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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Regel zu nennen. "James Macdonald, der 1760 im Alter von 117 Jahren
starb, war ein Gigant von sieben Fuß sechs Zoll Länge, und der Farmer
Charles Blizard, der dickste Mann in seiner Grafschaft, starb 1785, nachdem
er sein Alter auf 107 Jahre gebracht hatte."

Indem wir von diesen Ungeheuerlichkeiten sprechen, deren Bekanntschaft
man gewöhnlich auf Märkten und Schaubühnen macht, erinnern wir uns an
einen Schauspieler, dem wir in diesem Zusammenhange einen Platz anweisen
dürfen. Charles Macklin, der im vorigen Jahrhundert ein beliebter Clown auf
dem Coventgarden - Theater zu London war, starb 1797, nachdem er dasselbe
Alter wie jener wohlbeleibte Greis Blizard erreicht.

Reiselustige, unstete, ungewöhnlich bewegliche Geister scheinen es selten zu
hohen Jahren zu bringen. Dagegen ist eine conservative Gesinnung, eine gute
Dosis Phlegma und Geduld, ein Haften an der Scholle, am Amte oder Hause
dem Anschein nach dienlich zu langem Leben. Ein gewisser John Burnet, der
hundert und neun Mal Weihnachten feiern half, starb 1734 in demselben
Hanse, in dem er geboren worden war. Er heirathete sechs Frauen und zwar
drei davon, nachdem er das hundertste Jahr bereits hinter sich hatte. Ein ge¬
wisser Wrench, der 1785 aus der Welt schied, nachdem er seinen Geburtstag
hundertundeinmal erlebt, gab seinen Geist in demselben Zimmer auf, wo er zu¬
erst das Licht gesehen und seitdem immer gewohnt hatte. Seine zwei Frauen
hatten ihm nicht weniger als zweiunddreißig Kinder geschenkt. Der Geistliche
Braithwaite zu Carlile in England ging 1754 im Alter von 110 Jahren zu
seines Herrn Freude ein. Er hatte der Kirche, an welcher er angestellt war,
bei seinem Ableben über ein Jahrhundert gedient, da er damit angefangen
hatte, daß er 1652, im Alter von acht Jahren, in die Reihe der Chorknaben
derselben eingetreten war.

Wir werfen zuletzt mit Thomson die Frage auf, ob es im Ernst wün¬
schenswert!) sein kaun, ein Alter von mehr als hundert Jahren zu erreichen.
"Die persönliche Erscheinung der in weit vorgerückten Jahren stehenden Men¬
schen ist", wie Thomson sagt, "gewöhnlich weit davon entfernt, eine anmuthige
und gewinnende zu sein. Einige, die eine Gesichtsfarbe wie Mahagonyholz
haben, scheinen nur zusammenzutrocknen, aber Sehnen von Draht und eine so
zähe Natur zu besitzen, daß sie Dekade ans Dekade fortleben. Dann aber
giebt es Andere, vorzüglich unter den Angehörigen des weiblichen Geschlechts,
die nicht eindörren und zusammenschrumpfen, sondern fleischig bleiben und cor-
Pulent, bleich und quatschelig, ja zuweilen außerordentlich seit werden. Ihre
Haut furcht und runzelt sich nicht, sondern hängt in Wülsten herunter, und
ihre Stimme nimmt, statt fein und piepend zu werden, einen rauhen und heisern
Ton an. Denken wir uns dazu noch Zahnlosigkeit und Kahlköpfigkeit, er-


Greiizbvten I. 1877. 38

Regel zu nennen. „James Macdonald, der 1760 im Alter von 117 Jahren
starb, war ein Gigant von sieben Fuß sechs Zoll Länge, und der Farmer
Charles Blizard, der dickste Mann in seiner Grafschaft, starb 1785, nachdem
er sein Alter auf 107 Jahre gebracht hatte."

Indem wir von diesen Ungeheuerlichkeiten sprechen, deren Bekanntschaft
man gewöhnlich auf Märkten und Schaubühnen macht, erinnern wir uns an
einen Schauspieler, dem wir in diesem Zusammenhange einen Platz anweisen
dürfen. Charles Macklin, der im vorigen Jahrhundert ein beliebter Clown auf
dem Coventgarden - Theater zu London war, starb 1797, nachdem er dasselbe
Alter wie jener wohlbeleibte Greis Blizard erreicht.

Reiselustige, unstete, ungewöhnlich bewegliche Geister scheinen es selten zu
hohen Jahren zu bringen. Dagegen ist eine conservative Gesinnung, eine gute
Dosis Phlegma und Geduld, ein Haften an der Scholle, am Amte oder Hause
dem Anschein nach dienlich zu langem Leben. Ein gewisser John Burnet, der
hundert und neun Mal Weihnachten feiern half, starb 1734 in demselben
Hanse, in dem er geboren worden war. Er heirathete sechs Frauen und zwar
drei davon, nachdem er das hundertste Jahr bereits hinter sich hatte. Ein ge¬
wisser Wrench, der 1785 aus der Welt schied, nachdem er seinen Geburtstag
hundertundeinmal erlebt, gab seinen Geist in demselben Zimmer auf, wo er zu¬
erst das Licht gesehen und seitdem immer gewohnt hatte. Seine zwei Frauen
hatten ihm nicht weniger als zweiunddreißig Kinder geschenkt. Der Geistliche
Braithwaite zu Carlile in England ging 1754 im Alter von 110 Jahren zu
seines Herrn Freude ein. Er hatte der Kirche, an welcher er angestellt war,
bei seinem Ableben über ein Jahrhundert gedient, da er damit angefangen
hatte, daß er 1652, im Alter von acht Jahren, in die Reihe der Chorknaben
derselben eingetreten war.

Wir werfen zuletzt mit Thomson die Frage auf, ob es im Ernst wün¬
schenswert!) sein kaun, ein Alter von mehr als hundert Jahren zu erreichen.
„Die persönliche Erscheinung der in weit vorgerückten Jahren stehenden Men¬
schen ist", wie Thomson sagt, „gewöhnlich weit davon entfernt, eine anmuthige
und gewinnende zu sein. Einige, die eine Gesichtsfarbe wie Mahagonyholz
haben, scheinen nur zusammenzutrocknen, aber Sehnen von Draht und eine so
zähe Natur zu besitzen, daß sie Dekade ans Dekade fortleben. Dann aber
giebt es Andere, vorzüglich unter den Angehörigen des weiblichen Geschlechts,
die nicht eindörren und zusammenschrumpfen, sondern fleischig bleiben und cor-
Pulent, bleich und quatschelig, ja zuweilen außerordentlich seit werden. Ihre
Haut furcht und runzelt sich nicht, sondern hängt in Wülsten herunter, und
ihre Stimme nimmt, statt fein und piepend zu werden, einen rauhen und heisern
Ton an. Denken wir uns dazu noch Zahnlosigkeit und Kahlköpfigkeit, er-


Greiizbvten I. 1877. 38
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[0305] Regel zu nennen. „James Macdonald, der 1760 im Alter von 117 Jahren starb, war ein Gigant von sieben Fuß sechs Zoll Länge, und der Farmer Charles Blizard, der dickste Mann in seiner Grafschaft, starb 1785, nachdem er sein Alter auf 107 Jahre gebracht hatte." Indem wir von diesen Ungeheuerlichkeiten sprechen, deren Bekanntschaft man gewöhnlich auf Märkten und Schaubühnen macht, erinnern wir uns an einen Schauspieler, dem wir in diesem Zusammenhange einen Platz anweisen dürfen. Charles Macklin, der im vorigen Jahrhundert ein beliebter Clown auf dem Coventgarden - Theater zu London war, starb 1797, nachdem er dasselbe Alter wie jener wohlbeleibte Greis Blizard erreicht. Reiselustige, unstete, ungewöhnlich bewegliche Geister scheinen es selten zu hohen Jahren zu bringen. Dagegen ist eine conservative Gesinnung, eine gute Dosis Phlegma und Geduld, ein Haften an der Scholle, am Amte oder Hause dem Anschein nach dienlich zu langem Leben. Ein gewisser John Burnet, der hundert und neun Mal Weihnachten feiern half, starb 1734 in demselben Hanse, in dem er geboren worden war. Er heirathete sechs Frauen und zwar drei davon, nachdem er das hundertste Jahr bereits hinter sich hatte. Ein ge¬ wisser Wrench, der 1785 aus der Welt schied, nachdem er seinen Geburtstag hundertundeinmal erlebt, gab seinen Geist in demselben Zimmer auf, wo er zu¬ erst das Licht gesehen und seitdem immer gewohnt hatte. Seine zwei Frauen hatten ihm nicht weniger als zweiunddreißig Kinder geschenkt. Der Geistliche Braithwaite zu Carlile in England ging 1754 im Alter von 110 Jahren zu seines Herrn Freude ein. Er hatte der Kirche, an welcher er angestellt war, bei seinem Ableben über ein Jahrhundert gedient, da er damit angefangen hatte, daß er 1652, im Alter von acht Jahren, in die Reihe der Chorknaben derselben eingetreten war. Wir werfen zuletzt mit Thomson die Frage auf, ob es im Ernst wün¬ schenswert!) sein kaun, ein Alter von mehr als hundert Jahren zu erreichen. „Die persönliche Erscheinung der in weit vorgerückten Jahren stehenden Men¬ schen ist", wie Thomson sagt, „gewöhnlich weit davon entfernt, eine anmuthige und gewinnende zu sein. Einige, die eine Gesichtsfarbe wie Mahagonyholz haben, scheinen nur zusammenzutrocknen, aber Sehnen von Draht und eine so zähe Natur zu besitzen, daß sie Dekade ans Dekade fortleben. Dann aber giebt es Andere, vorzüglich unter den Angehörigen des weiblichen Geschlechts, die nicht eindörren und zusammenschrumpfen, sondern fleischig bleiben und cor- Pulent, bleich und quatschelig, ja zuweilen außerordentlich seit werden. Ihre Haut furcht und runzelt sich nicht, sondern hängt in Wülsten herunter, und ihre Stimme nimmt, statt fein und piepend zu werden, einen rauhen und heisern Ton an. Denken wir uns dazu noch Zahnlosigkeit und Kahlköpfigkeit, er- Greiizbvten I. 1877. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/305>, abgerufen am 23.07.2024.