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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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im Laufe der blutigen Jahrzehnte in Abspannung, Stumpfheit, Unlust und
Zagheit verkehrt worden; nicht minder in Rohheit, ja in Berthiertheit. Mit
wenigen Ausnahmen nehmen denu auch die deutschen Höfe in der letzten Hälfte
des siebzehnten Jahrhunderts jene üppige und schwelgerische Physiognomie
an, welche allemal in der Geschichte wieder erscheint, so oft das Volk in seiner
Verarmung und Versunkenheit sich mit dem nackten Leben begnügen zu müssen
meint und jeglicher Handhabe zum Geltendmachen seiner Rechte auf einen
maßgebenden Einspruch gegen seine Ausbeutung verlustig gegangen ist. Je
verführerischer aber das nach Verwüstung der Schlösser an die Höfe verpflanzte
Treiben des deutschen Adels den unteren Ständen erscheinen mußte, desto be¬
gieriger suchten diese für das mit ihrem ehemaligen Wohlstand dahinge¬
schwundene bäurische oder bürgerliche Behagen einen wenigstens scheinbaren
Ersatz im Nachäffer jener begünstigten Klassen. Was der deutsche Bauer und
Bürger vor dem 30jährigen Kriege, also in seiner vollblütigen Behäbigkeit
sich an Luxus gestattet hatte, war auch schon in vielen Gegenden dem fürst¬
lichen Luxus nah verwandt gewesen. Jetzt jedoch prunkte er in Pumphosen und
geschlitzten Aermeln, ohne etwas daheim zu beißen zu haben. Alle, selbst die
Studenten, mochten der sogenannten alamvoischen Kleidertrncht nicht entbehren,
und daß spanische und französische Narren ihnen dafür als Vorbilder dienten,
störte sie nicht im Mindesten. Die Franzosen haben, wie man weiß, bis tief
ins achtzehnte Jahrhundert hinein den während der Wirren des 30jährigen
Krieges auf Deutschland gewonnenen Einfluß zu behaupten gesucht; vor Allem
geltend machte er sich jedoch, als das Beispiel Ludwigs des Vierzehnten die
Maitressenmode an die deutschen Höfe verpflanzte. Die ersten fürstlichen Ge¬
liebten jener Periode bewarf das Volk noch mit Koth. Aber dieser altdeutsche
Ehrbarkeitsprotest war im Grunde nicht mehr zeitgemäß. Bald bequemten
sich in Württemberg die Beamtenfrauen, der allmächtigen und sogar im Staats¬
rath präsidirenden Grävenitz den Hof zu machen. In Baiern, in Sachsen
drängte fich's von Glücksjägerinnen mit oder ohne Stammbaum, und die in
Versailles ausgetheilte Parole: Is sang Ach liois ne sonnt" wurde un¬
bedenklich ins Deutsche übersetzt, ja ging so sehr in die Moral selbst der nicht-
höfischen Kreise über, daß beispielsweise die hallische Juristen-Fakultät -- in
ihrer Mitte ein Chr. Thomasius -- freilich zum Theil aus Haß gegen die
orthodoxen Theologen, ein Gutachten solchen Inhalts abgab: große Herren
und Fürsten seien allein Gott verantwortlich, deshalb ein oäium in ooneubinii.8
bei ihnen aufhören müsse, "hiernächst eine Ooneuvins, Etwas von dem Splendeur
ihres Unarten zu überkommen scheint."

Es mag an diesen Vorbemerkungen zur ungefähren Kennzeichnung der


im Laufe der blutigen Jahrzehnte in Abspannung, Stumpfheit, Unlust und
Zagheit verkehrt worden; nicht minder in Rohheit, ja in Berthiertheit. Mit
wenigen Ausnahmen nehmen denu auch die deutschen Höfe in der letzten Hälfte
des siebzehnten Jahrhunderts jene üppige und schwelgerische Physiognomie
an, welche allemal in der Geschichte wieder erscheint, so oft das Volk in seiner
Verarmung und Versunkenheit sich mit dem nackten Leben begnügen zu müssen
meint und jeglicher Handhabe zum Geltendmachen seiner Rechte auf einen
maßgebenden Einspruch gegen seine Ausbeutung verlustig gegangen ist. Je
verführerischer aber das nach Verwüstung der Schlösser an die Höfe verpflanzte
Treiben des deutschen Adels den unteren Ständen erscheinen mußte, desto be¬
gieriger suchten diese für das mit ihrem ehemaligen Wohlstand dahinge¬
schwundene bäurische oder bürgerliche Behagen einen wenigstens scheinbaren
Ersatz im Nachäffer jener begünstigten Klassen. Was der deutsche Bauer und
Bürger vor dem 30jährigen Kriege, also in seiner vollblütigen Behäbigkeit
sich an Luxus gestattet hatte, war auch schon in vielen Gegenden dem fürst¬
lichen Luxus nah verwandt gewesen. Jetzt jedoch prunkte er in Pumphosen und
geschlitzten Aermeln, ohne etwas daheim zu beißen zu haben. Alle, selbst die
Studenten, mochten der sogenannten alamvoischen Kleidertrncht nicht entbehren,
und daß spanische und französische Narren ihnen dafür als Vorbilder dienten,
störte sie nicht im Mindesten. Die Franzosen haben, wie man weiß, bis tief
ins achtzehnte Jahrhundert hinein den während der Wirren des 30jährigen
Krieges auf Deutschland gewonnenen Einfluß zu behaupten gesucht; vor Allem
geltend machte er sich jedoch, als das Beispiel Ludwigs des Vierzehnten die
Maitressenmode an die deutschen Höfe verpflanzte. Die ersten fürstlichen Ge¬
liebten jener Periode bewarf das Volk noch mit Koth. Aber dieser altdeutsche
Ehrbarkeitsprotest war im Grunde nicht mehr zeitgemäß. Bald bequemten
sich in Württemberg die Beamtenfrauen, der allmächtigen und sogar im Staats¬
rath präsidirenden Grävenitz den Hof zu machen. In Baiern, in Sachsen
drängte fich's von Glücksjägerinnen mit oder ohne Stammbaum, und die in
Versailles ausgetheilte Parole: Is sang Ach liois ne sonnt« wurde un¬
bedenklich ins Deutsche übersetzt, ja ging so sehr in die Moral selbst der nicht-
höfischen Kreise über, daß beispielsweise die hallische Juristen-Fakultät — in
ihrer Mitte ein Chr. Thomasius — freilich zum Theil aus Haß gegen die
orthodoxen Theologen, ein Gutachten solchen Inhalts abgab: große Herren
und Fürsten seien allein Gott verantwortlich, deshalb ein oäium in ooneubinii.8
bei ihnen aufhören müsse, „hiernächst eine Ooneuvins, Etwas von dem Splendeur
ihres Unarten zu überkommen scheint."

Es mag an diesen Vorbemerkungen zur ungefähren Kennzeichnung der


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[0354] im Laufe der blutigen Jahrzehnte in Abspannung, Stumpfheit, Unlust und Zagheit verkehrt worden; nicht minder in Rohheit, ja in Berthiertheit. Mit wenigen Ausnahmen nehmen denu auch die deutschen Höfe in der letzten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts jene üppige und schwelgerische Physiognomie an, welche allemal in der Geschichte wieder erscheint, so oft das Volk in seiner Verarmung und Versunkenheit sich mit dem nackten Leben begnügen zu müssen meint und jeglicher Handhabe zum Geltendmachen seiner Rechte auf einen maßgebenden Einspruch gegen seine Ausbeutung verlustig gegangen ist. Je verführerischer aber das nach Verwüstung der Schlösser an die Höfe verpflanzte Treiben des deutschen Adels den unteren Ständen erscheinen mußte, desto be¬ gieriger suchten diese für das mit ihrem ehemaligen Wohlstand dahinge¬ schwundene bäurische oder bürgerliche Behagen einen wenigstens scheinbaren Ersatz im Nachäffer jener begünstigten Klassen. Was der deutsche Bauer und Bürger vor dem 30jährigen Kriege, also in seiner vollblütigen Behäbigkeit sich an Luxus gestattet hatte, war auch schon in vielen Gegenden dem fürst¬ lichen Luxus nah verwandt gewesen. Jetzt jedoch prunkte er in Pumphosen und geschlitzten Aermeln, ohne etwas daheim zu beißen zu haben. Alle, selbst die Studenten, mochten der sogenannten alamvoischen Kleidertrncht nicht entbehren, und daß spanische und französische Narren ihnen dafür als Vorbilder dienten, störte sie nicht im Mindesten. Die Franzosen haben, wie man weiß, bis tief ins achtzehnte Jahrhundert hinein den während der Wirren des 30jährigen Krieges auf Deutschland gewonnenen Einfluß zu behaupten gesucht; vor Allem geltend machte er sich jedoch, als das Beispiel Ludwigs des Vierzehnten die Maitressenmode an die deutschen Höfe verpflanzte. Die ersten fürstlichen Ge¬ liebten jener Periode bewarf das Volk noch mit Koth. Aber dieser altdeutsche Ehrbarkeitsprotest war im Grunde nicht mehr zeitgemäß. Bald bequemten sich in Württemberg die Beamtenfrauen, der allmächtigen und sogar im Staats¬ rath präsidirenden Grävenitz den Hof zu machen. In Baiern, in Sachsen drängte fich's von Glücksjägerinnen mit oder ohne Stammbaum, und die in Versailles ausgetheilte Parole: Is sang Ach liois ne sonnt« wurde un¬ bedenklich ins Deutsche übersetzt, ja ging so sehr in die Moral selbst der nicht- höfischen Kreise über, daß beispielsweise die hallische Juristen-Fakultät — in ihrer Mitte ein Chr. Thomasius — freilich zum Theil aus Haß gegen die orthodoxen Theologen, ein Gutachten solchen Inhalts abgab: große Herren und Fürsten seien allein Gott verantwortlich, deshalb ein oäium in ooneubinii.8 bei ihnen aufhören müsse, „hiernächst eine Ooneuvins, Etwas von dem Splendeur ihres Unarten zu überkommen scheint." Es mag an diesen Vorbemerkungen zur ungefähren Kennzeichnung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/354>, abgerufen am 04.07.2024.