Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wahl der Individuen betrieben, und zwar vorzüglich in Betreff der Vocklämmer.
Im Jahre 1815 hatte Thaer die Schäferei, nachdem über hundert Stück aus¬
gemerzt und 110 junge Böcke verkauft worden waren, bereits auf 700 Stück
gebracht.

Die Kunst der Kreuzung, die Thaer sich einst in seinem Garten bei Celle
bei der Zucht von Nelken und Aurikeln erworben, wo er immer schönere
Sorten zu erzeugen gelernt hatte, kam ihm jetzt bei seiner Heerde zu Stätte".
Ausgebreitete Kenntniß physiologischer Verhältnisse / ein feiner angeborner In¬
stinkt und wohl auch eine glückliche Hand vereinigten sich bei ihm und ließen
ihn zu den glänzendsten Ergebnissen gelangen. Schon 1815 und 1816 wurde
seine Wolle auf dem berliner Markte für die beste erklärt, und 1817 schrieb
er seiner Frau: "Für mich ist der diesjährige Wollmarkt zwar nicht der
Pekuniär beste, aber der gloriöseste, den ich erlebt habe. Meine Wolle ist um
Zwanzig Procent geringer verkauft wie im vorigen Jahre, aber um zwanzig
Procent höher, wie irgend eine Wolle hier und in ganz Deutschland verkauft
ist und werden wird. Unter allen Wollhändlern und Wollproducenten ist es
ganz entschieden angenommen, daß meiner Wolle keine in ganz Europa nahe
komme, viel weniger ihr eine an die Seite zu setzen sei. Dies ist so das
Tagesgespräch geworden und so über das Gemeine hinweggehoben, daß ich
auch keine Spur des Neides bemerke. Jeder erkennt es an, daß ich das Außer¬
ordentliche errungen habe, worauf kein Anderer Anspruch machen kann. Solche
Wolle, sagt man, kann man erzeugen; denn Möglin hat sie erzeugt. Wenn ich
auf den Markt komme, fo steht Alles mit dem Hute in der Hand. Ich heiße
bereits der Wollmarktskönig."

Wie einst Schubart von vielen Seiten angefeindet worden war, so hatte
auch Thaer seine Gegner und Widersacher, aber die Angriffe, die er erfuhr,
blieben vereinzelt, und namentlich auf dem Gebiete der Schafzucht wurde er
bon Jahr zu Jahr mehr eine europäische Autorität und selbst im Scherze von
seinen Zeitgenossen als der deutsche "Wollthaer" (Voltaire) gerühmt. Der
König Friedrich Wilhelm ernannte ihn zum Generalintendanten der beiden
großen Stammschäfereien, die im Jahre 1816 auf Kosten des Staates zu
Frankenfelde in der Mark und zu Panter in Schlesien errichtet wurden, und
als auf Thaers Anregung 1823 der erste Wollzüchter-Convent in Leipzig zu¬
sammentrat, wählte man ihn nicht nur selbstverständlich zum Vorsitzenden,
sondern huldigte ihm zugleich als oberstem Meister der ganzen Versammlung.

Schon in seiner kleinen Wirthschaft bei Celle, welche nur 110 Morgen
Ackerland und 18 Morgen Wiese umfaßte, hatte sich Thaer die Ausgabe ge¬
stellt, deu sandigen und der Kultur widerstrebenden Boden auf eine möglichst
hohe Kulturstufe zu bringen. Nach den bei diesem Bestreben gesammelten Er-


Wahl der Individuen betrieben, und zwar vorzüglich in Betreff der Vocklämmer.
Im Jahre 1815 hatte Thaer die Schäferei, nachdem über hundert Stück aus¬
gemerzt und 110 junge Böcke verkauft worden waren, bereits auf 700 Stück
gebracht.

Die Kunst der Kreuzung, die Thaer sich einst in seinem Garten bei Celle
bei der Zucht von Nelken und Aurikeln erworben, wo er immer schönere
Sorten zu erzeugen gelernt hatte, kam ihm jetzt bei seiner Heerde zu Stätte«.
Ausgebreitete Kenntniß physiologischer Verhältnisse / ein feiner angeborner In¬
stinkt und wohl auch eine glückliche Hand vereinigten sich bei ihm und ließen
ihn zu den glänzendsten Ergebnissen gelangen. Schon 1815 und 1816 wurde
seine Wolle auf dem berliner Markte für die beste erklärt, und 1817 schrieb
er seiner Frau: „Für mich ist der diesjährige Wollmarkt zwar nicht der
Pekuniär beste, aber der gloriöseste, den ich erlebt habe. Meine Wolle ist um
Zwanzig Procent geringer verkauft wie im vorigen Jahre, aber um zwanzig
Procent höher, wie irgend eine Wolle hier und in ganz Deutschland verkauft
ist und werden wird. Unter allen Wollhändlern und Wollproducenten ist es
ganz entschieden angenommen, daß meiner Wolle keine in ganz Europa nahe
komme, viel weniger ihr eine an die Seite zu setzen sei. Dies ist so das
Tagesgespräch geworden und so über das Gemeine hinweggehoben, daß ich
auch keine Spur des Neides bemerke. Jeder erkennt es an, daß ich das Außer¬
ordentliche errungen habe, worauf kein Anderer Anspruch machen kann. Solche
Wolle, sagt man, kann man erzeugen; denn Möglin hat sie erzeugt. Wenn ich
auf den Markt komme, fo steht Alles mit dem Hute in der Hand. Ich heiße
bereits der Wollmarktskönig."

Wie einst Schubart von vielen Seiten angefeindet worden war, so hatte
auch Thaer seine Gegner und Widersacher, aber die Angriffe, die er erfuhr,
blieben vereinzelt, und namentlich auf dem Gebiete der Schafzucht wurde er
bon Jahr zu Jahr mehr eine europäische Autorität und selbst im Scherze von
seinen Zeitgenossen als der deutsche „Wollthaer" (Voltaire) gerühmt. Der
König Friedrich Wilhelm ernannte ihn zum Generalintendanten der beiden
großen Stammschäfereien, die im Jahre 1816 auf Kosten des Staates zu
Frankenfelde in der Mark und zu Panter in Schlesien errichtet wurden, und
als auf Thaers Anregung 1823 der erste Wollzüchter-Convent in Leipzig zu¬
sammentrat, wählte man ihn nicht nur selbstverständlich zum Vorsitzenden,
sondern huldigte ihm zugleich als oberstem Meister der ganzen Versammlung.

Schon in seiner kleinen Wirthschaft bei Celle, welche nur 110 Morgen
Ackerland und 18 Morgen Wiese umfaßte, hatte sich Thaer die Ausgabe ge¬
stellt, deu sandigen und der Kultur widerstrebenden Boden auf eine möglichst
hohe Kulturstufe zu bringen. Nach den bei diesem Bestreben gesammelten Er-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0383" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137556"/>
          <p xml:id="ID_1255" prev="#ID_1254"> Wahl der Individuen betrieben, und zwar vorzüglich in Betreff der Vocklämmer.<lb/>
Im Jahre 1815 hatte Thaer die Schäferei, nachdem über hundert Stück aus¬<lb/>
gemerzt und 110 junge Böcke verkauft worden waren, bereits auf 700 Stück<lb/>
gebracht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1256"> Die Kunst der Kreuzung, die Thaer sich einst in seinem Garten bei Celle<lb/>
bei der Zucht von Nelken und Aurikeln erworben, wo er immer schönere<lb/>
Sorten zu erzeugen gelernt hatte, kam ihm jetzt bei seiner Heerde zu Stätte«.<lb/>
Ausgebreitete Kenntniß physiologischer Verhältnisse / ein feiner angeborner In¬<lb/>
stinkt und wohl auch eine glückliche Hand vereinigten sich bei ihm und ließen<lb/>
ihn zu den glänzendsten Ergebnissen gelangen. Schon 1815 und 1816 wurde<lb/>
seine Wolle auf dem berliner Markte für die beste erklärt, und 1817 schrieb<lb/>
er seiner Frau: &#x201E;Für mich ist der diesjährige Wollmarkt zwar nicht der<lb/>
Pekuniär beste, aber der gloriöseste, den ich erlebt habe. Meine Wolle ist um<lb/>
Zwanzig Procent geringer verkauft wie im vorigen Jahre, aber um zwanzig<lb/>
Procent höher, wie irgend eine Wolle hier und in ganz Deutschland verkauft<lb/>
ist und werden wird. Unter allen Wollhändlern und Wollproducenten ist es<lb/>
ganz entschieden angenommen, daß meiner Wolle keine in ganz Europa nahe<lb/>
komme, viel weniger ihr eine an die Seite zu setzen sei. Dies ist so das<lb/>
Tagesgespräch geworden und so über das Gemeine hinweggehoben, daß ich<lb/>
auch keine Spur des Neides bemerke. Jeder erkennt es an, daß ich das Außer¬<lb/>
ordentliche errungen habe, worauf kein Anderer Anspruch machen kann. Solche<lb/>
Wolle, sagt man, kann man erzeugen; denn Möglin hat sie erzeugt. Wenn ich<lb/>
auf den Markt komme, fo steht Alles mit dem Hute in der Hand. Ich heiße<lb/>
bereits der Wollmarktskönig."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1257"> Wie einst Schubart von vielen Seiten angefeindet worden war, so hatte<lb/>
auch Thaer seine Gegner und Widersacher, aber die Angriffe, die er erfuhr,<lb/>
blieben vereinzelt, und namentlich auf dem Gebiete der Schafzucht wurde er<lb/>
bon Jahr zu Jahr mehr eine europäische Autorität und selbst im Scherze von<lb/>
seinen Zeitgenossen als der deutsche &#x201E;Wollthaer" (Voltaire) gerühmt. Der<lb/>
König Friedrich Wilhelm ernannte ihn zum Generalintendanten der beiden<lb/>
großen Stammschäfereien, die im Jahre 1816 auf Kosten des Staates zu<lb/>
Frankenfelde in der Mark und zu Panter in Schlesien errichtet wurden, und<lb/>
als auf Thaers Anregung 1823 der erste Wollzüchter-Convent in Leipzig zu¬<lb/>
sammentrat, wählte man ihn nicht nur selbstverständlich zum Vorsitzenden,<lb/>
sondern huldigte ihm zugleich als oberstem Meister der ganzen Versammlung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1258" next="#ID_1259"> Schon in seiner kleinen Wirthschaft bei Celle, welche nur 110 Morgen<lb/>
Ackerland und 18 Morgen Wiese umfaßte, hatte sich Thaer die Ausgabe ge¬<lb/>
stellt, deu sandigen und der Kultur widerstrebenden Boden auf eine möglichst<lb/>
hohe Kulturstufe zu bringen. Nach den bei diesem Bestreben gesammelten Er-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0383] Wahl der Individuen betrieben, und zwar vorzüglich in Betreff der Vocklämmer. Im Jahre 1815 hatte Thaer die Schäferei, nachdem über hundert Stück aus¬ gemerzt und 110 junge Böcke verkauft worden waren, bereits auf 700 Stück gebracht. Die Kunst der Kreuzung, die Thaer sich einst in seinem Garten bei Celle bei der Zucht von Nelken und Aurikeln erworben, wo er immer schönere Sorten zu erzeugen gelernt hatte, kam ihm jetzt bei seiner Heerde zu Stätte«. Ausgebreitete Kenntniß physiologischer Verhältnisse / ein feiner angeborner In¬ stinkt und wohl auch eine glückliche Hand vereinigten sich bei ihm und ließen ihn zu den glänzendsten Ergebnissen gelangen. Schon 1815 und 1816 wurde seine Wolle auf dem berliner Markte für die beste erklärt, und 1817 schrieb er seiner Frau: „Für mich ist der diesjährige Wollmarkt zwar nicht der Pekuniär beste, aber der gloriöseste, den ich erlebt habe. Meine Wolle ist um Zwanzig Procent geringer verkauft wie im vorigen Jahre, aber um zwanzig Procent höher, wie irgend eine Wolle hier und in ganz Deutschland verkauft ist und werden wird. Unter allen Wollhändlern und Wollproducenten ist es ganz entschieden angenommen, daß meiner Wolle keine in ganz Europa nahe komme, viel weniger ihr eine an die Seite zu setzen sei. Dies ist so das Tagesgespräch geworden und so über das Gemeine hinweggehoben, daß ich auch keine Spur des Neides bemerke. Jeder erkennt es an, daß ich das Außer¬ ordentliche errungen habe, worauf kein Anderer Anspruch machen kann. Solche Wolle, sagt man, kann man erzeugen; denn Möglin hat sie erzeugt. Wenn ich auf den Markt komme, fo steht Alles mit dem Hute in der Hand. Ich heiße bereits der Wollmarktskönig." Wie einst Schubart von vielen Seiten angefeindet worden war, so hatte auch Thaer seine Gegner und Widersacher, aber die Angriffe, die er erfuhr, blieben vereinzelt, und namentlich auf dem Gebiete der Schafzucht wurde er bon Jahr zu Jahr mehr eine europäische Autorität und selbst im Scherze von seinen Zeitgenossen als der deutsche „Wollthaer" (Voltaire) gerühmt. Der König Friedrich Wilhelm ernannte ihn zum Generalintendanten der beiden großen Stammschäfereien, die im Jahre 1816 auf Kosten des Staates zu Frankenfelde in der Mark und zu Panter in Schlesien errichtet wurden, und als auf Thaers Anregung 1823 der erste Wollzüchter-Convent in Leipzig zu¬ sammentrat, wählte man ihn nicht nur selbstverständlich zum Vorsitzenden, sondern huldigte ihm zugleich als oberstem Meister der ganzen Versammlung. Schon in seiner kleinen Wirthschaft bei Celle, welche nur 110 Morgen Ackerland und 18 Morgen Wiese umfaßte, hatte sich Thaer die Ausgabe ge¬ stellt, deu sandigen und der Kultur widerstrebenden Boden auf eine möglichst hohe Kulturstufe zu bringen. Nach den bei diesem Bestreben gesammelten Er-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/383
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/383>, abgerufen am 26.08.2024.