Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

im vierzehnten Jahre schon die erste und im vierundachtzigsten die letzte. Aus
seiner vierten Ehe" -- wir citiren Hufeland hier mit einigem Kopfschütteln
-- "wurden ihm sieben Kinder geboren, und als er starb, war seine Frau
mit dem achten guter Hoffnung. Er verlor die Munterkeit seines Leibes und
seiner Seele erst in den letzten Monaten seines Lebens. Nie brauchte er eine
Brille, und oft machte er in seinem hohen Alter noch einen Weg von zwei
Stunden zu Fuße. Seine gewöhnliche Kost waren Eier, nie aß er gekochtes
Fleisch, nur dann und wann gebratenes, aber immer nnr wenig. Thee trank
er häufig, und zwar mit Rosoglio und Zuckerkand."

Mehrere unserer ehrwürdigen Freunde und Freundinnen durften sich also
getrauen, in hohem Alter wieder zu heirathen. Manche aber unternahmen
das Wagniß nicht blos wie de Capellis vier, sondern fünf, sechs, zehn Mal,
ja der Franzose Jaaues Gay in Bordeaux, der 1772 in: Alter von 101 Jahren
mit Tode abging, hatte nacheinander sechzehn Frauen glücklich gemacht und
begraben, und die 1768 verstorbene Schottin Margaret Maedowal that es
ihm in den hnndertnndsechs Sommern, die über ihr Haupt hinzogen, in der
Hartnäckigkeit des Verlangens nach immer neuen ehelichen Freuden beinahe
gleich; denn sie ging aus dieser Zeitlichkeit als bekümmerte Wittwe des drei¬
zehnten Mannes.

Wie viel schöner als diese flatterhaften Alten ist das Bild der treuen
und entsagungsvollen Britin Agnes Stümer, die 1499 in ihren: hnndertnnd-
zehnten Lebensjahre von hinnen schied, nachdem sie ihren seligen Stümer volle
zweinndnennzig Jahre beweint hatte, ohne je ein Ange ans einen zum Nach¬
folger geeigneten Andern zu werfen! Ein ganz besonders rührendes Beispiel
ehelicher Treue, welches in unsern Angen nur deu Maugel hat, etwas un¬
glaubwürdig zu sein, sind Johann Rovin und seine Fran Sarah, die nach
Thomson 1741, er 172, sie 164 Jahre alt, zu Temeswar starben. Sie hatten
nicht weniger als hnndertachtundvierzig Jahre als Eheleute mit einander ver¬
lebt, und ihr jüngster Sohn war zur Zeit ihres Hinganges ein Greis von
116 Jahren. Was wollen unsere diamantenem Hochzeiten dieser Wiederkehr
von Philemon und Baucis gegenüber bedeuten! Und nun vollends die goldenen,
von den silbernen gar nicht zu reden.

Wir haben uns, meinen wir, hinreichend gegen den Vorwurf der Leicht¬
gläubigkeit verwahrt, und so können wir ohne Gefahr und ohne erst zu sagen,
daß wir mit den: Folgenden theilweise Erfindungen oder mindestens Ueber¬
treibungen nacherzählen, unsrer Quelle noch ein paar hierher gehörende Wunder
entnehmen.

Im Jahre 1702 starb der Smyrneser Franz Hvngo, venetianischer Consul
in seiner Vaterstadt, in: huudertunddreizehnten Jahre. Er hatte niemals in


im vierzehnten Jahre schon die erste und im vierundachtzigsten die letzte. Aus
seiner vierten Ehe" — wir citiren Hufeland hier mit einigem Kopfschütteln
— „wurden ihm sieben Kinder geboren, und als er starb, war seine Frau
mit dem achten guter Hoffnung. Er verlor die Munterkeit seines Leibes und
seiner Seele erst in den letzten Monaten seines Lebens. Nie brauchte er eine
Brille, und oft machte er in seinem hohen Alter noch einen Weg von zwei
Stunden zu Fuße. Seine gewöhnliche Kost waren Eier, nie aß er gekochtes
Fleisch, nur dann und wann gebratenes, aber immer nnr wenig. Thee trank
er häufig, und zwar mit Rosoglio und Zuckerkand."

Mehrere unserer ehrwürdigen Freunde und Freundinnen durften sich also
getrauen, in hohem Alter wieder zu heirathen. Manche aber unternahmen
das Wagniß nicht blos wie de Capellis vier, sondern fünf, sechs, zehn Mal,
ja der Franzose Jaaues Gay in Bordeaux, der 1772 in: Alter von 101 Jahren
mit Tode abging, hatte nacheinander sechzehn Frauen glücklich gemacht und
begraben, und die 1768 verstorbene Schottin Margaret Maedowal that es
ihm in den hnndertnndsechs Sommern, die über ihr Haupt hinzogen, in der
Hartnäckigkeit des Verlangens nach immer neuen ehelichen Freuden beinahe
gleich; denn sie ging aus dieser Zeitlichkeit als bekümmerte Wittwe des drei¬
zehnten Mannes.

Wie viel schöner als diese flatterhaften Alten ist das Bild der treuen
und entsagungsvollen Britin Agnes Stümer, die 1499 in ihren: hnndertnnd-
zehnten Lebensjahre von hinnen schied, nachdem sie ihren seligen Stümer volle
zweinndnennzig Jahre beweint hatte, ohne je ein Ange ans einen zum Nach¬
folger geeigneten Andern zu werfen! Ein ganz besonders rührendes Beispiel
ehelicher Treue, welches in unsern Angen nur deu Maugel hat, etwas un¬
glaubwürdig zu sein, sind Johann Rovin und seine Fran Sarah, die nach
Thomson 1741, er 172, sie 164 Jahre alt, zu Temeswar starben. Sie hatten
nicht weniger als hnndertachtundvierzig Jahre als Eheleute mit einander ver¬
lebt, und ihr jüngster Sohn war zur Zeit ihres Hinganges ein Greis von
116 Jahren. Was wollen unsere diamantenem Hochzeiten dieser Wiederkehr
von Philemon und Baucis gegenüber bedeuten! Und nun vollends die goldenen,
von den silbernen gar nicht zu reden.

Wir haben uns, meinen wir, hinreichend gegen den Vorwurf der Leicht¬
gläubigkeit verwahrt, und so können wir ohne Gefahr und ohne erst zu sagen,
daß wir mit den: Folgenden theilweise Erfindungen oder mindestens Ueber¬
treibungen nacherzählen, unsrer Quelle noch ein paar hierher gehörende Wunder
entnehmen.

Im Jahre 1702 starb der Smyrneser Franz Hvngo, venetianischer Consul
in seiner Vaterstadt, in: huudertunddreizehnten Jahre. Er hatte niemals in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137475"/>
          <p xml:id="ID_980" prev="#ID_979"> im vierzehnten Jahre schon die erste und im vierundachtzigsten die letzte. Aus<lb/>
seiner vierten Ehe" &#x2014; wir citiren Hufeland hier mit einigem Kopfschütteln<lb/>
&#x2014; &#x201E;wurden ihm sieben Kinder geboren, und als er starb, war seine Frau<lb/>
mit dem achten guter Hoffnung. Er verlor die Munterkeit seines Leibes und<lb/>
seiner Seele erst in den letzten Monaten seines Lebens. Nie brauchte er eine<lb/>
Brille, und oft machte er in seinem hohen Alter noch einen Weg von zwei<lb/>
Stunden zu Fuße. Seine gewöhnliche Kost waren Eier, nie aß er gekochtes<lb/>
Fleisch, nur dann und wann gebratenes, aber immer nnr wenig. Thee trank<lb/>
er häufig, und zwar mit Rosoglio und Zuckerkand."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_981"> Mehrere unserer ehrwürdigen Freunde und Freundinnen durften sich also<lb/>
getrauen, in hohem Alter wieder zu heirathen. Manche aber unternahmen<lb/>
das Wagniß nicht blos wie de Capellis vier, sondern fünf, sechs, zehn Mal,<lb/>
ja der Franzose Jaaues Gay in Bordeaux, der 1772 in: Alter von 101 Jahren<lb/>
mit Tode abging, hatte nacheinander sechzehn Frauen glücklich gemacht und<lb/>
begraben, und die 1768 verstorbene Schottin Margaret Maedowal that es<lb/>
ihm in den hnndertnndsechs Sommern, die über ihr Haupt hinzogen, in der<lb/>
Hartnäckigkeit des Verlangens nach immer neuen ehelichen Freuden beinahe<lb/>
gleich; denn sie ging aus dieser Zeitlichkeit als bekümmerte Wittwe des drei¬<lb/>
zehnten Mannes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_982"> Wie viel schöner als diese flatterhaften Alten ist das Bild der treuen<lb/>
und entsagungsvollen Britin Agnes Stümer, die 1499 in ihren: hnndertnnd-<lb/>
zehnten Lebensjahre von hinnen schied, nachdem sie ihren seligen Stümer volle<lb/>
zweinndnennzig Jahre beweint hatte, ohne je ein Ange ans einen zum Nach¬<lb/>
folger geeigneten Andern zu werfen! Ein ganz besonders rührendes Beispiel<lb/>
ehelicher Treue, welches in unsern Angen nur deu Maugel hat, etwas un¬<lb/>
glaubwürdig zu sein, sind Johann Rovin und seine Fran Sarah, die nach<lb/>
Thomson 1741, er 172, sie 164 Jahre alt, zu Temeswar starben. Sie hatten<lb/>
nicht weniger als hnndertachtundvierzig Jahre als Eheleute mit einander ver¬<lb/>
lebt, und ihr jüngster Sohn war zur Zeit ihres Hinganges ein Greis von<lb/>
116 Jahren. Was wollen unsere diamantenem Hochzeiten dieser Wiederkehr<lb/>
von Philemon und Baucis gegenüber bedeuten! Und nun vollends die goldenen,<lb/>
von den silbernen gar nicht zu reden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_983"> Wir haben uns, meinen wir, hinreichend gegen den Vorwurf der Leicht¬<lb/>
gläubigkeit verwahrt, und so können wir ohne Gefahr und ohne erst zu sagen,<lb/>
daß wir mit den: Folgenden theilweise Erfindungen oder mindestens Ueber¬<lb/>
treibungen nacherzählen, unsrer Quelle noch ein paar hierher gehörende Wunder<lb/>
entnehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_984" next="#ID_985"> Im Jahre 1702 starb der Smyrneser Franz Hvngo, venetianischer Consul<lb/>
in seiner Vaterstadt, in: huudertunddreizehnten Jahre.  Er hatte niemals in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0302] im vierzehnten Jahre schon die erste und im vierundachtzigsten die letzte. Aus seiner vierten Ehe" — wir citiren Hufeland hier mit einigem Kopfschütteln — „wurden ihm sieben Kinder geboren, und als er starb, war seine Frau mit dem achten guter Hoffnung. Er verlor die Munterkeit seines Leibes und seiner Seele erst in den letzten Monaten seines Lebens. Nie brauchte er eine Brille, und oft machte er in seinem hohen Alter noch einen Weg von zwei Stunden zu Fuße. Seine gewöhnliche Kost waren Eier, nie aß er gekochtes Fleisch, nur dann und wann gebratenes, aber immer nnr wenig. Thee trank er häufig, und zwar mit Rosoglio und Zuckerkand." Mehrere unserer ehrwürdigen Freunde und Freundinnen durften sich also getrauen, in hohem Alter wieder zu heirathen. Manche aber unternahmen das Wagniß nicht blos wie de Capellis vier, sondern fünf, sechs, zehn Mal, ja der Franzose Jaaues Gay in Bordeaux, der 1772 in: Alter von 101 Jahren mit Tode abging, hatte nacheinander sechzehn Frauen glücklich gemacht und begraben, und die 1768 verstorbene Schottin Margaret Maedowal that es ihm in den hnndertnndsechs Sommern, die über ihr Haupt hinzogen, in der Hartnäckigkeit des Verlangens nach immer neuen ehelichen Freuden beinahe gleich; denn sie ging aus dieser Zeitlichkeit als bekümmerte Wittwe des drei¬ zehnten Mannes. Wie viel schöner als diese flatterhaften Alten ist das Bild der treuen und entsagungsvollen Britin Agnes Stümer, die 1499 in ihren: hnndertnnd- zehnten Lebensjahre von hinnen schied, nachdem sie ihren seligen Stümer volle zweinndnennzig Jahre beweint hatte, ohne je ein Ange ans einen zum Nach¬ folger geeigneten Andern zu werfen! Ein ganz besonders rührendes Beispiel ehelicher Treue, welches in unsern Angen nur deu Maugel hat, etwas un¬ glaubwürdig zu sein, sind Johann Rovin und seine Fran Sarah, die nach Thomson 1741, er 172, sie 164 Jahre alt, zu Temeswar starben. Sie hatten nicht weniger als hnndertachtundvierzig Jahre als Eheleute mit einander ver¬ lebt, und ihr jüngster Sohn war zur Zeit ihres Hinganges ein Greis von 116 Jahren. Was wollen unsere diamantenem Hochzeiten dieser Wiederkehr von Philemon und Baucis gegenüber bedeuten! Und nun vollends die goldenen, von den silbernen gar nicht zu reden. Wir haben uns, meinen wir, hinreichend gegen den Vorwurf der Leicht¬ gläubigkeit verwahrt, und so können wir ohne Gefahr und ohne erst zu sagen, daß wir mit den: Folgenden theilweise Erfindungen oder mindestens Ueber¬ treibungen nacherzählen, unsrer Quelle noch ein paar hierher gehörende Wunder entnehmen. Im Jahre 1702 starb der Smyrneser Franz Hvngo, venetianischer Consul in seiner Vaterstadt, in: huudertunddreizehnten Jahre. Er hatte niemals in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/302
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/302>, abgerufen am 23.07.2024.