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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Landmann hervorgerufenen Aufblühens aller preußischen Provinzen allein
nach der großen Theuerung von 1770 gegen 40,000 Personen aus dem ver¬
nachlässigten Kursachsen nach dem Brandenburgischen auswanderten.

Unter seinem Nachfolger geschah in jener Richtung nichts von Bedeutung.
Dagegen nahm Stein unter Friedrich Wilhelm III. die Gedanken Friedrichs
des Großen in einer den veränderten Zeitverhältnissen entsprechenden Form
wieder auf, und ein vollständiger Erfolg krönte seine Bemühungen. In einem
Verwaltungsberichte vom 10. März 1801 schon sprach er sich dahin ans, daß
die Landwirthschaft in einen blühenden Zustand nur dann gelangen könne,
wenn der Landmann im Besitz entsprechender Geschäftskenntniß, eines aus¬
reichenden Anlage- und Betriebskapitals, vor Allem aber der vollen Freiheit
seiner Kräfte und seines Grundeigenthums sich befinde. Um zu diesem Zwecke
zu gelangen, sei, wie er fortfuhr, die Aufhebung der Eigenbehörigkeit nothwendig,
die nur eine mildere Leibeigenschaft sei, indem sie dem Sandmann nicht nur
noch immer schwere Lasten auferlege, fondern jede Verfügung über sein Schick¬
sal und seinen Besitz von der Zustimmung des Grundherrn abhängig mache.
Er drang daher schon damals in die oberste Staatsregierung, dieses ungerechte
und verderbliche Verhältniß nicht blos auf den Domänen, sondern auch ans
Privatgütern gegen Entschädigung aufzuheben. Um aber dem Bauer die
volle Freiheit im Gebrauche seiner Zeit und Arbeitskraft zu verschaffen, sollten
auch alle persönlichen Frohnden abgelöst und zu diesem Zwecke ein allgemeines
Kreditsystem für die kleinen Grundbesitzer errichtet werden. Endlich hielt er
es im Interesse einer freien und ausgiebigen Landbewirthschaftung für dringend
erforderlich, die Gemeinheitstheilung aufs Kräftigste zu fördern, das heißt,
das Gesammteigenthum der Dorfgemeinden, dessen Nutzung nur unter vielen
Beschränkungen möglich war, in Eigenthum der Einzelnen zu verwandeln,
von dem diese den ihren besondern Verhältnissen entsprechenden Gebrauch
machen dürften.

Auf Steins Betrieb erschien unter dem 9. October 1807 das denkwürdige
Gesetz über die Aufhebung der Erbunterthänigkeit, dessen wesentlicher Inhalt
folgender war: Das Unterthänigkeitsverhältniß hörte für die Bauern, die ihre
Güter in Erbpacht hatten, mit der Publikation des Ediktes, für alle andern
aber mit Martini 1810 auf, von welchem Tage an es nur noch freie Leute
geben sollte. Doch wurden dadurch die-Verbindlichkeiten nicht aufgehoben,
die den Bauern vermöge ihres Besitzes oder eines besondern Vertrags oblagen.
Jeder Staatsangehörige wurde zu jeder Art von Grundbesitz ohne alle Ein¬
schränkung berechtigt. Jedes Grundstück konnte von seinem Besitzer verkauft
oder getheilt, also auch das Gemeindegut unter die Betheiligten parzellirt wer¬
den. Die Einziehung von Bauergütern zum Grundbesitz eines Hauptgutes


Landmann hervorgerufenen Aufblühens aller preußischen Provinzen allein
nach der großen Theuerung von 1770 gegen 40,000 Personen aus dem ver¬
nachlässigten Kursachsen nach dem Brandenburgischen auswanderten.

Unter seinem Nachfolger geschah in jener Richtung nichts von Bedeutung.
Dagegen nahm Stein unter Friedrich Wilhelm III. die Gedanken Friedrichs
des Großen in einer den veränderten Zeitverhältnissen entsprechenden Form
wieder auf, und ein vollständiger Erfolg krönte seine Bemühungen. In einem
Verwaltungsberichte vom 10. März 1801 schon sprach er sich dahin ans, daß
die Landwirthschaft in einen blühenden Zustand nur dann gelangen könne,
wenn der Landmann im Besitz entsprechender Geschäftskenntniß, eines aus¬
reichenden Anlage- und Betriebskapitals, vor Allem aber der vollen Freiheit
seiner Kräfte und seines Grundeigenthums sich befinde. Um zu diesem Zwecke
zu gelangen, sei, wie er fortfuhr, die Aufhebung der Eigenbehörigkeit nothwendig,
die nur eine mildere Leibeigenschaft sei, indem sie dem Sandmann nicht nur
noch immer schwere Lasten auferlege, fondern jede Verfügung über sein Schick¬
sal und seinen Besitz von der Zustimmung des Grundherrn abhängig mache.
Er drang daher schon damals in die oberste Staatsregierung, dieses ungerechte
und verderbliche Verhältniß nicht blos auf den Domänen, sondern auch ans
Privatgütern gegen Entschädigung aufzuheben. Um aber dem Bauer die
volle Freiheit im Gebrauche seiner Zeit und Arbeitskraft zu verschaffen, sollten
auch alle persönlichen Frohnden abgelöst und zu diesem Zwecke ein allgemeines
Kreditsystem für die kleinen Grundbesitzer errichtet werden. Endlich hielt er
es im Interesse einer freien und ausgiebigen Landbewirthschaftung für dringend
erforderlich, die Gemeinheitstheilung aufs Kräftigste zu fördern, das heißt,
das Gesammteigenthum der Dorfgemeinden, dessen Nutzung nur unter vielen
Beschränkungen möglich war, in Eigenthum der Einzelnen zu verwandeln,
von dem diese den ihren besondern Verhältnissen entsprechenden Gebrauch
machen dürften.

Auf Steins Betrieb erschien unter dem 9. October 1807 das denkwürdige
Gesetz über die Aufhebung der Erbunterthänigkeit, dessen wesentlicher Inhalt
folgender war: Das Unterthänigkeitsverhältniß hörte für die Bauern, die ihre
Güter in Erbpacht hatten, mit der Publikation des Ediktes, für alle andern
aber mit Martini 1810 auf, von welchem Tage an es nur noch freie Leute
geben sollte. Doch wurden dadurch die-Verbindlichkeiten nicht aufgehoben,
die den Bauern vermöge ihres Besitzes oder eines besondern Vertrags oblagen.
Jeder Staatsangehörige wurde zu jeder Art von Grundbesitz ohne alle Ein¬
schränkung berechtigt. Jedes Grundstück konnte von seinem Besitzer verkauft
oder getheilt, also auch das Gemeindegut unter die Betheiligten parzellirt wer¬
den. Die Einziehung von Bauergütern zum Grundbesitz eines Hauptgutes


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[0375] Landmann hervorgerufenen Aufblühens aller preußischen Provinzen allein nach der großen Theuerung von 1770 gegen 40,000 Personen aus dem ver¬ nachlässigten Kursachsen nach dem Brandenburgischen auswanderten. Unter seinem Nachfolger geschah in jener Richtung nichts von Bedeutung. Dagegen nahm Stein unter Friedrich Wilhelm III. die Gedanken Friedrichs des Großen in einer den veränderten Zeitverhältnissen entsprechenden Form wieder auf, und ein vollständiger Erfolg krönte seine Bemühungen. In einem Verwaltungsberichte vom 10. März 1801 schon sprach er sich dahin ans, daß die Landwirthschaft in einen blühenden Zustand nur dann gelangen könne, wenn der Landmann im Besitz entsprechender Geschäftskenntniß, eines aus¬ reichenden Anlage- und Betriebskapitals, vor Allem aber der vollen Freiheit seiner Kräfte und seines Grundeigenthums sich befinde. Um zu diesem Zwecke zu gelangen, sei, wie er fortfuhr, die Aufhebung der Eigenbehörigkeit nothwendig, die nur eine mildere Leibeigenschaft sei, indem sie dem Sandmann nicht nur noch immer schwere Lasten auferlege, fondern jede Verfügung über sein Schick¬ sal und seinen Besitz von der Zustimmung des Grundherrn abhängig mache. Er drang daher schon damals in die oberste Staatsregierung, dieses ungerechte und verderbliche Verhältniß nicht blos auf den Domänen, sondern auch ans Privatgütern gegen Entschädigung aufzuheben. Um aber dem Bauer die volle Freiheit im Gebrauche seiner Zeit und Arbeitskraft zu verschaffen, sollten auch alle persönlichen Frohnden abgelöst und zu diesem Zwecke ein allgemeines Kreditsystem für die kleinen Grundbesitzer errichtet werden. Endlich hielt er es im Interesse einer freien und ausgiebigen Landbewirthschaftung für dringend erforderlich, die Gemeinheitstheilung aufs Kräftigste zu fördern, das heißt, das Gesammteigenthum der Dorfgemeinden, dessen Nutzung nur unter vielen Beschränkungen möglich war, in Eigenthum der Einzelnen zu verwandeln, von dem diese den ihren besondern Verhältnissen entsprechenden Gebrauch machen dürften. Auf Steins Betrieb erschien unter dem 9. October 1807 das denkwürdige Gesetz über die Aufhebung der Erbunterthänigkeit, dessen wesentlicher Inhalt folgender war: Das Unterthänigkeitsverhältniß hörte für die Bauern, die ihre Güter in Erbpacht hatten, mit der Publikation des Ediktes, für alle andern aber mit Martini 1810 auf, von welchem Tage an es nur noch freie Leute geben sollte. Doch wurden dadurch die-Verbindlichkeiten nicht aufgehoben, die den Bauern vermöge ihres Besitzes oder eines besondern Vertrags oblagen. Jeder Staatsangehörige wurde zu jeder Art von Grundbesitz ohne alle Ein¬ schränkung berechtigt. Jedes Grundstück konnte von seinem Besitzer verkauft oder getheilt, also auch das Gemeindegut unter die Betheiligten parzellirt wer¬ den. Die Einziehung von Bauergütern zum Grundbesitz eines Hauptgutes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/375>, abgerufen am 26.08.2024.