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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Otto I. und D. über König Wenzel arbeitet. Eben dadurch entsteht eine
gegenseitige Entfremdung der Interessen, ein bisweilen geradezu peinliches Ge¬
fühl der Vereinsamung, welches am beseelt beurtheilen kann, wer darunter ge¬
litten hat.

Bei der angegebenen Gruppirung der Kräfte zum Stoffe würde ferner
eines der größten Uebel unserer Seminare zum Wegfall kommen, jenes nämlich,
daß die Besprechungen eingelieferter Arbeiten für Alle mit Ausnahme des
direkt Betheiligten (bezw. der Betheiligten, wenn ein Referent vorhanden) ge¬
wöhnlich gänzlich unfruchtbar und offenkundig langweilig sind. Und nicht
minder wäre dem bösen Gebrechen vorgebeugt, daß der Docent oft über Gegell¬
stände urtheilen muß, die ihm gänzlich fern liegen, in die er sich nur mit
Mühe hineinversetzen kann, oft auch nur mangelhaft hineinversetzt. Ja, anch
ein Gewinn, der mehr abseits vom Wege liegt, ließe sich bei wohldurchdachten
Ineinandergreifen erzielen: wenn die Aufmerksamkeit in eine Bahn gelenkt würde,
zu deren sicherer Betretung sich die Kenntniß einer fremden Sprache wünschens-
werth erwiese. Leicht wird alsdann der Gedanke auftauchen, sie nebenher zu
lernen; diejenigen, welche sie schon mehr oder weniger kennen, kommen den
noch ganz Unwissenden zu Hülfe, und es ist eine alte Erfahrung, daß sich
zwei bis vier junge Leute leichter entschließen, englisch oder italienisch gemeinsam
zu treiben, es auch meistens weiter darin bringen, als wenn ein Einzelner
derartiges unternimmt.

Da ließe sich nun vielleicht der Einwand erheben: wenn Alles so syste¬
matisch in spanische Stiefel eingeschnürt würde, litte die studentische Freiheit
Gefahr! -- Es läßt sich erwidern, daß dieses schöne Schlagwort wohl dazu an¬
gethan ist, die jugendliche" Gemüther akademischer Bürger zu elektrisiren, daß
es leider aber etwas von Phrase als Bodensatz enthält; -- nicht auf Freiheit
kommt es an, sondern darauf, tüchtige Menschen heranzubilden. Von Hanse
ans haben junge Historiker selten eine kräftige Neigung für einen bestimmte"
Gegenstand innerhalb ihres Faches, dieselbe Pflegt erst durch Allregung von
Seiten eines Lehrers erweckt zu werden; würde nun diese auch sachlich in
einer bestimmten Richtung, in umgrenzten Raume gehalten, so glaubten die
Beeinflußten nach wie vor frei in ihren Entschließungen zu sein, ohne daß sie
es sind, ohne daß sie es bisher gewesen wären; womit jedoch durchaus nicht
ausgesprochen sein soll, daß nicht der Einzelne einer etwaigen entschiedenen
Vorliebe Genüge thun darf.

Auch noch ein anderer Einwurf liegt nicht ferne, der nämlich: das oben
Besprochene möge sich theoretisch ganz gut cinsnehmen, sei aber praktisch un¬
durchführbar. Der Verfasser hält ihn für nicht stichhaltig, da unsere Wissen¬
schaft noch an unendlich vielen Punkten überreichlicher Stoff gewährt, um


Otto I. und D. über König Wenzel arbeitet. Eben dadurch entsteht eine
gegenseitige Entfremdung der Interessen, ein bisweilen geradezu peinliches Ge¬
fühl der Vereinsamung, welches am beseelt beurtheilen kann, wer darunter ge¬
litten hat.

Bei der angegebenen Gruppirung der Kräfte zum Stoffe würde ferner
eines der größten Uebel unserer Seminare zum Wegfall kommen, jenes nämlich,
daß die Besprechungen eingelieferter Arbeiten für Alle mit Ausnahme des
direkt Betheiligten (bezw. der Betheiligten, wenn ein Referent vorhanden) ge¬
wöhnlich gänzlich unfruchtbar und offenkundig langweilig sind. Und nicht
minder wäre dem bösen Gebrechen vorgebeugt, daß der Docent oft über Gegell¬
stände urtheilen muß, die ihm gänzlich fern liegen, in die er sich nur mit
Mühe hineinversetzen kann, oft auch nur mangelhaft hineinversetzt. Ja, anch
ein Gewinn, der mehr abseits vom Wege liegt, ließe sich bei wohldurchdachten
Ineinandergreifen erzielen: wenn die Aufmerksamkeit in eine Bahn gelenkt würde,
zu deren sicherer Betretung sich die Kenntniß einer fremden Sprache wünschens-
werth erwiese. Leicht wird alsdann der Gedanke auftauchen, sie nebenher zu
lernen; diejenigen, welche sie schon mehr oder weniger kennen, kommen den
noch ganz Unwissenden zu Hülfe, und es ist eine alte Erfahrung, daß sich
zwei bis vier junge Leute leichter entschließen, englisch oder italienisch gemeinsam
zu treiben, es auch meistens weiter darin bringen, als wenn ein Einzelner
derartiges unternimmt.

Da ließe sich nun vielleicht der Einwand erheben: wenn Alles so syste¬
matisch in spanische Stiefel eingeschnürt würde, litte die studentische Freiheit
Gefahr! — Es läßt sich erwidern, daß dieses schöne Schlagwort wohl dazu an¬
gethan ist, die jugendliche» Gemüther akademischer Bürger zu elektrisiren, daß
es leider aber etwas von Phrase als Bodensatz enthält; — nicht auf Freiheit
kommt es an, sondern darauf, tüchtige Menschen heranzubilden. Von Hanse
ans haben junge Historiker selten eine kräftige Neigung für einen bestimmte»
Gegenstand innerhalb ihres Faches, dieselbe Pflegt erst durch Allregung von
Seiten eines Lehrers erweckt zu werden; würde nun diese auch sachlich in
einer bestimmten Richtung, in umgrenzten Raume gehalten, so glaubten die
Beeinflußten nach wie vor frei in ihren Entschließungen zu sein, ohne daß sie
es sind, ohne daß sie es bisher gewesen wären; womit jedoch durchaus nicht
ausgesprochen sein soll, daß nicht der Einzelne einer etwaigen entschiedenen
Vorliebe Genüge thun darf.

Auch noch ein anderer Einwurf liegt nicht ferne, der nämlich: das oben
Besprochene möge sich theoretisch ganz gut cinsnehmen, sei aber praktisch un¬
durchführbar. Der Verfasser hält ihn für nicht stichhaltig, da unsere Wissen¬
schaft noch an unendlich vielen Punkten überreichlicher Stoff gewährt, um


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[0340] Otto I. und D. über König Wenzel arbeitet. Eben dadurch entsteht eine gegenseitige Entfremdung der Interessen, ein bisweilen geradezu peinliches Ge¬ fühl der Vereinsamung, welches am beseelt beurtheilen kann, wer darunter ge¬ litten hat. Bei der angegebenen Gruppirung der Kräfte zum Stoffe würde ferner eines der größten Uebel unserer Seminare zum Wegfall kommen, jenes nämlich, daß die Besprechungen eingelieferter Arbeiten für Alle mit Ausnahme des direkt Betheiligten (bezw. der Betheiligten, wenn ein Referent vorhanden) ge¬ wöhnlich gänzlich unfruchtbar und offenkundig langweilig sind. Und nicht minder wäre dem bösen Gebrechen vorgebeugt, daß der Docent oft über Gegell¬ stände urtheilen muß, die ihm gänzlich fern liegen, in die er sich nur mit Mühe hineinversetzen kann, oft auch nur mangelhaft hineinversetzt. Ja, anch ein Gewinn, der mehr abseits vom Wege liegt, ließe sich bei wohldurchdachten Ineinandergreifen erzielen: wenn die Aufmerksamkeit in eine Bahn gelenkt würde, zu deren sicherer Betretung sich die Kenntniß einer fremden Sprache wünschens- werth erwiese. Leicht wird alsdann der Gedanke auftauchen, sie nebenher zu lernen; diejenigen, welche sie schon mehr oder weniger kennen, kommen den noch ganz Unwissenden zu Hülfe, und es ist eine alte Erfahrung, daß sich zwei bis vier junge Leute leichter entschließen, englisch oder italienisch gemeinsam zu treiben, es auch meistens weiter darin bringen, als wenn ein Einzelner derartiges unternimmt. Da ließe sich nun vielleicht der Einwand erheben: wenn Alles so syste¬ matisch in spanische Stiefel eingeschnürt würde, litte die studentische Freiheit Gefahr! — Es läßt sich erwidern, daß dieses schöne Schlagwort wohl dazu an¬ gethan ist, die jugendliche» Gemüther akademischer Bürger zu elektrisiren, daß es leider aber etwas von Phrase als Bodensatz enthält; — nicht auf Freiheit kommt es an, sondern darauf, tüchtige Menschen heranzubilden. Von Hanse ans haben junge Historiker selten eine kräftige Neigung für einen bestimmte» Gegenstand innerhalb ihres Faches, dieselbe Pflegt erst durch Allregung von Seiten eines Lehrers erweckt zu werden; würde nun diese auch sachlich in einer bestimmten Richtung, in umgrenzten Raume gehalten, so glaubten die Beeinflußten nach wie vor frei in ihren Entschließungen zu sein, ohne daß sie es sind, ohne daß sie es bisher gewesen wären; womit jedoch durchaus nicht ausgesprochen sein soll, daß nicht der Einzelne einer etwaigen entschiedenen Vorliebe Genüge thun darf. Auch noch ein anderer Einwurf liegt nicht ferne, der nämlich: das oben Besprochene möge sich theoretisch ganz gut cinsnehmen, sei aber praktisch un¬ durchführbar. Der Verfasser hält ihn für nicht stichhaltig, da unsere Wissen¬ schaft noch an unendlich vielen Punkten überreichlicher Stoff gewährt, um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/340>, abgerufen am 23.07.2024.