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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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schied zu nehmen und Dich dein nahen Wirthshause am italienischen Zollamt,
Santa Maria ti Stelvio oder die vierte Cantoniera genannt, zuzuwenden.

"Wirthshaus, wird geklagt" -- das ist die unzweideutige Empfehlung
mit welcher Freund Bädecker den milden Wanderer in die vierte Cantoniera
einführt. Der erste Eindruck ist dem entsprechend. In der Abenddämmerung
stand ich vor den beiden öden Steinbauten, rathlos welches ich für das Zoll¬
amt und welches ich für das Wirthshaus halten sollte. Ein menschliches
Wesen war von außen nicht zu entdecken. Die Dienstpragmatik der italienischen
Manthbeamten scheint nicht allzu rigoros zu sein. Ich trat in die unheimliche
Vorhalle eines der Gebände und fand endlich einen Blousenmnnn, der mich indeß
ans meine deutsche Anrede mit einem energischen "Versteh nit deutsch" abfertigte.
Glücklicherweise kam mir ans meinem dürftigen italienischen Voeabelschatz das
Wort indol-M rasch genug auf die Zunge, worauf mein Cicerone eine überaus
freundliche Miene aufsetzte und mich unter einer nur absolut unverständlichen
Fluth von Wohllauten seines Idioms die Stiegen hinauf geleitete. Dort über¬
antwortete er mich einer Hebe, die ich nicht anders bezeichnen kann, denn als
eine ans eine westphälische Bauernmagd gepfropfte Italienerin. Von jener
hatte sie den robusten Körperbau, vou dieser die gebräunte Gesichtsfarbe, die
schwarzen Haare, die gluthvolleu Augen und das lebhafte Temperament. Ihre
Toilette und das Aussehen des "Salons," in welchen sie mich führte, ließen
allerdings ahnen, daß übertriebene Sauberkeit uicht gerade zu deu starken
Seiten dieses Hanfes zählt. Meine Frage: "Sie verstehen wohl auch uicht
deutsch?" beantwortete sie frischweg: ,M>, LiMore, italmno." Selbstver¬
ständlich ist dies Nichtdentschsprechen bloße Affeetirtheit. So unmittelbar an
der Grenze ist einem die Sprache des Nachbars niemals fremd, am aller
weingsten, wenn man ein Gasthaus hält, und obendrein seine Kindheit, wie es
bei dieser ehrenwerthen Dame der Fall war, unter der Herrschaft dieses Nach¬
bars verlebt hat. Die Lombarden meinen sich aber noch heute gegenüber den
mklvklktti '1'eÄv"o1u, mit welchem Kosenamen sie bekanntlich die Oesterreicher
auszeichnen, etwas zu vergeben, wenn sie deutsch reden.

Glücklicherweise sprach meine Dame aber, wenn auch schlecht, französisch.
"<^>, tun bien froick du?/ vous," sagte ich. "^it'" meinte sie, "lei it Kul, npnl'
me>is ä'Ilivor vt, t-wis mois ä" loin" -- was freilich mehr als über
dem Meeresspiegel nicht anders zu verlangen ist. Dabei hatte sie aber die
Freundlichkeit, in dem weder geheizten noch überhaupt heizbaren Zimmer fort¬
während die Balkonthüren aufzusperren und nach Gott weiß was in den mond¬
hellen Abend hinauszuspähen, bis ich ihr dies Vergnügen durch die energisch
gestellte Jnterpellation nach dem Abendbrot verdarb. "VollW-plus un polet
Mi?" fragte sie. Ich bejahte; doch sah ich der Bescheerung mit einigeln Miß-


schied zu nehmen und Dich dein nahen Wirthshause am italienischen Zollamt,
Santa Maria ti Stelvio oder die vierte Cantoniera genannt, zuzuwenden.

„Wirthshaus, wird geklagt" — das ist die unzweideutige Empfehlung
mit welcher Freund Bädecker den milden Wanderer in die vierte Cantoniera
einführt. Der erste Eindruck ist dem entsprechend. In der Abenddämmerung
stand ich vor den beiden öden Steinbauten, rathlos welches ich für das Zoll¬
amt und welches ich für das Wirthshaus halten sollte. Ein menschliches
Wesen war von außen nicht zu entdecken. Die Dienstpragmatik der italienischen
Manthbeamten scheint nicht allzu rigoros zu sein. Ich trat in die unheimliche
Vorhalle eines der Gebände und fand endlich einen Blousenmnnn, der mich indeß
ans meine deutsche Anrede mit einem energischen „Versteh nit deutsch" abfertigte.
Glücklicherweise kam mir ans meinem dürftigen italienischen Voeabelschatz das
Wort indol-M rasch genug auf die Zunge, worauf mein Cicerone eine überaus
freundliche Miene aufsetzte und mich unter einer nur absolut unverständlichen
Fluth von Wohllauten seines Idioms die Stiegen hinauf geleitete. Dort über¬
antwortete er mich einer Hebe, die ich nicht anders bezeichnen kann, denn als
eine ans eine westphälische Bauernmagd gepfropfte Italienerin. Von jener
hatte sie den robusten Körperbau, vou dieser die gebräunte Gesichtsfarbe, die
schwarzen Haare, die gluthvolleu Augen und das lebhafte Temperament. Ihre
Toilette und das Aussehen des „Salons," in welchen sie mich führte, ließen
allerdings ahnen, daß übertriebene Sauberkeit uicht gerade zu deu starken
Seiten dieses Hanfes zählt. Meine Frage: „Sie verstehen wohl auch uicht
deutsch?" beantwortete sie frischweg: ,M>, LiMore, italmno." Selbstver¬
ständlich ist dies Nichtdentschsprechen bloße Affeetirtheit. So unmittelbar an
der Grenze ist einem die Sprache des Nachbars niemals fremd, am aller
weingsten, wenn man ein Gasthaus hält, und obendrein seine Kindheit, wie es
bei dieser ehrenwerthen Dame der Fall war, unter der Herrschaft dieses Nach¬
bars verlebt hat. Die Lombarden meinen sich aber noch heute gegenüber den
mklvklktti '1'eÄv»o1u, mit welchem Kosenamen sie bekanntlich die Oesterreicher
auszeichnen, etwas zu vergeben, wenn sie deutsch reden.

Glücklicherweise sprach meine Dame aber, wenn auch schlecht, französisch.
„<^>, tun bien froick du?/ vous," sagte ich. »^it'" meinte sie, „lei it Kul, npnl'
me>is ä'Ilivor vt, t-wis mois ä« loin" — was freilich mehr als über
dem Meeresspiegel nicht anders zu verlangen ist. Dabei hatte sie aber die
Freundlichkeit, in dem weder geheizten noch überhaupt heizbaren Zimmer fort¬
während die Balkonthüren aufzusperren und nach Gott weiß was in den mond¬
hellen Abend hinauszuspähen, bis ich ihr dies Vergnügen durch die energisch
gestellte Jnterpellation nach dem Abendbrot verdarb. »VollW-plus un polet
Mi?« fragte sie. Ich bejahte; doch sah ich der Bescheerung mit einigeln Miß-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/38>, abgerufen am 23.07.2024.