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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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in erster Linie, zu "Protestiren", zu Protestiren gegen die Annexion, zu protestiren
gegen Alles und Jedes, was ihnen die neue Verwaltung gebracht, so heißt
heute ihr Wahlspruch: "Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!"

Das ohnmächtige System der Enthaltung, dessen unangenehme Folgen
man allenthalben im Lande gespürt hat, ist so ziemlich allgemein gerichtet.
Der ausgesprochene Wille der Elscisser ist in ihrer Mehrheit, diesmal mit zu
rathen und mit zu thaten. Der maßgebende Theil der Bevölkerung ist "xost.
tot cliserimina rerum'° zu der Einsicht gekommen, daß es damit nicht gethan
sei, die Hände in den Schooß zu legen und zuzusehen, "was daraus werden
wird"; daß das seither beliebte "I^isskö Küre et passer" immer nur zu Un-
gunsten des Landes und seiner verfassungsmüßigen Entwicklung ausschlagen
kann; daß, will man ernstlich Erfolgreiches und Ersprießliches für die Zukunft
erreichen, man sich unweigerlich und ohne unfruchtbare, retrofpective Gelüste
auf dem Boden der neuen Verhältnisse, wie sie sich einmal nach dem noth¬
wendigen historischen Verlauf der Dinge gestaltet haben, stellen und von hier
aus diejenigen Reformen anzubahnen suchen muß, die man in der Folge erstrebt.

War es nun unter den damaligen mißlichen Verhältnissen, "an lenctemain
ne ig. Auerrs", wie sich ein oberelsässisches Blatt kürzlich ausdrückte, "wo die
Options-Periode kaum geschlossen und das Elsaß blutenden Herzens den Verlust
vieler seiner Kinder zu beweinen hatte" -- war es unter diesen Umständen
der klerikalen Partei im Lande ein Leichtes, im Trüben zu fischen und bei der
allgemeinen Apathie und Lethargie der Bevölkerung ihre Centrnmskandidaten
überall durchzubringen, wo sie sich nur regen mochte, so wird ihr diesmal,
wo sich Vieles geklärt und Vieles geändert hat, wo die Elscisser ihren alten
Muth und die gesunde Lebensfrische und bahnbrechende Thatkraft wieder ge¬
wonnen haben, ohne die von einer Fortentwicklung, von politischem und com-
munalen Leben nicht die Rede sein kann, manch' herber Strauß uicht erspart
bleiben. Sie wird diesmal die altelsässisch-liberale Partei auf ihrem Posten
finden, alle Mann an Bord, wie sie sich im Landesansschuß verkörpert und
wie sie unter dem Titel "Autonomsten-Partei" schon häufiger von sich hat
reden machen.

Weit davon entfernt, bezüglich der künftigen Wahlresultate im Reichslande
schon jetzt den Himmel voll Geigen und die Wahlurnen voll Wahlzettel sehen
zu wollen, darf man doch der sichern Ueberzeugung leben, daß wenigstensZdas
Elsaß bei den neuen Wahlen eine Anzahl Männer in den deutschen Reichstag
senden wird, die aus ehrlicher liberaler Gesinnung das zu erreichen streben
werden, was die jetzigen falschen Propheten des Landes mit ihrer Pastoralen
Redseligkeit nimmer erreichen werden; die es auch nicht verschmähen, mit den
altdeutschen Collegen zusammen zu wirken und sich unverdrossen und mit Eifer


Grenzboten l. 187?. 5

in erster Linie, zu „Protestiren", zu Protestiren gegen die Annexion, zu protestiren
gegen Alles und Jedes, was ihnen die neue Verwaltung gebracht, so heißt
heute ihr Wahlspruch: „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!"

Das ohnmächtige System der Enthaltung, dessen unangenehme Folgen
man allenthalben im Lande gespürt hat, ist so ziemlich allgemein gerichtet.
Der ausgesprochene Wille der Elscisser ist in ihrer Mehrheit, diesmal mit zu
rathen und mit zu thaten. Der maßgebende Theil der Bevölkerung ist „xost.
tot cliserimina rerum'° zu der Einsicht gekommen, daß es damit nicht gethan
sei, die Hände in den Schooß zu legen und zuzusehen, „was daraus werden
wird"; daß das seither beliebte „I^isskö Küre et passer" immer nur zu Un-
gunsten des Landes und seiner verfassungsmüßigen Entwicklung ausschlagen
kann; daß, will man ernstlich Erfolgreiches und Ersprießliches für die Zukunft
erreichen, man sich unweigerlich und ohne unfruchtbare, retrofpective Gelüste
auf dem Boden der neuen Verhältnisse, wie sie sich einmal nach dem noth¬
wendigen historischen Verlauf der Dinge gestaltet haben, stellen und von hier
aus diejenigen Reformen anzubahnen suchen muß, die man in der Folge erstrebt.

War es nun unter den damaligen mißlichen Verhältnissen, „an lenctemain
ne ig. Auerrs", wie sich ein oberelsässisches Blatt kürzlich ausdrückte, „wo die
Options-Periode kaum geschlossen und das Elsaß blutenden Herzens den Verlust
vieler seiner Kinder zu beweinen hatte" — war es unter diesen Umständen
der klerikalen Partei im Lande ein Leichtes, im Trüben zu fischen und bei der
allgemeinen Apathie und Lethargie der Bevölkerung ihre Centrnmskandidaten
überall durchzubringen, wo sie sich nur regen mochte, so wird ihr diesmal,
wo sich Vieles geklärt und Vieles geändert hat, wo die Elscisser ihren alten
Muth und die gesunde Lebensfrische und bahnbrechende Thatkraft wieder ge¬
wonnen haben, ohne die von einer Fortentwicklung, von politischem und com-
munalen Leben nicht die Rede sein kann, manch' herber Strauß uicht erspart
bleiben. Sie wird diesmal die altelsässisch-liberale Partei auf ihrem Posten
finden, alle Mann an Bord, wie sie sich im Landesansschuß verkörpert und
wie sie unter dem Titel „Autonomsten-Partei" schon häufiger von sich hat
reden machen.

Weit davon entfernt, bezüglich der künftigen Wahlresultate im Reichslande
schon jetzt den Himmel voll Geigen und die Wahlurnen voll Wahlzettel sehen
zu wollen, darf man doch der sichern Ueberzeugung leben, daß wenigstensZdas
Elsaß bei den neuen Wahlen eine Anzahl Männer in den deutschen Reichstag
senden wird, die aus ehrlicher liberaler Gesinnung das zu erreichen streben
werden, was die jetzigen falschen Propheten des Landes mit ihrer Pastoralen
Redseligkeit nimmer erreichen werden; die es auch nicht verschmähen, mit den
altdeutschen Collegen zusammen zu wirken und sich unverdrossen und mit Eifer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/41>, abgerufen am 23.07.2024.