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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Opium. Für besonders zuträglich galt zu den verschiedensten Zeiten der Honig.
Pythcigoras und Demokrit sollen dadurch ein so hohes Alter erreicht haben,
daß sie sich täglich auswendig mit Oel und inwendig mit Honig halbem, und
in England Mrden in diesem Jahrhundert, wie behauptet wird, zwei bejahrte
Herren infolge der Gewohnheit, jeden Morgen eine Tasse Thee mit Honig zu
trinken, der' eine 108, der andere gar 116 Jahre alt. Wie viel davon Wahr¬
heit, wie viel Täuschung ist, bleibe dahingestellt. Haben die genannten Dinge
gute Dienste geleistet, so ist das noch kein Beweis, daß sie sie Allen leisten
werden. '

Daß es gewisse Länder und Gegenden giebt, die mehr Beispiele von Lang¬
lebigkeit darbieten als andere, scheint sicher zu sein. Obenan stehen Norwegen,
England und Irland. Im hohen Norden und im tiefen Süden Europas
kommt ein Alter über das volle zehnte Decennium hinaus kaum vor, doch
traf Tournefort in Athen einen Consul an, der 118 Jahre alt sein wollte, und
auch aus Spanien wird von Leuten berichtet, die ein Alter von 110 Jahren
erreicht hätten. Von Frankreich wissen wir, daß, von Fontenelle und dem
Grafen de Waldeck abgesehen, 1757 dort ein Mann von 121 Jahren und 1770
im Dorfe Puy bei Limoges der Bauer Antoine Seins gestorben ist, der es
auf 111 Jahre gebracht haben sollte. Seine gewöhnliche Kost waren Kastanien
und Mais. Nie hatte er Arzenei eingenommen oder zur Ader gelassen. Er
arbeitete noch vierzehn Tage vor seinem Ende, hatte gute Augen und besaß
seine Haare und Zähne noch -- ob viele Haare und alle Zähne, wissen
wir nicht.

Der Amerikaner Eugene Thomson, dessen Aufsatze "Luriositiös ok I.onZ<z-
vity" wir in der nachstehenden Hülste unserer Betrachtung auszugsweise und
nur hier und da mit einigen längeren Zusätzen folgen, weist nach, daß die meisten
der Regeln, die man in Betreff der Langlebigkeit geltend gemacht hat, Ausnahmen
zulassen. Er sagt u. A.: "Man hat die Ansicht aufgestellt, daß man in weiter,
freier, stiller Gegend, wo das volle warme Sonnenlicht ungehindert scheint,
mehr Aussicht habe, ein sehr hohes Alter zu erreichen, als in engen, dumpfigen,
lürmerfüllten Städten. Aber man beachte die folgenden beiden Fülle. Im
Jahre 1789 starben Mary Burke, 109 Jahre alt, die in Drury Laue zu London,
und Anne Brestow, 102 Jahre alt, welche in dem nordenglischen Dorfe Culbek
ihr Leben verbracht hatte. Jene hatte in Schmutz und Armuth und umgeben
von der schlechtesten Luft, diese, eine Quälerin, in Wohlstand und der gesunden
Nachbarschaft der Seen in den Bergen von Cumberland gelebt."



") In "ol'ivsukrs Nontlilx Klasanink, Novemberheft 1875.
Grenzboten l. 1,877. 37

Opium. Für besonders zuträglich galt zu den verschiedensten Zeiten der Honig.
Pythcigoras und Demokrit sollen dadurch ein so hohes Alter erreicht haben,
daß sie sich täglich auswendig mit Oel und inwendig mit Honig halbem, und
in England Mrden in diesem Jahrhundert, wie behauptet wird, zwei bejahrte
Herren infolge der Gewohnheit, jeden Morgen eine Tasse Thee mit Honig zu
trinken, der' eine 108, der andere gar 116 Jahre alt. Wie viel davon Wahr¬
heit, wie viel Täuschung ist, bleibe dahingestellt. Haben die genannten Dinge
gute Dienste geleistet, so ist das noch kein Beweis, daß sie sie Allen leisten
werden. '

Daß es gewisse Länder und Gegenden giebt, die mehr Beispiele von Lang¬
lebigkeit darbieten als andere, scheint sicher zu sein. Obenan stehen Norwegen,
England und Irland. Im hohen Norden und im tiefen Süden Europas
kommt ein Alter über das volle zehnte Decennium hinaus kaum vor, doch
traf Tournefort in Athen einen Consul an, der 118 Jahre alt sein wollte, und
auch aus Spanien wird von Leuten berichtet, die ein Alter von 110 Jahren
erreicht hätten. Von Frankreich wissen wir, daß, von Fontenelle und dem
Grafen de Waldeck abgesehen, 1757 dort ein Mann von 121 Jahren und 1770
im Dorfe Puy bei Limoges der Bauer Antoine Seins gestorben ist, der es
auf 111 Jahre gebracht haben sollte. Seine gewöhnliche Kost waren Kastanien
und Mais. Nie hatte er Arzenei eingenommen oder zur Ader gelassen. Er
arbeitete noch vierzehn Tage vor seinem Ende, hatte gute Augen und besaß
seine Haare und Zähne noch — ob viele Haare und alle Zähne, wissen
wir nicht.

Der Amerikaner Eugene Thomson, dessen Aufsatze „Luriositiös ok I.onZ<z-
vity" wir in der nachstehenden Hülste unserer Betrachtung auszugsweise und
nur hier und da mit einigen längeren Zusätzen folgen, weist nach, daß die meisten
der Regeln, die man in Betreff der Langlebigkeit geltend gemacht hat, Ausnahmen
zulassen. Er sagt u. A.: „Man hat die Ansicht aufgestellt, daß man in weiter,
freier, stiller Gegend, wo das volle warme Sonnenlicht ungehindert scheint,
mehr Aussicht habe, ein sehr hohes Alter zu erreichen, als in engen, dumpfigen,
lürmerfüllten Städten. Aber man beachte die folgenden beiden Fülle. Im
Jahre 1789 starben Mary Burke, 109 Jahre alt, die in Drury Laue zu London,
und Anne Brestow, 102 Jahre alt, welche in dem nordenglischen Dorfe Culbek
ihr Leben verbracht hatte. Jene hatte in Schmutz und Armuth und umgeben
von der schlechtesten Luft, diese, eine Quälerin, in Wohlstand und der gesunden
Nachbarschaft der Seen in den Bergen von Cumberland gelebt."



") In «ol'ivsukrs Nontlilx Klasanink, Novemberheft 1875.
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[0297] Opium. Für besonders zuträglich galt zu den verschiedensten Zeiten der Honig. Pythcigoras und Demokrit sollen dadurch ein so hohes Alter erreicht haben, daß sie sich täglich auswendig mit Oel und inwendig mit Honig halbem, und in England Mrden in diesem Jahrhundert, wie behauptet wird, zwei bejahrte Herren infolge der Gewohnheit, jeden Morgen eine Tasse Thee mit Honig zu trinken, der' eine 108, der andere gar 116 Jahre alt. Wie viel davon Wahr¬ heit, wie viel Täuschung ist, bleibe dahingestellt. Haben die genannten Dinge gute Dienste geleistet, so ist das noch kein Beweis, daß sie sie Allen leisten werden. ' Daß es gewisse Länder und Gegenden giebt, die mehr Beispiele von Lang¬ lebigkeit darbieten als andere, scheint sicher zu sein. Obenan stehen Norwegen, England und Irland. Im hohen Norden und im tiefen Süden Europas kommt ein Alter über das volle zehnte Decennium hinaus kaum vor, doch traf Tournefort in Athen einen Consul an, der 118 Jahre alt sein wollte, und auch aus Spanien wird von Leuten berichtet, die ein Alter von 110 Jahren erreicht hätten. Von Frankreich wissen wir, daß, von Fontenelle und dem Grafen de Waldeck abgesehen, 1757 dort ein Mann von 121 Jahren und 1770 im Dorfe Puy bei Limoges der Bauer Antoine Seins gestorben ist, der es auf 111 Jahre gebracht haben sollte. Seine gewöhnliche Kost waren Kastanien und Mais. Nie hatte er Arzenei eingenommen oder zur Ader gelassen. Er arbeitete noch vierzehn Tage vor seinem Ende, hatte gute Augen und besaß seine Haare und Zähne noch — ob viele Haare und alle Zähne, wissen wir nicht. Der Amerikaner Eugene Thomson, dessen Aufsatze „Luriositiös ok I.onZ<z- vity" wir in der nachstehenden Hülste unserer Betrachtung auszugsweise und nur hier und da mit einigen längeren Zusätzen folgen, weist nach, daß die meisten der Regeln, die man in Betreff der Langlebigkeit geltend gemacht hat, Ausnahmen zulassen. Er sagt u. A.: „Man hat die Ansicht aufgestellt, daß man in weiter, freier, stiller Gegend, wo das volle warme Sonnenlicht ungehindert scheint, mehr Aussicht habe, ein sehr hohes Alter zu erreichen, als in engen, dumpfigen, lürmerfüllten Städten. Aber man beachte die folgenden beiden Fülle. Im Jahre 1789 starben Mary Burke, 109 Jahre alt, die in Drury Laue zu London, und Anne Brestow, 102 Jahre alt, welche in dem nordenglischen Dorfe Culbek ihr Leben verbracht hatte. Jene hatte in Schmutz und Armuth und umgeben von der schlechtesten Luft, diese, eine Quälerin, in Wohlstand und der gesunden Nachbarschaft der Seen in den Bergen von Cumberland gelebt." ") In «ol'ivsukrs Nontlilx Klasanink, Novemberheft 1875. Grenzboten l. 1,877. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/297>, abgerufen am 23.07.2024.