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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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und nannte mir einen Namen, den ich in der Freude meines Herzens nur halb
verstand; dort würde ich aber das Nöthige finden, meinte er. Kaum zur Thür
hinaus, zog ich mein Notizbuch hervor, schrieb ein Wort wie "Pute" hinein
und eilte flugs zur Bibliothek, um dessen Werke zu bestellen. Sie waren an¬
fangs natürlich nicht zu finden; als ich nach mündlichen Erörterungen zum
dritten Male kam, Herr Gott!, da lagen über zwanzig dicke Folianten auf dem
Tische, und brummend fuhr der Bibliotheksdiener vorüber. Ganz verstört
öffnete ich den ersten Band, blätterte darin herum, fand aber über Friedrich I.
und Ludwig VII. nichts, ich nahm den zweiten, dritten, vierten; es ging damit
ebenso. Nach langem Suchen und manchem Seufzer leuchtete mir endlich ein,
daß in der Folge der Bünde eine bestimmte Anordnung beobachtet sei; ich
machte mich mit den Indices vertraut und siehe, ich fand, was ich begehrte.
Ob nun aber im "Bouquet" alle, oder nur ein Theil der Quellen für Frank¬
reich enthalten seien, ob es keine besseren Drucke gäbe ?c., das wußte ich auch
jetzt noch nicht, meine Freunde konnten nur darüber keine genügende Auskunft
ertheilen, und den Lehrer durfte ich doch uicht schon wieder belästigen! -- Hier
wird der kundige Leser einwenden: um eine Quellensammlung, wie die Bvu-
quets zu finden, hätte ich nur in Dahlmann-Waitz, Quellenkunde, der Fibel
des Historikers, nachzuschlagen brauchen; -- sehr richtig! wenn sie mir bekannt
gewesen wäre, und daß sie mir damals noch fremd war, dürfte verzeihlich ge¬
nug sein, wenn es mir kürzlich begegnen konnte, daß mich ein bärtiger Student
fragte, wo er das Buch von . . . finden solle, welches über König Sigismund
handle; er habe vergeblich in den Bibliothekskatalogen und bei Potthast
(! LidliotlnzcÄ llistorica), der im Lesezimmer ausgestellt sei, darnach gesucht;
so zufällig warf ich hin, ob es nicht in obigem "Dahlmann-Waitz" angemerkt
stehe? worauf er mich verwundert ansah und meinte: ob das denn nicht
"Potthast" sei? Er legte damals gerade die letzte Feile an seine Dissertation;
-- vier Wochen später war er Herr Doctor mit dem Grade "cum lauäs"!

Ein Fall wie dieser steht natürlich ganz vereinzelt da, aber es ist traurig
genug, daß er überhaupt vorkommen kann. Auch muß bemerkt werden, wie
mit der bloßen Kenntniß der "Quellenkunde" nicht immer Großes für den
Neuling erreicht ist, weil er dort nur lange Reihen von Citaten findet, die sür
ihn noch ohne inneren Gehalt erdrückend sind, und überdies das Buch auch
nicht berechnet wurde, Cicerone für Alles zu sein. Wie zum Beispiel, wenn
der Betreffende auf S. Martin von Tours, auf Cluny, Mailand oder Bene-
vent, Canterbury, Tarragona oder Lund kommt? was leicht der Fall sein
kann, wenn er sich mit der Papstgeschichte beschäftigt: wie hat er sich nun zu
verhalten? Die Kataloge der Bibliotheken sind nicht maßgebend: über S.
Martin würde er wahrscheinlich nichts dort finden. Gewöhnlich durchstöbert


und nannte mir einen Namen, den ich in der Freude meines Herzens nur halb
verstand; dort würde ich aber das Nöthige finden, meinte er. Kaum zur Thür
hinaus, zog ich mein Notizbuch hervor, schrieb ein Wort wie „Pute" hinein
und eilte flugs zur Bibliothek, um dessen Werke zu bestellen. Sie waren an¬
fangs natürlich nicht zu finden; als ich nach mündlichen Erörterungen zum
dritten Male kam, Herr Gott!, da lagen über zwanzig dicke Folianten auf dem
Tische, und brummend fuhr der Bibliotheksdiener vorüber. Ganz verstört
öffnete ich den ersten Band, blätterte darin herum, fand aber über Friedrich I.
und Ludwig VII. nichts, ich nahm den zweiten, dritten, vierten; es ging damit
ebenso. Nach langem Suchen und manchem Seufzer leuchtete mir endlich ein,
daß in der Folge der Bünde eine bestimmte Anordnung beobachtet sei; ich
machte mich mit den Indices vertraut und siehe, ich fand, was ich begehrte.
Ob nun aber im „Bouquet" alle, oder nur ein Theil der Quellen für Frank¬
reich enthalten seien, ob es keine besseren Drucke gäbe ?c., das wußte ich auch
jetzt noch nicht, meine Freunde konnten nur darüber keine genügende Auskunft
ertheilen, und den Lehrer durfte ich doch uicht schon wieder belästigen! — Hier
wird der kundige Leser einwenden: um eine Quellensammlung, wie die Bvu-
quets zu finden, hätte ich nur in Dahlmann-Waitz, Quellenkunde, der Fibel
des Historikers, nachzuschlagen brauchen; — sehr richtig! wenn sie mir bekannt
gewesen wäre, und daß sie mir damals noch fremd war, dürfte verzeihlich ge¬
nug sein, wenn es mir kürzlich begegnen konnte, daß mich ein bärtiger Student
fragte, wo er das Buch von . . . finden solle, welches über König Sigismund
handle; er habe vergeblich in den Bibliothekskatalogen und bei Potthast
(! LidliotlnzcÄ llistorica), der im Lesezimmer ausgestellt sei, darnach gesucht;
so zufällig warf ich hin, ob es nicht in obigem „Dahlmann-Waitz" angemerkt
stehe? worauf er mich verwundert ansah und meinte: ob das denn nicht
„Potthast" sei? Er legte damals gerade die letzte Feile an seine Dissertation;
— vier Wochen später war er Herr Doctor mit dem Grade „cum lauäs"!

Ein Fall wie dieser steht natürlich ganz vereinzelt da, aber es ist traurig
genug, daß er überhaupt vorkommen kann. Auch muß bemerkt werden, wie
mit der bloßen Kenntniß der „Quellenkunde" nicht immer Großes für den
Neuling erreicht ist, weil er dort nur lange Reihen von Citaten findet, die sür
ihn noch ohne inneren Gehalt erdrückend sind, und überdies das Buch auch
nicht berechnet wurde, Cicerone für Alles zu sein. Wie zum Beispiel, wenn
der Betreffende auf S. Martin von Tours, auf Cluny, Mailand oder Bene-
vent, Canterbury, Tarragona oder Lund kommt? was leicht der Fall sein
kann, wenn er sich mit der Papstgeschichte beschäftigt: wie hat er sich nun zu
verhalten? Die Kataloge der Bibliotheken sind nicht maßgebend: über S.
Martin würde er wahrscheinlich nichts dort finden. Gewöhnlich durchstöbert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/336>, abgerufen am 23.07.2024.