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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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die sieben Monate Haft in der Frohnveste ihr predigten, an der wieder in das
Baterhans Zurückgekehrten nicht verloren waren.

Da Gottfried Zorn ohne Mittel und Stellung war, mußte er wohl dein
Gedanken entsagen, sich ihr für's Leben zu verbinden, und es scheint sogar, daß
er, nach Entlassung aus seiner Haft, den damals für Schiffbrüchige dieser Art
üblichsten Weg einschlug, um wieder einigermaßen aufs Trockene zu kommen,
daß er nämlich den Soldatenrock anzog. In der That geht aus einem ihn
betreffenden Aktenstück des zwickauer Rathsarchivs hervor, daß er im Jahre
1717 in Dresden als Quartiermacher bei der königlichen Garde dn Corps an¬
gestellt war. Und zwar bezieht sich jenes Aktenstück auf eine gegen ihn beim
zwickauer Amtsgericht erhobene Anklage auf Bigamie. Was auf diese Anklage
erfolgt ist, hat sich bis jetzt nicht ermitteln lassen, obschon beim dresdner könig¬
liche!: Kriegsgericht ohnlängst auf meine Anregungen desfallsige Nachforschungen
angestellt worden sind. Erhoben war die Anklage seitens einer im Jahre
1709 mit dem damaligen Studenten Zorn kirchlich verbundenen Schustertochter
aus Leutenberg, und in dem Bericht, welchen der zwickauer Stadtrath darüber
an den Landesherrn gelangen läßt, wird der Verdacht der Bigamie damit be¬
gründet, daß Herr Zorn "jetzt eine zweite Frau genommen habe", auch sei an
das Consistorium verwiesen, daß besagter Zorn sich mit der Caroline Weißen¬
born in ein Eheversprechen eingelassen habe.

Wie erwähnt, datirt diese Anklage von Anno 1717 und zwar vom 26.
Juli, und ein Schreiben des Regiments-Schultheiß Müller aus Dresden, be¬
sagend, daß soeben das Urtheil über Zorn gesprochen, datirt vom 23. De¬
zember 1717.

Ob nur zufällig gerade um diese Zeit -- im Jahre 1718 -- Caroline
abermals dem väterlichen Hanse entfloh? Prozesse, die nicht militärisch
waren, pflegten in jener Zeit ein zähes Leben zu haben. Noch ein Menschen¬
alter später bedürfte es ja selbst in Preußen eines Machtwortes des großen
Königs, um den Karren der Justiz in Bewegung zu bringen. In Pommern
allein waren 2400 alte Prozesse rückständig; und volle zwei Menschenalter
später -- 1772 -- harrten beim Reichskammergericht noch 61,233 rückständige
Sachen ihres Abschlusses! .

Kein Wunder also, wenn fünf Jahre nach Carolinens Freilassung aus der
Frohnfeste das Eheversprecheu Zorns noch den zwickauer Stadtrath, respect. das
Consistorium, beschäftigte -- im Archiv dieser Behörde wäre möglicher Weise noch
der weitere Verlauf der Angelegenheit klar zu stellen -- und noch weniger ein Wunder,
daß Caroline lieber im väterlichen Hause alle Stürme und Unwetter über sich
ergehen ließ, als daß sie sich abermals der Gefahr aussetzte, in den Mund


die sieben Monate Haft in der Frohnveste ihr predigten, an der wieder in das
Baterhans Zurückgekehrten nicht verloren waren.

Da Gottfried Zorn ohne Mittel und Stellung war, mußte er wohl dein
Gedanken entsagen, sich ihr für's Leben zu verbinden, und es scheint sogar, daß
er, nach Entlassung aus seiner Haft, den damals für Schiffbrüchige dieser Art
üblichsten Weg einschlug, um wieder einigermaßen aufs Trockene zu kommen,
daß er nämlich den Soldatenrock anzog. In der That geht aus einem ihn
betreffenden Aktenstück des zwickauer Rathsarchivs hervor, daß er im Jahre
1717 in Dresden als Quartiermacher bei der königlichen Garde dn Corps an¬
gestellt war. Und zwar bezieht sich jenes Aktenstück auf eine gegen ihn beim
zwickauer Amtsgericht erhobene Anklage auf Bigamie. Was auf diese Anklage
erfolgt ist, hat sich bis jetzt nicht ermitteln lassen, obschon beim dresdner könig¬
liche!: Kriegsgericht ohnlängst auf meine Anregungen desfallsige Nachforschungen
angestellt worden sind. Erhoben war die Anklage seitens einer im Jahre
1709 mit dem damaligen Studenten Zorn kirchlich verbundenen Schustertochter
aus Leutenberg, und in dem Bericht, welchen der zwickauer Stadtrath darüber
an den Landesherrn gelangen läßt, wird der Verdacht der Bigamie damit be¬
gründet, daß Herr Zorn „jetzt eine zweite Frau genommen habe", auch sei an
das Consistorium verwiesen, daß besagter Zorn sich mit der Caroline Weißen¬
born in ein Eheversprechen eingelassen habe.

Wie erwähnt, datirt diese Anklage von Anno 1717 und zwar vom 26.
Juli, und ein Schreiben des Regiments-Schultheiß Müller aus Dresden, be¬
sagend, daß soeben das Urtheil über Zorn gesprochen, datirt vom 23. De¬
zember 1717.

Ob nur zufällig gerade um diese Zeit — im Jahre 1718 — Caroline
abermals dem väterlichen Hanse entfloh? Prozesse, die nicht militärisch
waren, pflegten in jener Zeit ein zähes Leben zu haben. Noch ein Menschen¬
alter später bedürfte es ja selbst in Preußen eines Machtwortes des großen
Königs, um den Karren der Justiz in Bewegung zu bringen. In Pommern
allein waren 2400 alte Prozesse rückständig; und volle zwei Menschenalter
später — 1772 — harrten beim Reichskammergericht noch 61,233 rückständige
Sachen ihres Abschlusses! .

Kein Wunder also, wenn fünf Jahre nach Carolinens Freilassung aus der
Frohnfeste das Eheversprecheu Zorns noch den zwickauer Stadtrath, respect. das
Consistorium, beschäftigte — im Archiv dieser Behörde wäre möglicher Weise noch
der weitere Verlauf der Angelegenheit klar zu stellen — und noch weniger ein Wunder,
daß Caroline lieber im väterlichen Hause alle Stürme und Unwetter über sich
ergehen ließ, als daß sie sich abermals der Gefahr aussetzte, in den Mund


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[0359] die sieben Monate Haft in der Frohnveste ihr predigten, an der wieder in das Baterhans Zurückgekehrten nicht verloren waren. Da Gottfried Zorn ohne Mittel und Stellung war, mußte er wohl dein Gedanken entsagen, sich ihr für's Leben zu verbinden, und es scheint sogar, daß er, nach Entlassung aus seiner Haft, den damals für Schiffbrüchige dieser Art üblichsten Weg einschlug, um wieder einigermaßen aufs Trockene zu kommen, daß er nämlich den Soldatenrock anzog. In der That geht aus einem ihn betreffenden Aktenstück des zwickauer Rathsarchivs hervor, daß er im Jahre 1717 in Dresden als Quartiermacher bei der königlichen Garde dn Corps an¬ gestellt war. Und zwar bezieht sich jenes Aktenstück auf eine gegen ihn beim zwickauer Amtsgericht erhobene Anklage auf Bigamie. Was auf diese Anklage erfolgt ist, hat sich bis jetzt nicht ermitteln lassen, obschon beim dresdner könig¬ liche!: Kriegsgericht ohnlängst auf meine Anregungen desfallsige Nachforschungen angestellt worden sind. Erhoben war die Anklage seitens einer im Jahre 1709 mit dem damaligen Studenten Zorn kirchlich verbundenen Schustertochter aus Leutenberg, und in dem Bericht, welchen der zwickauer Stadtrath darüber an den Landesherrn gelangen läßt, wird der Verdacht der Bigamie damit be¬ gründet, daß Herr Zorn „jetzt eine zweite Frau genommen habe", auch sei an das Consistorium verwiesen, daß besagter Zorn sich mit der Caroline Weißen¬ born in ein Eheversprechen eingelassen habe. Wie erwähnt, datirt diese Anklage von Anno 1717 und zwar vom 26. Juli, und ein Schreiben des Regiments-Schultheiß Müller aus Dresden, be¬ sagend, daß soeben das Urtheil über Zorn gesprochen, datirt vom 23. De¬ zember 1717. Ob nur zufällig gerade um diese Zeit — im Jahre 1718 — Caroline abermals dem väterlichen Hanse entfloh? Prozesse, die nicht militärisch waren, pflegten in jener Zeit ein zähes Leben zu haben. Noch ein Menschen¬ alter später bedürfte es ja selbst in Preußen eines Machtwortes des großen Königs, um den Karren der Justiz in Bewegung zu bringen. In Pommern allein waren 2400 alte Prozesse rückständig; und volle zwei Menschenalter später — 1772 — harrten beim Reichskammergericht noch 61,233 rückständige Sachen ihres Abschlusses! . Kein Wunder also, wenn fünf Jahre nach Carolinens Freilassung aus der Frohnfeste das Eheversprecheu Zorns noch den zwickauer Stadtrath, respect. das Consistorium, beschäftigte — im Archiv dieser Behörde wäre möglicher Weise noch der weitere Verlauf der Angelegenheit klar zu stellen — und noch weniger ein Wunder, daß Caroline lieber im väterlichen Hause alle Stürme und Unwetter über sich ergehen ließ, als daß sie sich abermals der Gefahr aussetzte, in den Mund

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/359>, abgerufen am 03.07.2024.