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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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mira im Auge und erreicht auch glücklich, daß der Abiturient die Reihe der
persischen Könige von vor- und rückwärts in Gegenwart des Schulrathes auf¬
sagen kann. An kleineren und abgelegeneren, zumal katholischen Gymnasien,
ist diese Art der Geschichtsbehandlung leider weit häufiger als für bloße Bei¬
spiele genügend wäre, doch scheint der Durchschnitt aus der Gesammtheit zu
ergeben, daß keines der Extreme überwiegt, daß vielmehr eine Mittelstraße inne¬
gehalten wird, indem der Schüler die Geschichte als eine Anzahl im Einzelnen
feststehender Thatsachen vorgeführt erhält, wobei das Interessante betont, das
Ganze meistens von der ästhetischen Seite gefaßt wird. Da erwärmt sich das
Gemüth des Knaben für den großen Perikles, Hannibal und Caesar, für Karl
und Otto den Großen, den großen Kurfürsten, Friedrich den Großen und wie
die "Großen" noch sonst alle heißen; er empfindet Mitleid mit dem heiteren,
aber unglücklichen Philipp von Staufen, Abneigung gegen seinen robusten
Geguer, er schwärmt für Blücher, Herzog Ernst, Harmodius und Aristogiton
in einem Athem. Sie alle sind ihm scharf umgrenzte Gestalten; aus welchem
Flickwerk sie zusammengestückt wurden, und wie verschiedene Bilder die Zn¬
sammensetzer oft dabei zu Tage förderten, das ahnt er nur in den seltensten
Fällen. Die Geschichte ist ihm eines der anziehendsten aller Wissensgebiete,
aus innerer Neigung erfaßt er sie als Beruf seines Lebens und glaubt --
wenn er sich überhaupt Gedanken in dieser Richtung macht -- mit einem
klassischen Griechisch, eieeronischem Latein, etwas Französisch, glücklicher Phan¬
tasie und gebildetem Stil die Welt erobern zu können.

So ungefähr nimmt sich die eine Gruppe der jungen Leute aus, die sich
als "Historiker" oder <ma,si als "Philosophen" in das Universitätsalbum ein¬
zeichnen. Nach und nach gedeihen sie zu der Erkenntniß, daß so ein Historiker
viel Papier, vieles unsäglich Geisttodte und Breitspurige durchstöbern muß, um
am Ende doch nur Weizenkörner von zweifelhafter Brauchbarkeit zu finden.
Viele lassen sich dadurch nicht abschrecken, sie verharren unerschüttert und frohen
Angesichts auf der einmal betretenen Bahn, Andere verlieren den Muth, wissen
aber sonst nicht nnterznschlüpfen und schlendern deshalb weiter; hinter dem
Examen winkt ja das Brot! Etliche wenden sich einem anderen Fache zu.

Aus Studirenden, welche sich in umgekehrter Richtung bewegen, die ihr
bisheriges Studium aufgaben und zur Geschichte übertraten, besteht die zweite
Klasse derer, die dieser Wissenschaft obliegen. War es innerer Drang, der
sie zu jenem Schritte veranlaßte, so dürfen tüchtige Leistungen von ihnen er¬
wartet werden; leider liegen die Dinge aber meistens anders, da namentlich
Philologen im Laufe der Thätigkeit empfinden, daß es mit ihrer Kenntniß alter
Sprachen nur mangelhaft stehe, und uicht ohne Grund wähnen sie, der Boden
der Historie sei noch weniger durchackert, als derjenige, welchen sie bisher ge-


mira im Auge und erreicht auch glücklich, daß der Abiturient die Reihe der
persischen Könige von vor- und rückwärts in Gegenwart des Schulrathes auf¬
sagen kann. An kleineren und abgelegeneren, zumal katholischen Gymnasien,
ist diese Art der Geschichtsbehandlung leider weit häufiger als für bloße Bei¬
spiele genügend wäre, doch scheint der Durchschnitt aus der Gesammtheit zu
ergeben, daß keines der Extreme überwiegt, daß vielmehr eine Mittelstraße inne¬
gehalten wird, indem der Schüler die Geschichte als eine Anzahl im Einzelnen
feststehender Thatsachen vorgeführt erhält, wobei das Interessante betont, das
Ganze meistens von der ästhetischen Seite gefaßt wird. Da erwärmt sich das
Gemüth des Knaben für den großen Perikles, Hannibal und Caesar, für Karl
und Otto den Großen, den großen Kurfürsten, Friedrich den Großen und wie
die „Großen" noch sonst alle heißen; er empfindet Mitleid mit dem heiteren,
aber unglücklichen Philipp von Staufen, Abneigung gegen seinen robusten
Geguer, er schwärmt für Blücher, Herzog Ernst, Harmodius und Aristogiton
in einem Athem. Sie alle sind ihm scharf umgrenzte Gestalten; aus welchem
Flickwerk sie zusammengestückt wurden, und wie verschiedene Bilder die Zn¬
sammensetzer oft dabei zu Tage förderten, das ahnt er nur in den seltensten
Fällen. Die Geschichte ist ihm eines der anziehendsten aller Wissensgebiete,
aus innerer Neigung erfaßt er sie als Beruf seines Lebens und glaubt —
wenn er sich überhaupt Gedanken in dieser Richtung macht — mit einem
klassischen Griechisch, eieeronischem Latein, etwas Französisch, glücklicher Phan¬
tasie und gebildetem Stil die Welt erobern zu können.

So ungefähr nimmt sich die eine Gruppe der jungen Leute aus, die sich
als „Historiker" oder <ma,si als „Philosophen" in das Universitätsalbum ein¬
zeichnen. Nach und nach gedeihen sie zu der Erkenntniß, daß so ein Historiker
viel Papier, vieles unsäglich Geisttodte und Breitspurige durchstöbern muß, um
am Ende doch nur Weizenkörner von zweifelhafter Brauchbarkeit zu finden.
Viele lassen sich dadurch nicht abschrecken, sie verharren unerschüttert und frohen
Angesichts auf der einmal betretenen Bahn, Andere verlieren den Muth, wissen
aber sonst nicht nnterznschlüpfen und schlendern deshalb weiter; hinter dem
Examen winkt ja das Brot! Etliche wenden sich einem anderen Fache zu.

Aus Studirenden, welche sich in umgekehrter Richtung bewegen, die ihr
bisheriges Studium aufgaben und zur Geschichte übertraten, besteht die zweite
Klasse derer, die dieser Wissenschaft obliegen. War es innerer Drang, der
sie zu jenem Schritte veranlaßte, so dürfen tüchtige Leistungen von ihnen er¬
wartet werden; leider liegen die Dinge aber meistens anders, da namentlich
Philologen im Laufe der Thätigkeit empfinden, daß es mit ihrer Kenntniß alter
Sprachen nur mangelhaft stehe, und uicht ohne Grund wähnen sie, der Boden
der Historie sei noch weniger durchackert, als derjenige, welchen sie bisher ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/330>, abgerufen am 23.07.2024.