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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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wie je vorher der Fall war, -- nach Ablauf der ihm gewährten Frist prompt
in die Holle abgeholt. Dennoch haben Faust und Eulenspiegel eine gewisse
Verwandtschaft: beide gehören der Klasse der fahrenden Leute an, und neben
dem Ernst in Fausts Leben gehen Streiche her, die lebhaft an den Narren
erinnern. Ein großer Theil feiner Kunststücke und Zauberspiele lauft auf
Täuschung, Fopperei und lustigen Schabernack hinaus.

Fragen wir nun, wie die Faustsage entstände" ist, so ergibt sich zunächst,
daß sie einen historischen Kern hat, dann, daß sie in der Gestalt, in
welcher sie zuerst fixirt auftrat, kein Produkt der Mythenbildung, sondern ein
absichtliches Erzeugnis; ist, welches eiuen bestimmten moralischen Zweck ver¬
folgt. Mit andern Worten, es leidet keinen Zweifel, daß in der ersten Hälfte
des sechzehnten Jahrhunderts eine Persönlichkeit Namens Fairst gelebt hat,
und daß bald nach Ableben derselben deren abenteuerliches Thun und Treiben,
verschmolzen und noch wunderbarer gemacht mit Zügen, die vou früheren
Schwarzkünstlern und Teufelsbündnissen weniger im Volksmunde, als in den
Kreisen der gelehrten Welt lebten, in einem Buche beschriebe" wurde, welches
die Absicht verfolgte, vor dem Verkehr mit dem Teufel zu warnen, und dessen
Inhalt dann abgekürzt auch in die unteren Schichten des Volkes drang.

Faust wurde uach dieser Schrift, die in erster Auflage 1587 zu Frank¬
furt a. M. erschien, in Roda bei Jena, nach Widmanns ausführlicherer Bio¬
graphie von ihm, die 1599 in Hamburg herauskam, in dem anhaltischen Markt¬
flecken Sondwedel geboren. Richtiger aber scheint, daß er ein Schwabe war;
denn Wier, sein Zeitgenosse, sagt, sein Geburtsort sei ein würtembergisches Dorf,
und der mit ihm persönlich bekannt gewesene Martius nennt in seinen
Collectaneen als solchen Kundlingen, das heutige Knittlingen. Die Zeit, in
welcher Faust eine Rolle spielte, liegt zwischen den Jahren 1525 und 1549.
Nach Konrad Gesner wäre er 1561 in feiner Heimat gestorben. Er war
ein "fahrender Schüler", etwas von einem Gelehrten, viel von einem Gankler
und Taschenspieler, und vermuthlich ebenso viel von einem Jndustrieritter und
Prellkünstler, der sein Vorgeben, Geister bannen und citiren und mit deren
Hülfe sich und Andern Vortheile verschaffen zu können, mit physikalischen
Kenntnissen, großer Fingerfertigkeit und einem gewissen Scharfblick für die
Schwächen seiner Umgebung glaubhaft zu macheu verstand. Sonst scheint nur
festzustehen, daß er in Krakau studirt und sich später viel auf Reisen befunden
hat, und daß er ein lebenslustiger Gesell gewesen ist, der Freude an Gelagen
und Weibern hatte. Melanchthon, sein Landsmann, hat ihn uuter Johann
dem Beständiger in Wittenberg kennen gelernt. Er gibt ihm den Vornamen
Johannes, während die Humanisten Mutianus Rufus und Johannes Tritheim
ihn Georg nennen.


wie je vorher der Fall war, — nach Ablauf der ihm gewährten Frist prompt
in die Holle abgeholt. Dennoch haben Faust und Eulenspiegel eine gewisse
Verwandtschaft: beide gehören der Klasse der fahrenden Leute an, und neben
dem Ernst in Fausts Leben gehen Streiche her, die lebhaft an den Narren
erinnern. Ein großer Theil feiner Kunststücke und Zauberspiele lauft auf
Täuschung, Fopperei und lustigen Schabernack hinaus.

Fragen wir nun, wie die Faustsage entstände« ist, so ergibt sich zunächst,
daß sie einen historischen Kern hat, dann, daß sie in der Gestalt, in
welcher sie zuerst fixirt auftrat, kein Produkt der Mythenbildung, sondern ein
absichtliches Erzeugnis; ist, welches eiuen bestimmten moralischen Zweck ver¬
folgt. Mit andern Worten, es leidet keinen Zweifel, daß in der ersten Hälfte
des sechzehnten Jahrhunderts eine Persönlichkeit Namens Fairst gelebt hat,
und daß bald nach Ableben derselben deren abenteuerliches Thun und Treiben,
verschmolzen und noch wunderbarer gemacht mit Zügen, die vou früheren
Schwarzkünstlern und Teufelsbündnissen weniger im Volksmunde, als in den
Kreisen der gelehrten Welt lebten, in einem Buche beschriebe» wurde, welches
die Absicht verfolgte, vor dem Verkehr mit dem Teufel zu warnen, und dessen
Inhalt dann abgekürzt auch in die unteren Schichten des Volkes drang.

Faust wurde uach dieser Schrift, die in erster Auflage 1587 zu Frank¬
furt a. M. erschien, in Roda bei Jena, nach Widmanns ausführlicherer Bio¬
graphie von ihm, die 1599 in Hamburg herauskam, in dem anhaltischen Markt¬
flecken Sondwedel geboren. Richtiger aber scheint, daß er ein Schwabe war;
denn Wier, sein Zeitgenosse, sagt, sein Geburtsort sei ein würtembergisches Dorf,
und der mit ihm persönlich bekannt gewesene Martius nennt in seinen
Collectaneen als solchen Kundlingen, das heutige Knittlingen. Die Zeit, in
welcher Faust eine Rolle spielte, liegt zwischen den Jahren 1525 und 1549.
Nach Konrad Gesner wäre er 1561 in feiner Heimat gestorben. Er war
ein „fahrender Schüler", etwas von einem Gelehrten, viel von einem Gankler
und Taschenspieler, und vermuthlich ebenso viel von einem Jndustrieritter und
Prellkünstler, der sein Vorgeben, Geister bannen und citiren und mit deren
Hülfe sich und Andern Vortheile verschaffen zu können, mit physikalischen
Kenntnissen, großer Fingerfertigkeit und einem gewissen Scharfblick für die
Schwächen seiner Umgebung glaubhaft zu macheu verstand. Sonst scheint nur
festzustehen, daß er in Krakau studirt und sich später viel auf Reisen befunden
hat, und daß er ein lebenslustiger Gesell gewesen ist, der Freude an Gelagen
und Weibern hatte. Melanchthon, sein Landsmann, hat ihn uuter Johann
dem Beständiger in Wittenberg kennen gelernt. Er gibt ihm den Vornamen
Johannes, während die Humanisten Mutianus Rufus und Johannes Tritheim
ihn Georg nennen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/410>, abgerufen am 23.07.2024.