wir einen Blick auf jene Vorgänger Fausts, von denen Züge geborgt wurden, als man Faust zum Repräsentanten der mit dem Teufel verbündeten schwarzen Magie überhaupt machte. Hier begegnet uns zuerst nach dem bereits erwähnten Theophilus der große italienische Zauberer Virgilius, der in Rom, Neapel und der Levante eine ungeheure Menge wunderbarer Dinge verrichtete, und dessen schon Gervasius von Tilbnry gedenkt. Später geriethen eine Anzahl Gelehrter, besonders solche, die sich mit naturwissenschaftlichen Studien beschäftigten, u. A. Raimund Lullus, Albertus Magnus, Cardanus, Johannes Tritheim, Cornelius Agrippa und Theophrastus Paracelsus in den Verdacht, der schwarzen Kunst ergeben zu sein. Ebenso erzählte man von mehreren Päpsten, daß sie im Bunde mit dem Teufel gelebt und schließlich von ihm geholt worden. Endlich knüpfte sich an das Andenken gewisser Fürsten, von denen wir nur Robert von der Normandie erwähnen, dieselbe Sage. Albertus Magnus empfing den Kaiser Wilhelm zu Köln um Weihnachten, wo Alles draußen Eis und Schnee war, in einem grünen blühenden Garten, in dessen Wipfeln Nachtigallen sangen. Als ein ander Mal ein Fürst von ihm Austern verlangte, klopfte er nur ans Fenster, und sofort reichte jemand eine Schüssel herein, die mit Austern gefüllt und, wie sich später ergab, aus der Küche des Königs von Frankreich verschwunden war. Erlolfus, der zauber- knndige Abt von Fulda, verstand, wie die Sage behauptete, Wein jeder Sorte ans Holzpflöckchen zu zapfen, die er in den Tisch geschlagen. Johannes Teu- tonicus, ein Domherr zu Halberstadt, der im dreizehnten Jahrhundert lebte, schnitt einem seiner betrunkenen Kumpane auf seiner Stube den Kopf ab und irng ihn anf einer Schüssel zu den Uebrigen hinunter. Diese liefen hinauf und fanden die ganze Stube voll Blut, aber siehe da, als sie wieder hinunter¬ stiegen, saß der Getödtete munter und gesund am Tische. Teutonieus hatte in Halberstadt, Mainz und Köln Pfründen und mußte in der Christnacht an jedem der drei Orte eine Messe lesen. Zu diesem Zwecke hatte er in seiner Schreibstube einen Zaum hängen, und wenn die Zeit zum Messelesen kam, sagte er zu seinem Diener: „Jung', nimm den Zaum, geh in den Hof und winke mit dem Zaume." Dann kam sogleich ein Zauberpferd, mit dem der Pfaffe davonflog. Scotus in Frankfurt fuhr mit Hunden in der Luft herum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/411>, abgerufen am 23.07.2024.