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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Theilung der Verwaltung, noch dazu auf einer so kurzen Linie, für das Publi¬
kum nur Nachtheile, jedenfalls keine Vortheile haben könnte, wird trotz der in
der betreffenden fächsischen Note versuchten Gegenargumentation kein Unbe¬
fangener bestreiten; auf die Idee, welche dem Reichseisenbahnprojekt zu Grunde
liegt, wäre ein solcher Allsgang der Krise der Berlin-Dresdener Bahn der
offene Hohn. Zudem würde die Hauptabsicht des vorliegenden speziellen Plans,
gegen die übrigen von Berlin nach Süden gehenden Linien ein Zwangsmittel
in der Hand zu haben, so gut wie vereitelt werden. Man erkennt leicht: es
sind zwei prinzipiell verschiedene Systeme, die hier einander gegenübertreten.
Nimmt man dazu die sonstigen kleinen und großen Gravamina, die Sachsen
gegen Preußen zu habe" glaubt, in erster Linie den Sitz des Reichsgerichts,
so muß man gestehen, es bedürfte nur noch des Herrn v. Beust und der
seligen Bundesverfassung, und wir hätten mitten in Deutschland eine "Frage",
die der russisch - türkischen an bedrohlichem Charakter kaum etwas nachgeben
würde. Glücklicherweise haben wir andere Zeiten! Preußen hat auf Grund
des Artikel 77 der Reichsverfassung die Entscheidung des Buudesraths ange¬
rufen, und bei derselben, wie immer sie ausfalle, werden sich beide Theile beruhigen.
Für den preußischen Landtag aber liegt kein Grund vor, die Berathung des
ihm vorliegenden Gesetzentwurfes hinauszuschieben, bis das Urtheil gefällt ist.
Lautet der Spruch zu Preußens Ungunsten, so wird dadurch der mit der
Eisenbahngesellschaft abgeschlossene Vertrag co ipso ungültig.

Abermals stand in dieser Woche die Steuerfrage zur Verhandlung. Ein
von der Regierung vorgelegter Gesetzentwurf, welcher die gesetzlichen Vor¬
schriften über die Veranlagung der Grund-, der Klassen- und der Einkommen¬
steuer in etwas modificirt, ist ohne prinzipielle Bedeutung. Weitgreifender war
eine von der Budgetcommission beantragte Resolution, welche die Regierung
auffordert, auf die thunlichste Vereinfachung der Instruktionen für die Ver¬
anlagung und Erhebung der Klassensteuer bedacht zu sein, und vor Allem den
Bezirksregierungen zu verbieten, daß sie die Einschätzungsformulare willkürlich
abändern. Die Berechtigung dieser Forderungen liegt so klar auf der Hand,
daß die Regierung sich ihnen nur anschließen konnte. Daher wurden denn
auch nicht viel Worte über sie gemacht. Nur der ultramontane Röckerath er¬
hob wiederum eine stereotype Klage über parteiische Anwendung der Steuer¬
schraube und provocirte damit verschiedene derbe Zurechtweisungen. Daß ihm
vorgehalten wurde, er habe in der Budgetcommission zur Specifikation und
Begründung seiner Beschuldigung rein gar nichts Triftiges vorzubringen ge¬
wußt, wird ihn indeß wenig belästigen. Die ultramontanen Blätter drucken
die Reden ihrer Gesinnungsgenossen im stenographischen Wortlaut, die übrigen


Theilung der Verwaltung, noch dazu auf einer so kurzen Linie, für das Publi¬
kum nur Nachtheile, jedenfalls keine Vortheile haben könnte, wird trotz der in
der betreffenden fächsischen Note versuchten Gegenargumentation kein Unbe¬
fangener bestreiten; auf die Idee, welche dem Reichseisenbahnprojekt zu Grunde
liegt, wäre ein solcher Allsgang der Krise der Berlin-Dresdener Bahn der
offene Hohn. Zudem würde die Hauptabsicht des vorliegenden speziellen Plans,
gegen die übrigen von Berlin nach Süden gehenden Linien ein Zwangsmittel
in der Hand zu haben, so gut wie vereitelt werden. Man erkennt leicht: es
sind zwei prinzipiell verschiedene Systeme, die hier einander gegenübertreten.
Nimmt man dazu die sonstigen kleinen und großen Gravamina, die Sachsen
gegen Preußen zu habe» glaubt, in erster Linie den Sitz des Reichsgerichts,
so muß man gestehen, es bedürfte nur noch des Herrn v. Beust und der
seligen Bundesverfassung, und wir hätten mitten in Deutschland eine „Frage",
die der russisch - türkischen an bedrohlichem Charakter kaum etwas nachgeben
würde. Glücklicherweise haben wir andere Zeiten! Preußen hat auf Grund
des Artikel 77 der Reichsverfassung die Entscheidung des Buudesraths ange¬
rufen, und bei derselben, wie immer sie ausfalle, werden sich beide Theile beruhigen.
Für den preußischen Landtag aber liegt kein Grund vor, die Berathung des
ihm vorliegenden Gesetzentwurfes hinauszuschieben, bis das Urtheil gefällt ist.
Lautet der Spruch zu Preußens Ungunsten, so wird dadurch der mit der
Eisenbahngesellschaft abgeschlossene Vertrag co ipso ungültig.

Abermals stand in dieser Woche die Steuerfrage zur Verhandlung. Ein
von der Regierung vorgelegter Gesetzentwurf, welcher die gesetzlichen Vor¬
schriften über die Veranlagung der Grund-, der Klassen- und der Einkommen¬
steuer in etwas modificirt, ist ohne prinzipielle Bedeutung. Weitgreifender war
eine von der Budgetcommission beantragte Resolution, welche die Regierung
auffordert, auf die thunlichste Vereinfachung der Instruktionen für die Ver¬
anlagung und Erhebung der Klassensteuer bedacht zu sein, und vor Allem den
Bezirksregierungen zu verbieten, daß sie die Einschätzungsformulare willkürlich
abändern. Die Berechtigung dieser Forderungen liegt so klar auf der Hand,
daß die Regierung sich ihnen nur anschließen konnte. Daher wurden denn
auch nicht viel Worte über sie gemacht. Nur der ultramontane Röckerath er¬
hob wiederum eine stereotype Klage über parteiische Anwendung der Steuer¬
schraube und provocirte damit verschiedene derbe Zurechtweisungen. Daß ihm
vorgehalten wurde, er habe in der Budgetcommission zur Specifikation und
Begründung seiner Beschuldigung rein gar nichts Triftiges vorzubringen ge¬
wußt, wird ihn indeß wenig belästigen. Die ultramontanen Blätter drucken
die Reden ihrer Gesinnungsgenossen im stenographischen Wortlaut, die übrigen


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[0363] Theilung der Verwaltung, noch dazu auf einer so kurzen Linie, für das Publi¬ kum nur Nachtheile, jedenfalls keine Vortheile haben könnte, wird trotz der in der betreffenden fächsischen Note versuchten Gegenargumentation kein Unbe¬ fangener bestreiten; auf die Idee, welche dem Reichseisenbahnprojekt zu Grunde liegt, wäre ein solcher Allsgang der Krise der Berlin-Dresdener Bahn der offene Hohn. Zudem würde die Hauptabsicht des vorliegenden speziellen Plans, gegen die übrigen von Berlin nach Süden gehenden Linien ein Zwangsmittel in der Hand zu haben, so gut wie vereitelt werden. Man erkennt leicht: es sind zwei prinzipiell verschiedene Systeme, die hier einander gegenübertreten. Nimmt man dazu die sonstigen kleinen und großen Gravamina, die Sachsen gegen Preußen zu habe» glaubt, in erster Linie den Sitz des Reichsgerichts, so muß man gestehen, es bedürfte nur noch des Herrn v. Beust und der seligen Bundesverfassung, und wir hätten mitten in Deutschland eine „Frage", die der russisch - türkischen an bedrohlichem Charakter kaum etwas nachgeben würde. Glücklicherweise haben wir andere Zeiten! Preußen hat auf Grund des Artikel 77 der Reichsverfassung die Entscheidung des Buudesraths ange¬ rufen, und bei derselben, wie immer sie ausfalle, werden sich beide Theile beruhigen. Für den preußischen Landtag aber liegt kein Grund vor, die Berathung des ihm vorliegenden Gesetzentwurfes hinauszuschieben, bis das Urtheil gefällt ist. Lautet der Spruch zu Preußens Ungunsten, so wird dadurch der mit der Eisenbahngesellschaft abgeschlossene Vertrag co ipso ungültig. Abermals stand in dieser Woche die Steuerfrage zur Verhandlung. Ein von der Regierung vorgelegter Gesetzentwurf, welcher die gesetzlichen Vor¬ schriften über die Veranlagung der Grund-, der Klassen- und der Einkommen¬ steuer in etwas modificirt, ist ohne prinzipielle Bedeutung. Weitgreifender war eine von der Budgetcommission beantragte Resolution, welche die Regierung auffordert, auf die thunlichste Vereinfachung der Instruktionen für die Ver¬ anlagung und Erhebung der Klassensteuer bedacht zu sein, und vor Allem den Bezirksregierungen zu verbieten, daß sie die Einschätzungsformulare willkürlich abändern. Die Berechtigung dieser Forderungen liegt so klar auf der Hand, daß die Regierung sich ihnen nur anschließen konnte. Daher wurden denn auch nicht viel Worte über sie gemacht. Nur der ultramontane Röckerath er¬ hob wiederum eine stereotype Klage über parteiische Anwendung der Steuer¬ schraube und provocirte damit verschiedene derbe Zurechtweisungen. Daß ihm vorgehalten wurde, er habe in der Budgetcommission zur Specifikation und Begründung seiner Beschuldigung rein gar nichts Triftiges vorzubringen ge¬ wußt, wird ihn indeß wenig belästigen. Die ultramontanen Blätter drucken die Reden ihrer Gesinnungsgenossen im stenographischen Wortlaut, die übrigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/363>, abgerufen am 23.07.2024.