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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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des belgischen Volkslebens durch die ausführlichen Schilderungen der kirchlichen
Brüderschaften, der Waffengilden und Handwerksinnungen vervollständigt.

Aus dem Kapitel über die Carnevalsgesellschaften, Fastnachts- und sonstige
Gelage möge folgende Darstellung eines Fast nachts halt es im Spiegel-
hove vor dein Brügger Thore zu Gent Platz finden:

Man denke sich einen Saal, der an viertausend Menschen faßt; man denke sich
diesen Saal angefüllt mit Burschen und Mädchen, Männern und Weibern aus
den unteren und untersten Klassen, Kopf an Kopf, Arm an Arm in den
wunderlichsten, bizzaresten Anzügen und Vermummungen, mit Klappern, Rasseln,
Hörnern, Trompeten, Pfeifen und sonstigen Zuthaten in den Händen und vor
dem Munde, mit schwerem Schuhwerk, zum Theil Holzpantoffeln an den
Füßen, trinkend und rauchend, sich drängend und neckend, schäkernd und
lachend, unaufhörlich in Bewegung, ohne vom Fleck zu kommen, springend ohne
zu tanzen, schreiend und blasend in allen Tonarten, singend in allen Weisen,
alles im wildesten, tollsten Durcheinander, ohne Aufhören und Unterlaß; man
denke sich dies und füge einen entsprechenden Dunstkreis hinzu, und man hat
eine ungefähre Vorstellung von dem Bilde, das an der stets geöffneten und
stets einströmenden Eingangs- und Ausgangspforte sich aufdrängt. Man fasse
aber nur Muth und trete ein, wofür eine kleine Vergütung gezahlt wird. Es
wird dir zwar niemand Platz machen wollen, und selbst wenn einer wollte,
er könnte es kaum; aber es wird dir auch niemand hindern, stück- und sto߬
weise weiter zu dringen. Nur Muth und Beharrlichkeit. Am anderen Ende
des Saales ist eine kleine Erhöhung, dort zahlst du nochmals zehn Centimes
und findest auf diesem Luxusplatze schou einigen Raum und bei Glück oder
Ausharren auch wohl einen Sitz, um dich ein wenig auf dich selbst besinnen
zu können. Du mußt aber Augen und Ohren verschließen, wenn du den be¬
täubten Sinnen etwas Ruhe gönnen willst. Oeffne dann die einen oder die .
anderen, und du hast abermals einen Eindruck der unbeschreiblichsten Art.
Nach einigem Anschaun gewahrst du, daß an der Seite des Saales eine
Musikbühne angebracht, und daß diese wirklich mit einer Anzahl Tonkünstler
besetzt ist. Aber es dauert noch geraume Zeit, ehe du irgend einen Laut von
ihnen vernimmst. Endlich erschallt ein Trommelwirbel oder Hornstoß, und es
kommt dir vor, als hörtest du in dem brausenden Chaos ein paar taktmäßige
Töne. schmähliche Täuschung! Das Geheul der Elemente verschlingt allen
Einklang, der möglicher Weise da sein könnte, und der höllische Mischmasch hat
von Neuem die Oberhand.

Nach einiger Zeit wiederholt sich der Vorgang, und in der That, jetzt
werden einige Taktklünge vernehmlich; das wüste Durcheinander bekommt eine
Ahnung davon, es wird stiller; hier und da zeigt sich eine Erscheinung, als


des belgischen Volkslebens durch die ausführlichen Schilderungen der kirchlichen
Brüderschaften, der Waffengilden und Handwerksinnungen vervollständigt.

Aus dem Kapitel über die Carnevalsgesellschaften, Fastnachts- und sonstige
Gelage möge folgende Darstellung eines Fast nachts halt es im Spiegel-
hove vor dein Brügger Thore zu Gent Platz finden:

Man denke sich einen Saal, der an viertausend Menschen faßt; man denke sich
diesen Saal angefüllt mit Burschen und Mädchen, Männern und Weibern aus
den unteren und untersten Klassen, Kopf an Kopf, Arm an Arm in den
wunderlichsten, bizzaresten Anzügen und Vermummungen, mit Klappern, Rasseln,
Hörnern, Trompeten, Pfeifen und sonstigen Zuthaten in den Händen und vor
dem Munde, mit schwerem Schuhwerk, zum Theil Holzpantoffeln an den
Füßen, trinkend und rauchend, sich drängend und neckend, schäkernd und
lachend, unaufhörlich in Bewegung, ohne vom Fleck zu kommen, springend ohne
zu tanzen, schreiend und blasend in allen Tonarten, singend in allen Weisen,
alles im wildesten, tollsten Durcheinander, ohne Aufhören und Unterlaß; man
denke sich dies und füge einen entsprechenden Dunstkreis hinzu, und man hat
eine ungefähre Vorstellung von dem Bilde, das an der stets geöffneten und
stets einströmenden Eingangs- und Ausgangspforte sich aufdrängt. Man fasse
aber nur Muth und trete ein, wofür eine kleine Vergütung gezahlt wird. Es
wird dir zwar niemand Platz machen wollen, und selbst wenn einer wollte,
er könnte es kaum; aber es wird dir auch niemand hindern, stück- und sto߬
weise weiter zu dringen. Nur Muth und Beharrlichkeit. Am anderen Ende
des Saales ist eine kleine Erhöhung, dort zahlst du nochmals zehn Centimes
und findest auf diesem Luxusplatze schou einigen Raum und bei Glück oder
Ausharren auch wohl einen Sitz, um dich ein wenig auf dich selbst besinnen
zu können. Du mußt aber Augen und Ohren verschließen, wenn du den be¬
täubten Sinnen etwas Ruhe gönnen willst. Oeffne dann die einen oder die .
anderen, und du hast abermals einen Eindruck der unbeschreiblichsten Art.
Nach einigem Anschaun gewahrst du, daß an der Seite des Saales eine
Musikbühne angebracht, und daß diese wirklich mit einer Anzahl Tonkünstler
besetzt ist. Aber es dauert noch geraume Zeit, ehe du irgend einen Laut von
ihnen vernimmst. Endlich erschallt ein Trommelwirbel oder Hornstoß, und es
kommt dir vor, als hörtest du in dem brausenden Chaos ein paar taktmäßige
Töne. schmähliche Täuschung! Das Geheul der Elemente verschlingt allen
Einklang, der möglicher Weise da sein könnte, und der höllische Mischmasch hat
von Neuem die Oberhand.

Nach einiger Zeit wiederholt sich der Vorgang, und in der That, jetzt
werden einige Taktklünge vernehmlich; das wüste Durcheinander bekommt eine
Ahnung davon, es wird stiller; hier und da zeigt sich eine Erscheinung, als


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[0396] des belgischen Volkslebens durch die ausführlichen Schilderungen der kirchlichen Brüderschaften, der Waffengilden und Handwerksinnungen vervollständigt. Aus dem Kapitel über die Carnevalsgesellschaften, Fastnachts- und sonstige Gelage möge folgende Darstellung eines Fast nachts halt es im Spiegel- hove vor dein Brügger Thore zu Gent Platz finden: Man denke sich einen Saal, der an viertausend Menschen faßt; man denke sich diesen Saal angefüllt mit Burschen und Mädchen, Männern und Weibern aus den unteren und untersten Klassen, Kopf an Kopf, Arm an Arm in den wunderlichsten, bizzaresten Anzügen und Vermummungen, mit Klappern, Rasseln, Hörnern, Trompeten, Pfeifen und sonstigen Zuthaten in den Händen und vor dem Munde, mit schwerem Schuhwerk, zum Theil Holzpantoffeln an den Füßen, trinkend und rauchend, sich drängend und neckend, schäkernd und lachend, unaufhörlich in Bewegung, ohne vom Fleck zu kommen, springend ohne zu tanzen, schreiend und blasend in allen Tonarten, singend in allen Weisen, alles im wildesten, tollsten Durcheinander, ohne Aufhören und Unterlaß; man denke sich dies und füge einen entsprechenden Dunstkreis hinzu, und man hat eine ungefähre Vorstellung von dem Bilde, das an der stets geöffneten und stets einströmenden Eingangs- und Ausgangspforte sich aufdrängt. Man fasse aber nur Muth und trete ein, wofür eine kleine Vergütung gezahlt wird. Es wird dir zwar niemand Platz machen wollen, und selbst wenn einer wollte, er könnte es kaum; aber es wird dir auch niemand hindern, stück- und sto߬ weise weiter zu dringen. Nur Muth und Beharrlichkeit. Am anderen Ende des Saales ist eine kleine Erhöhung, dort zahlst du nochmals zehn Centimes und findest auf diesem Luxusplatze schou einigen Raum und bei Glück oder Ausharren auch wohl einen Sitz, um dich ein wenig auf dich selbst besinnen zu können. Du mußt aber Augen und Ohren verschließen, wenn du den be¬ täubten Sinnen etwas Ruhe gönnen willst. Oeffne dann die einen oder die . anderen, und du hast abermals einen Eindruck der unbeschreiblichsten Art. Nach einigem Anschaun gewahrst du, daß an der Seite des Saales eine Musikbühne angebracht, und daß diese wirklich mit einer Anzahl Tonkünstler besetzt ist. Aber es dauert noch geraume Zeit, ehe du irgend einen Laut von ihnen vernimmst. Endlich erschallt ein Trommelwirbel oder Hornstoß, und es kommt dir vor, als hörtest du in dem brausenden Chaos ein paar taktmäßige Töne. schmähliche Täuschung! Das Geheul der Elemente verschlingt allen Einklang, der möglicher Weise da sein könnte, und der höllische Mischmasch hat von Neuem die Oberhand. Nach einiger Zeit wiederholt sich der Vorgang, und in der That, jetzt werden einige Taktklünge vernehmlich; das wüste Durcheinander bekommt eine Ahnung davon, es wird stiller; hier und da zeigt sich eine Erscheinung, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/396>, abgerufen am 23.07.2024.