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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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er nach souri Chrvuvlvgia um Jahre 1606 erschienen. Im Sundewitt haben
ihn die Leute vor wenigen Jahren noch gesehen und zwar nicht weit vom
Dorfe Beuschan. Er trug einen Korb, aus welchen: Moos herauswuchs. Er
ruht uach dortigem Volksglaube" uur am Weihnachtsabend aus, wenn er
baun ans dem Felde noch einen Pflug findet; deun uur darauf darf er sich
setzen.

Ebenfalls hierher zu beziehen ist folgende, von Mnllenhoff mitgetheilte
Sage ans Ditmarschen, obwohl der ewige Jude darin uicht genannt ist.

Von Hamburg aus wurde Klaus Raume aus Lunden, als er uach Jeru¬
salem reiste, mit Geld und Wechseln versehen. In Jerusalem aber traf sein
Wechsel zur bestimmten Zeit nicht ein. Da gerieth der Ritter in Verlegenheit;
denn er wußte in der fremden Stadt nicht, an wen er sich um Hülfe wenden
sollte. Traurig ging er umher. Da redete ihn ein Bettler an, der fragte,
warum er ein so betrübtes Gesicht mache. "Du kannst mir doch nicht helfen",
antwortete Raume. -- "Das kannst Du nicht wissen", sagte der Bettelmann'
"erzähle mir nur, was Dich betrübt." Da gestand ihm der Ritter, daß sein
Wechsel ausgeblieben sei, und darauf langte Jener in die Tasche und gab
ihm einen großen Beutel mit Goldstücken, indem er hinzufügte: "Brauchst Du
mehr, so habe ich mehr." Voll Erstaunen fragte Raume, wie er dazu käme,
ihm das Geld zu geben, ohne ihn zu kennen. Der Bettler erwiderte: "Ich
kenne Dich recht wohl; denn ich bin in Deinem Hause gewesen. Du heißest
Klaus Raume und wohnst in Kleinlehe nahe bei Lunden in Ditmarschen. In
ein paar Jahren aber komme ich wieder zu Dir in Dein Haus, um das Geld
selber abzuholen." Mehrere Jahre vergingen nun, und Klaus Raume war
längst schon wieder daheim. Da trat endlich der Bettler bei ihm ein, als der
Ritter gerade mit vornehmen Gästen bei Tische saß. Raume erkannte ihn,
schon in der Thür wieder, ging auf ihn zu, führte ihn auf deu besten Platz,
legte ihm reichlich vor und erzählte dann seinen andern Gästen die ganze
wunderbare Geschichte. Bleibens aber hatte der Bettler nicht bei ihm, soviel
er auch gebeten wurde. Er nahm: sein Geld wieder und ließ sich von dem
dankbaren Ritter nicht mehr als das Geliehene aufdringen. Die Gäste fragten
ihn, wie er doch bei solchen Reichthum eine solche Lebensweise führen könne.
"Die soll nun auch aufhören", antwortete er. Darauf ging er fort, und nie¬
mand hat erfahren, wohin er gewandert und was aus ihm geworden ist.

Goethe, der nach "Wahrheit und Dichtung" (.15. Buch) die Legende von:
ewigen Juden episch zu behandeln vor hatte, findet in ihr das Schicksal des
nüchternen Weltmenschen, des gemeinen Verstandes, der außer Staude ist, das
Himmlische mit dem Gemüth zu erfassen und zu behalten, und der in Folge
dessen fortwährend zweifelnd und suchend durch die Welt geht. Besser läßt sich nach


er nach souri Chrvuvlvgia um Jahre 1606 erschienen. Im Sundewitt haben
ihn die Leute vor wenigen Jahren noch gesehen und zwar nicht weit vom
Dorfe Beuschan. Er trug einen Korb, aus welchen: Moos herauswuchs. Er
ruht uach dortigem Volksglaube» uur am Weihnachtsabend aus, wenn er
baun ans dem Felde noch einen Pflug findet; deun uur darauf darf er sich
setzen.

Ebenfalls hierher zu beziehen ist folgende, von Mnllenhoff mitgetheilte
Sage ans Ditmarschen, obwohl der ewige Jude darin uicht genannt ist.

Von Hamburg aus wurde Klaus Raume aus Lunden, als er uach Jeru¬
salem reiste, mit Geld und Wechseln versehen. In Jerusalem aber traf sein
Wechsel zur bestimmten Zeit nicht ein. Da gerieth der Ritter in Verlegenheit;
denn er wußte in der fremden Stadt nicht, an wen er sich um Hülfe wenden
sollte. Traurig ging er umher. Da redete ihn ein Bettler an, der fragte,
warum er ein so betrübtes Gesicht mache. „Du kannst mir doch nicht helfen",
antwortete Raume. — „Das kannst Du nicht wissen", sagte der Bettelmann'
„erzähle mir nur, was Dich betrübt." Da gestand ihm der Ritter, daß sein
Wechsel ausgeblieben sei, und darauf langte Jener in die Tasche und gab
ihm einen großen Beutel mit Goldstücken, indem er hinzufügte: „Brauchst Du
mehr, so habe ich mehr." Voll Erstaunen fragte Raume, wie er dazu käme,
ihm das Geld zu geben, ohne ihn zu kennen. Der Bettler erwiderte: „Ich
kenne Dich recht wohl; denn ich bin in Deinem Hause gewesen. Du heißest
Klaus Raume und wohnst in Kleinlehe nahe bei Lunden in Ditmarschen. In
ein paar Jahren aber komme ich wieder zu Dir in Dein Haus, um das Geld
selber abzuholen." Mehrere Jahre vergingen nun, und Klaus Raume war
längst schon wieder daheim. Da trat endlich der Bettler bei ihm ein, als der
Ritter gerade mit vornehmen Gästen bei Tische saß. Raume erkannte ihn,
schon in der Thür wieder, ging auf ihn zu, führte ihn auf deu besten Platz,
legte ihm reichlich vor und erzählte dann seinen andern Gästen die ganze
wunderbare Geschichte. Bleibens aber hatte der Bettler nicht bei ihm, soviel
er auch gebeten wurde. Er nahm: sein Geld wieder und ließ sich von dem
dankbaren Ritter nicht mehr als das Geliehene aufdringen. Die Gäste fragten
ihn, wie er doch bei solchen Reichthum eine solche Lebensweise führen könne.
„Die soll nun auch aufhören", antwortete er. Darauf ging er fort, und nie¬
mand hat erfahren, wohin er gewandert und was aus ihm geworden ist.

Goethe, der nach „Wahrheit und Dichtung" (.15. Buch) die Legende von:
ewigen Juden episch zu behandeln vor hatte, findet in ihr das Schicksal des
nüchternen Weltmenschen, des gemeinen Verstandes, der außer Staude ist, das
Himmlische mit dem Gemüth zu erfassen und zu behalten, und der in Folge
dessen fortwährend zweifelnd und suchend durch die Welt geht. Besser läßt sich nach


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[0348] er nach souri Chrvuvlvgia um Jahre 1606 erschienen. Im Sundewitt haben ihn die Leute vor wenigen Jahren noch gesehen und zwar nicht weit vom Dorfe Beuschan. Er trug einen Korb, aus welchen: Moos herauswuchs. Er ruht uach dortigem Volksglaube» uur am Weihnachtsabend aus, wenn er baun ans dem Felde noch einen Pflug findet; deun uur darauf darf er sich setzen. Ebenfalls hierher zu beziehen ist folgende, von Mnllenhoff mitgetheilte Sage ans Ditmarschen, obwohl der ewige Jude darin uicht genannt ist. Von Hamburg aus wurde Klaus Raume aus Lunden, als er uach Jeru¬ salem reiste, mit Geld und Wechseln versehen. In Jerusalem aber traf sein Wechsel zur bestimmten Zeit nicht ein. Da gerieth der Ritter in Verlegenheit; denn er wußte in der fremden Stadt nicht, an wen er sich um Hülfe wenden sollte. Traurig ging er umher. Da redete ihn ein Bettler an, der fragte, warum er ein so betrübtes Gesicht mache. „Du kannst mir doch nicht helfen", antwortete Raume. — „Das kannst Du nicht wissen", sagte der Bettelmann' „erzähle mir nur, was Dich betrübt." Da gestand ihm der Ritter, daß sein Wechsel ausgeblieben sei, und darauf langte Jener in die Tasche und gab ihm einen großen Beutel mit Goldstücken, indem er hinzufügte: „Brauchst Du mehr, so habe ich mehr." Voll Erstaunen fragte Raume, wie er dazu käme, ihm das Geld zu geben, ohne ihn zu kennen. Der Bettler erwiderte: „Ich kenne Dich recht wohl; denn ich bin in Deinem Hause gewesen. Du heißest Klaus Raume und wohnst in Kleinlehe nahe bei Lunden in Ditmarschen. In ein paar Jahren aber komme ich wieder zu Dir in Dein Haus, um das Geld selber abzuholen." Mehrere Jahre vergingen nun, und Klaus Raume war längst schon wieder daheim. Da trat endlich der Bettler bei ihm ein, als der Ritter gerade mit vornehmen Gästen bei Tische saß. Raume erkannte ihn, schon in der Thür wieder, ging auf ihn zu, führte ihn auf deu besten Platz, legte ihm reichlich vor und erzählte dann seinen andern Gästen die ganze wunderbare Geschichte. Bleibens aber hatte der Bettler nicht bei ihm, soviel er auch gebeten wurde. Er nahm: sein Geld wieder und ließ sich von dem dankbaren Ritter nicht mehr als das Geliehene aufdringen. Die Gäste fragten ihn, wie er doch bei solchen Reichthum eine solche Lebensweise führen könne. „Die soll nun auch aufhören", antwortete er. Darauf ging er fort, und nie¬ mand hat erfahren, wohin er gewandert und was aus ihm geworden ist. Goethe, der nach „Wahrheit und Dichtung" (.15. Buch) die Legende von: ewigen Juden episch zu behandeln vor hatte, findet in ihr das Schicksal des nüchternen Weltmenschen, des gemeinen Verstandes, der außer Staude ist, das Himmlische mit dem Gemüth zu erfassen und zu behalten, und der in Folge dessen fortwährend zweifelnd und suchend durch die Welt geht. Besser läßt sich nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/348>, abgerufen am 23.07.2024.