Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Constellation wiederholte sich, als die Frage jetzt gelegentlich des Etats zur
Sprache gebracht wurde. Niemand wird bestreiten, daß von beiden Seiten
gewichtige Gründe vorgebracht werden. Doch scheinen uns die Befürchtungen
des Herrn v. Sybel übertrieben. Wenn die große Mehrheit der rheinischen
Bevölkerung sich von dem Klerus an die Wahlurne treiben läßt, so ist damit
noch keineswegs gesagt, daß sie auch in der Verwaltung der Commuueange-
legenheiten uach seiner Pfeife tanzen werde. Die Ansicht Miqnels verdient
schwerlich den Vorwurf des Optimismus, daß das Zusammenarbeiten gerade
auf diesem Gebiete die Parteigegeusätze weit eher mildern, als verschärfen werde.
Auf alle Fülle aber dünkt uns, daß die Hetzerei, welche die ultramontane Partei
mit der Verweigerung der Kreisordnung treibt, viel gefährlicher ist, als
der Machtzuwachs, welcher ihr durch die Gewährung der Kreisordnnng
vielleicht verschafft werden könnte.

Der erregteste Kampf der Woche knüpfte sich an die Ausgaben für die
geheime Polizei. Graf Eulenburg geriet!) von Neuem ins Kreuzfeuer zwischen
Centrum und Fortschritt. Nach beiden Seiten blieb er nichts schuldig. Etwas
gar zu gewagt war freilich sein Versuch, den Ultramontanismus für das Em¬
porkommen der Sozialdemokratie in Deutschland verantwortlich zu machen;
unseres Trachtens thäte die Regierung überhaupt gut, bei der Erörterung der
Entstehung unserer heutigen Sozialdemokratie sich des Wortes vom Wohnen
im Glashause zu erinnern. Die fulminante Erwiderung, welche Herr Windt-
horst für den Minister in Mtv hatte, wurde aber arg durchkreuzt durch eine
Rede Wehrenpfennigs, welcher treffender als je die revolutionäre Tendenz des
Ultramontanismus darlegte und das frivole Coquettireu und Covperiren des¬
selben mit dem Sozialismus brandmarkte. Herr Windthorst bemühte sich nun,
der Welt die wahre Stellung seiner Partei zur Sozialdemokratie zu offenbaren.
Wer ihn hörte, mußte glauben, daß vor ihm kein Mensch weder das Wesen
der Sozial demokratie noch die richtigen Mittel zu ihrer Bekämpfung gekannt
habe. Eigene Aufschlüsse über dies Wesen und diese Mittel aber vermied er
wohlweislich. Und so war die ganze Rede mit ihrer erkünstelten Sentimen¬
talität, mit ihren demagogischen Phrasen und mit ihrem -- ganz gewöhnlichen
Geschimpfe lediglich eine Bestätigung jenes Coqnettirens und Cooperirens.

Erledigt wurde neben dem Etat des Ministeriums des Innern der Ge¬
setzentwurf wegen Umwandlung des Berliner Zeughauses in eine Ruhmeshalle
für die preußische Armee. Natürlich spielte auch hier wieder der Kulturkampf,
diesmal mit specifisch welfischer Färbung, die Hauptrolle. Wie eine erquickende
Oase inmitten dieser wüsten Wnthausbrüche muthete eine echt patriotische Rede
Virchows an. Sie erinnerte an das Wort des alten Ziegler in den bangen
Tagen vor der Entscheidung von 1866: "Das Herz der preußischen Demokratie


Constellation wiederholte sich, als die Frage jetzt gelegentlich des Etats zur
Sprache gebracht wurde. Niemand wird bestreiten, daß von beiden Seiten
gewichtige Gründe vorgebracht werden. Doch scheinen uns die Befürchtungen
des Herrn v. Sybel übertrieben. Wenn die große Mehrheit der rheinischen
Bevölkerung sich von dem Klerus an die Wahlurne treiben läßt, so ist damit
noch keineswegs gesagt, daß sie auch in der Verwaltung der Commuueange-
legenheiten uach seiner Pfeife tanzen werde. Die Ansicht Miqnels verdient
schwerlich den Vorwurf des Optimismus, daß das Zusammenarbeiten gerade
auf diesem Gebiete die Parteigegeusätze weit eher mildern, als verschärfen werde.
Auf alle Fülle aber dünkt uns, daß die Hetzerei, welche die ultramontane Partei
mit der Verweigerung der Kreisordnung treibt, viel gefährlicher ist, als
der Machtzuwachs, welcher ihr durch die Gewährung der Kreisordnnng
vielleicht verschafft werden könnte.

Der erregteste Kampf der Woche knüpfte sich an die Ausgaben für die
geheime Polizei. Graf Eulenburg geriet!) von Neuem ins Kreuzfeuer zwischen
Centrum und Fortschritt. Nach beiden Seiten blieb er nichts schuldig. Etwas
gar zu gewagt war freilich sein Versuch, den Ultramontanismus für das Em¬
porkommen der Sozialdemokratie in Deutschland verantwortlich zu machen;
unseres Trachtens thäte die Regierung überhaupt gut, bei der Erörterung der
Entstehung unserer heutigen Sozialdemokratie sich des Wortes vom Wohnen
im Glashause zu erinnern. Die fulminante Erwiderung, welche Herr Windt-
horst für den Minister in Mtv hatte, wurde aber arg durchkreuzt durch eine
Rede Wehrenpfennigs, welcher treffender als je die revolutionäre Tendenz des
Ultramontanismus darlegte und das frivole Coquettireu und Covperiren des¬
selben mit dem Sozialismus brandmarkte. Herr Windthorst bemühte sich nun,
der Welt die wahre Stellung seiner Partei zur Sozialdemokratie zu offenbaren.
Wer ihn hörte, mußte glauben, daß vor ihm kein Mensch weder das Wesen
der Sozial demokratie noch die richtigen Mittel zu ihrer Bekämpfung gekannt
habe. Eigene Aufschlüsse über dies Wesen und diese Mittel aber vermied er
wohlweislich. Und so war die ganze Rede mit ihrer erkünstelten Sentimen¬
talität, mit ihren demagogischen Phrasen und mit ihrem — ganz gewöhnlichen
Geschimpfe lediglich eine Bestätigung jenes Coqnettirens und Cooperirens.

Erledigt wurde neben dem Etat des Ministeriums des Innern der Ge¬
setzentwurf wegen Umwandlung des Berliner Zeughauses in eine Ruhmeshalle
für die preußische Armee. Natürlich spielte auch hier wieder der Kulturkampf,
diesmal mit specifisch welfischer Färbung, die Hauptrolle. Wie eine erquickende
Oase inmitten dieser wüsten Wnthausbrüche muthete eine echt patriotische Rede
Virchows an. Sie erinnerte an das Wort des alten Ziegler in den bangen
Tagen vor der Entscheidung von 1866: „Das Herz der preußischen Demokratie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0324" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137497"/>
          <p xml:id="ID_1054" prev="#ID_1053"> Constellation wiederholte sich, als die Frage jetzt gelegentlich des Etats zur<lb/>
Sprache gebracht wurde. Niemand wird bestreiten, daß von beiden Seiten<lb/>
gewichtige Gründe vorgebracht werden. Doch scheinen uns die Befürchtungen<lb/>
des Herrn v. Sybel übertrieben. Wenn die große Mehrheit der rheinischen<lb/>
Bevölkerung sich von dem Klerus an die Wahlurne treiben läßt, so ist damit<lb/>
noch keineswegs gesagt, daß sie auch in der Verwaltung der Commuueange-<lb/>
legenheiten uach seiner Pfeife tanzen werde. Die Ansicht Miqnels verdient<lb/>
schwerlich den Vorwurf des Optimismus, daß das Zusammenarbeiten gerade<lb/>
auf diesem Gebiete die Parteigegeusätze weit eher mildern, als verschärfen werde.<lb/>
Auf alle Fülle aber dünkt uns, daß die Hetzerei, welche die ultramontane Partei<lb/>
mit der Verweigerung der Kreisordnung treibt, viel gefährlicher ist, als<lb/>
der Machtzuwachs, welcher ihr durch die Gewährung der Kreisordnnng<lb/>
vielleicht verschafft werden könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1055"> Der erregteste Kampf der Woche knüpfte sich an die Ausgaben für die<lb/>
geheime Polizei. Graf Eulenburg geriet!) von Neuem ins Kreuzfeuer zwischen<lb/>
Centrum und Fortschritt. Nach beiden Seiten blieb er nichts schuldig. Etwas<lb/>
gar zu gewagt war freilich sein Versuch, den Ultramontanismus für das Em¬<lb/>
porkommen der Sozialdemokratie in Deutschland verantwortlich zu machen;<lb/>
unseres Trachtens thäte die Regierung überhaupt gut, bei der Erörterung der<lb/>
Entstehung unserer heutigen Sozialdemokratie sich des Wortes vom Wohnen<lb/>
im Glashause zu erinnern. Die fulminante Erwiderung, welche Herr Windt-<lb/>
horst für den Minister in Mtv hatte, wurde aber arg durchkreuzt durch eine<lb/>
Rede Wehrenpfennigs, welcher treffender als je die revolutionäre Tendenz des<lb/>
Ultramontanismus darlegte und das frivole Coquettireu und Covperiren des¬<lb/>
selben mit dem Sozialismus brandmarkte. Herr Windthorst bemühte sich nun,<lb/>
der Welt die wahre Stellung seiner Partei zur Sozialdemokratie zu offenbaren.<lb/>
Wer ihn hörte, mußte glauben, daß vor ihm kein Mensch weder das Wesen<lb/>
der Sozial demokratie noch die richtigen Mittel zu ihrer Bekämpfung gekannt<lb/>
habe. Eigene Aufschlüsse über dies Wesen und diese Mittel aber vermied er<lb/>
wohlweislich. Und so war die ganze Rede mit ihrer erkünstelten Sentimen¬<lb/>
talität, mit ihren demagogischen Phrasen und mit ihrem &#x2014; ganz gewöhnlichen<lb/>
Geschimpfe lediglich eine Bestätigung jenes Coqnettirens und Cooperirens.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1056" next="#ID_1057"> Erledigt wurde neben dem Etat des Ministeriums des Innern der Ge¬<lb/>
setzentwurf wegen Umwandlung des Berliner Zeughauses in eine Ruhmeshalle<lb/>
für die preußische Armee. Natürlich spielte auch hier wieder der Kulturkampf,<lb/>
diesmal mit specifisch welfischer Färbung, die Hauptrolle. Wie eine erquickende<lb/>
Oase inmitten dieser wüsten Wnthausbrüche muthete eine echt patriotische Rede<lb/>
Virchows an. Sie erinnerte an das Wort des alten Ziegler in den bangen<lb/>
Tagen vor der Entscheidung von 1866: &#x201E;Das Herz der preußischen Demokratie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0324] Constellation wiederholte sich, als die Frage jetzt gelegentlich des Etats zur Sprache gebracht wurde. Niemand wird bestreiten, daß von beiden Seiten gewichtige Gründe vorgebracht werden. Doch scheinen uns die Befürchtungen des Herrn v. Sybel übertrieben. Wenn die große Mehrheit der rheinischen Bevölkerung sich von dem Klerus an die Wahlurne treiben läßt, so ist damit noch keineswegs gesagt, daß sie auch in der Verwaltung der Commuueange- legenheiten uach seiner Pfeife tanzen werde. Die Ansicht Miqnels verdient schwerlich den Vorwurf des Optimismus, daß das Zusammenarbeiten gerade auf diesem Gebiete die Parteigegeusätze weit eher mildern, als verschärfen werde. Auf alle Fülle aber dünkt uns, daß die Hetzerei, welche die ultramontane Partei mit der Verweigerung der Kreisordnung treibt, viel gefährlicher ist, als der Machtzuwachs, welcher ihr durch die Gewährung der Kreisordnnng vielleicht verschafft werden könnte. Der erregteste Kampf der Woche knüpfte sich an die Ausgaben für die geheime Polizei. Graf Eulenburg geriet!) von Neuem ins Kreuzfeuer zwischen Centrum und Fortschritt. Nach beiden Seiten blieb er nichts schuldig. Etwas gar zu gewagt war freilich sein Versuch, den Ultramontanismus für das Em¬ porkommen der Sozialdemokratie in Deutschland verantwortlich zu machen; unseres Trachtens thäte die Regierung überhaupt gut, bei der Erörterung der Entstehung unserer heutigen Sozialdemokratie sich des Wortes vom Wohnen im Glashause zu erinnern. Die fulminante Erwiderung, welche Herr Windt- horst für den Minister in Mtv hatte, wurde aber arg durchkreuzt durch eine Rede Wehrenpfennigs, welcher treffender als je die revolutionäre Tendenz des Ultramontanismus darlegte und das frivole Coquettireu und Covperiren des¬ selben mit dem Sozialismus brandmarkte. Herr Windthorst bemühte sich nun, der Welt die wahre Stellung seiner Partei zur Sozialdemokratie zu offenbaren. Wer ihn hörte, mußte glauben, daß vor ihm kein Mensch weder das Wesen der Sozial demokratie noch die richtigen Mittel zu ihrer Bekämpfung gekannt habe. Eigene Aufschlüsse über dies Wesen und diese Mittel aber vermied er wohlweislich. Und so war die ganze Rede mit ihrer erkünstelten Sentimen¬ talität, mit ihren demagogischen Phrasen und mit ihrem — ganz gewöhnlichen Geschimpfe lediglich eine Bestätigung jenes Coqnettirens und Cooperirens. Erledigt wurde neben dem Etat des Ministeriums des Innern der Ge¬ setzentwurf wegen Umwandlung des Berliner Zeughauses in eine Ruhmeshalle für die preußische Armee. Natürlich spielte auch hier wieder der Kulturkampf, diesmal mit specifisch welfischer Färbung, die Hauptrolle. Wie eine erquickende Oase inmitten dieser wüsten Wnthausbrüche muthete eine echt patriotische Rede Virchows an. Sie erinnerte an das Wort des alten Ziegler in den bangen Tagen vor der Entscheidung von 1866: „Das Herz der preußischen Demokratie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/324
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/324>, abgerufen am 23.07.2024.