Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.loschene oder tiefeingesunkene Augen, Gehörsschwäche, schlechte Beschaffenheit der Lin alter Bekannter. Der Alarmruf, den die "Grenzboten" von der westlichen Grenze her im loschene oder tiefeingesunkene Augen, Gehörsschwäche, schlechte Beschaffenheit der Lin alter Bekannter. Der Alarmruf, den die „Grenzboten" von der westlichen Grenze her im <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0306" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137479"/> <p xml:id="ID_998" prev="#ID_997"> loschene oder tiefeingesunkene Augen, Gehörsschwäche, schlechte Beschaffenheit der<lb/> Organe des Athems und der Verdauung, Gehirnerweichung und was sonst<lb/> noch Häßliches und Verdrießliches ans dem Wege zwischen dem achtzigsten<lb/> und dem hundertsten Geburtstage^auch den meisten völlig normal Orgcmisirten<lb/> aufzulauern und sich aufzudrängen pflegt, so ist sehr alt werden näher betrachtet<lb/> trotz der Schrecken des Grabes kein rechtes Vergnügen. Diese eingetrockneten<lb/> Halbtodten, in deren Köpfen und Herzen die Persönlichkeit und das Bewußt¬<lb/> sein kann: noch erhalten sind, diese zu Fett gewordenen Reliquien längst ver¬<lb/> flossener Tage würden, wenn der Wunsch nach sehr langer Lebensdauer oft<lb/> erfüllt würde, wenn wir sie demzufolge häufiger zu Gesicht bekämen, oder<lb/> wenn wir sie sogar nicht als Ausnahmen, sondern als Regel zu betrachten<lb/> hätten, einen ^ bedrückenden Einfluß auf die uoch ganz lebende jüngere Welt<lb/> ausüben. Ein nützliches, sich selbst und seiner Umgebung erfreuliches, Segen<lb/> verbreitendes, das Vaterland förderndes Leben ist zu wünschen, nicht ein über<lb/> das gewöhnliche Maß hinausgehendes, unfruchtbares, schläfriges Fortflackern<lb/> der Lebensflamme. Leben heißt arbeiten, dann genießen können, und ein Vege-<lb/> tiren in halbversteiuertem Zustande, in Dusel und Traum, ein Zerbröckeln,<lb/> Verwittern und Erschlaffen, eine Existenz ohne die alten Freunde, ohne Ver¬<lb/> ständniß der neuen Zeit, ein Znsammenschwinden aller geistigen Fähigkeiten,<lb/> wie wir dies alles bei den hier besprochenen Urgreisen bemerken, erinnert doch<lb/> gar zu sehr an das ewige Leben der Frau im Glase, die in der lübeker<lb/> Marienkirche hängt, als daß man sich nicht geneigt finden könnte, einmal eine<lb/> Ausnahme von der Regel zu machen und sich lieber statt des Gewissen das Un¬<lb/> gewisse herbeizuwünschen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Lin alter Bekannter.</head><lb/> <p xml:id="ID_999" next="#ID_1000"> Der Alarmruf, den die „Grenzboten" von der westlichen Grenze her im<lb/> December ausstießen, gegen die französische Anmaßung eines P. Merruau, der<lb/> unter der Haut eiues wissenschaftlichen Löwen die vollkommene Natur eines<lb/> französischen — Chauvins nur kümmerlich verbarg; dieser Alarmruf, die Re¬<lb/> daktion darf es sich sagen, hat seinen Zweck vollkommen erfüllt. Als im Fe-<lb/> brnarheft der Revue (los «Zeux moiulss unser verkleideter Löwe von Neuem seine<lb/> Stimme erschallen ließ, da haben ihn unabhängige, ofsieiöse und offizielle<lb/> deutsche Blätter tapfer an den Ohren gepackt und weidlich zerzaust. Daß sie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0306]
loschene oder tiefeingesunkene Augen, Gehörsschwäche, schlechte Beschaffenheit der
Organe des Athems und der Verdauung, Gehirnerweichung und was sonst
noch Häßliches und Verdrießliches ans dem Wege zwischen dem achtzigsten
und dem hundertsten Geburtstage^auch den meisten völlig normal Orgcmisirten
aufzulauern und sich aufzudrängen pflegt, so ist sehr alt werden näher betrachtet
trotz der Schrecken des Grabes kein rechtes Vergnügen. Diese eingetrockneten
Halbtodten, in deren Köpfen und Herzen die Persönlichkeit und das Bewußt¬
sein kann: noch erhalten sind, diese zu Fett gewordenen Reliquien längst ver¬
flossener Tage würden, wenn der Wunsch nach sehr langer Lebensdauer oft
erfüllt würde, wenn wir sie demzufolge häufiger zu Gesicht bekämen, oder
wenn wir sie sogar nicht als Ausnahmen, sondern als Regel zu betrachten
hätten, einen ^ bedrückenden Einfluß auf die uoch ganz lebende jüngere Welt
ausüben. Ein nützliches, sich selbst und seiner Umgebung erfreuliches, Segen
verbreitendes, das Vaterland förderndes Leben ist zu wünschen, nicht ein über
das gewöhnliche Maß hinausgehendes, unfruchtbares, schläfriges Fortflackern
der Lebensflamme. Leben heißt arbeiten, dann genießen können, und ein Vege-
tiren in halbversteiuertem Zustande, in Dusel und Traum, ein Zerbröckeln,
Verwittern und Erschlaffen, eine Existenz ohne die alten Freunde, ohne Ver¬
ständniß der neuen Zeit, ein Znsammenschwinden aller geistigen Fähigkeiten,
wie wir dies alles bei den hier besprochenen Urgreisen bemerken, erinnert doch
gar zu sehr an das ewige Leben der Frau im Glase, die in der lübeker
Marienkirche hängt, als daß man sich nicht geneigt finden könnte, einmal eine
Ausnahme von der Regel zu machen und sich lieber statt des Gewissen das Un¬
gewisse herbeizuwünschen.
Lin alter Bekannter.
Der Alarmruf, den die „Grenzboten" von der westlichen Grenze her im
December ausstießen, gegen die französische Anmaßung eines P. Merruau, der
unter der Haut eiues wissenschaftlichen Löwen die vollkommene Natur eines
französischen — Chauvins nur kümmerlich verbarg; dieser Alarmruf, die Re¬
daktion darf es sich sagen, hat seinen Zweck vollkommen erfüllt. Als im Fe-
brnarheft der Revue (los «Zeux moiulss unser verkleideter Löwe von Neuem seine
Stimme erschallen ließ, da haben ihn unabhängige, ofsieiöse und offizielle
deutsche Blätter tapfer an den Ohren gepackt und weidlich zerzaust. Daß sie
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