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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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ganze Anzahl von Reliquien ans den letzten Tagen des Heilandes aufmerksam,
die sich hier oder in der unmittelbaren Nachbarschaft der Straße befinden.
Nicht weit vom Antoniusthurme zeigt er uns den Stein, auf dem Jesus saß,
bevor er das Kreuz auf die Schulter nahm. Beim Eeeehomo-Bogen sehen
wir das echte, leibhaftige Fenster, ans welchem das Weib des Pilatus ihrem
Manne die Warnung zurief: "Hüte Dich, diesen Gerechten zu verdammen!"
Man notirt sich, wie gut das heilige Fenster trotz seines hohen Alters sich
conservirt hat, geht weiter und kommt an die Stelle, wo der gemarterte Er¬
löser unter der Last seines Kreuzes ohnmächtig zu Boden sank. Zwei Stücke
einer Säule, welche von dem fallenden Kreuze getroffen und zerschlagen wurde,
bezeugen, daß der Franziskanerbruder, der unsern Cicerone macht, den Ort
richtig bezeichnete. Wieder ein Stück weiter zeigt unser Begleiter uns das
Haus der heiligen Veronica, die dein Herrn Christus, als er erschöpft stehen
blieb, theilnehmend ihr Taschentuch reichte, damit er sich den Schweiß und das
unter der Dornenkrone hervorquellende Blut abtrockne, wobei sich dessen Ant¬
litz auf dem Tuche abdruckte -- ein großes Wunder, welches nur von dem
uoch überboten wurde, daß das Tuch mit dem Bilde in den vielen Jahr¬
hunderten, die seitdem verflossen sind, nicht nur nicht zu Grunde ging, sondern sich
sogar vervielfältigte, sodaß man es jetzt in der pariser Kathedrale, in einer spanischen
Kirche, im Dom zu Mailand und noch an zwei oder drei Orten in Italien
zu sehen bekommen kann. Noch eine kleine Strecke, und wir stehen vor dem
Eindruck in der Mauer eines Hauses,, den der Ellbogen oder das Schulterblatt
des Heilandes hinterließ, als er abermals unter der Last des schweren Kreuzes
strauchelte und an die Wand taumelte. "Ein eherner Ellbogen! Ein eisernes
Schulterblatt!" denkt der Spötter; wir aber schreiben uns das ebenfalls auf
und folgen dann unserm Führer, bis er wieder vor einem Wunder von tiefem
Interesse Halt macht. Es ist das "Haus des ewigen Juden", von dem
zwar die Bibel nichts, desto mehr aber die Legende zu erzählen weiß, und der
auch eine Rolle in der Welt der Volkssage spielt.

Als unser Heiland, so berichtet der Mönch, den Weg nach Golgatha ging,
kam er vor dieser Thür da vorüber. Der Hausbesitzer, ein jüdischer Schuster,
stand, die Hände in den Hosentaschen, auf der Schwelle. Der Herr gedachte
auf derselben ein wenig auszuruhen und bat den Schuster, ihm Platz zu
machen. Der aber antwortete grob: "Nur immer weiter gehen!" und drohte
mit seinem Leisten. Da sprach der Erlöser: "Wohlan denn, ich werde gehen,
um bald zu ruhen; dn aber sollst gehen, bis daß ich wiederkomme." Und
das Wort erfüllte sich und wirkte bis ans den heutigen Tag fort. Der böse
Schuster schloß sofort sein Haus zu, steckte deu Schlüssel in die Tasche nud
wanderte zum Thore hinaus in die weite Welt, in der er noch diesen Tag


ganze Anzahl von Reliquien ans den letzten Tagen des Heilandes aufmerksam,
die sich hier oder in der unmittelbaren Nachbarschaft der Straße befinden.
Nicht weit vom Antoniusthurme zeigt er uns den Stein, auf dem Jesus saß,
bevor er das Kreuz auf die Schulter nahm. Beim Eeeehomo-Bogen sehen
wir das echte, leibhaftige Fenster, ans welchem das Weib des Pilatus ihrem
Manne die Warnung zurief: „Hüte Dich, diesen Gerechten zu verdammen!"
Man notirt sich, wie gut das heilige Fenster trotz seines hohen Alters sich
conservirt hat, geht weiter und kommt an die Stelle, wo der gemarterte Er¬
löser unter der Last seines Kreuzes ohnmächtig zu Boden sank. Zwei Stücke
einer Säule, welche von dem fallenden Kreuze getroffen und zerschlagen wurde,
bezeugen, daß der Franziskanerbruder, der unsern Cicerone macht, den Ort
richtig bezeichnete. Wieder ein Stück weiter zeigt unser Begleiter uns das
Haus der heiligen Veronica, die dein Herrn Christus, als er erschöpft stehen
blieb, theilnehmend ihr Taschentuch reichte, damit er sich den Schweiß und das
unter der Dornenkrone hervorquellende Blut abtrockne, wobei sich dessen Ant¬
litz auf dem Tuche abdruckte — ein großes Wunder, welches nur von dem
uoch überboten wurde, daß das Tuch mit dem Bilde in den vielen Jahr¬
hunderten, die seitdem verflossen sind, nicht nur nicht zu Grunde ging, sondern sich
sogar vervielfältigte, sodaß man es jetzt in der pariser Kathedrale, in einer spanischen
Kirche, im Dom zu Mailand und noch an zwei oder drei Orten in Italien
zu sehen bekommen kann. Noch eine kleine Strecke, und wir stehen vor dem
Eindruck in der Mauer eines Hauses,, den der Ellbogen oder das Schulterblatt
des Heilandes hinterließ, als er abermals unter der Last des schweren Kreuzes
strauchelte und an die Wand taumelte. „Ein eherner Ellbogen! Ein eisernes
Schulterblatt!" denkt der Spötter; wir aber schreiben uns das ebenfalls auf
und folgen dann unserm Führer, bis er wieder vor einem Wunder von tiefem
Interesse Halt macht. Es ist das „Haus des ewigen Juden", von dem
zwar die Bibel nichts, desto mehr aber die Legende zu erzählen weiß, und der
auch eine Rolle in der Welt der Volkssage spielt.

Als unser Heiland, so berichtet der Mönch, den Weg nach Golgatha ging,
kam er vor dieser Thür da vorüber. Der Hausbesitzer, ein jüdischer Schuster,
stand, die Hände in den Hosentaschen, auf der Schwelle. Der Herr gedachte
auf derselben ein wenig auszuruhen und bat den Schuster, ihm Platz zu
machen. Der aber antwortete grob: „Nur immer weiter gehen!" und drohte
mit seinem Leisten. Da sprach der Erlöser: „Wohlan denn, ich werde gehen,
um bald zu ruhen; dn aber sollst gehen, bis daß ich wiederkomme." Und
das Wort erfüllte sich und wirkte bis ans den heutigen Tag fort. Der böse
Schuster schloß sofort sein Haus zu, steckte deu Schlüssel in die Tasche nud
wanderte zum Thore hinaus in die weite Welt, in der er noch diesen Tag


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/342>, abgerufen am 23.07.2024.