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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Der älteste Deutsche, von dem man weiß, war der am 23. April 1626
zu Wülcherstädt im Scilzbnrgischm geborne Georg Wunder. Er kam 1754
mit seiner Fran nach Greiz, wo man ihm, nachdem seine Zeugnisse richtig be¬
funden worden, eine Wohnung im Krankenhause anwies. Bald darauf starb
seine Frau im Alter von 110 Jahren, und er kam nun ins Waisenhaus, wo
man ihn verpflegte, bis am 12. December 1761 sein Tod erfolgte. Er war
somit fast 136 Jahre alt geworden. Nur in der letzten Zeit wurde er kindisch
und ging an zwei Stöcken, doch behielt er Gesicht und Gehör bis zu seinem
Ende. Mau zeigt in Greiz die Porträts dieser beiden alten Leute. Im Jahre
1792 starben zwei gleich alte Burschen, der eine ein gewisser H. Kauper zu Neuß
im Erzstift Köln, der andere ein abgedankter Soldat Namens Mittelstedt zu
Fissahn in Preußen. Der Erstgenannte, ein Mann von starkem Körperbau,
konnte bis an seinen Tod ohne Brille lesen und behielt auch den Gebrauch
seiner Vernunft bis zuletzt. Der Andere ist ein Beispiel dafür, daß sich das
Leben eines Menschen unter wechselreichen Schicksalen und den nachtheiligsten
Umständen unglaublich lauge erhalte" kauu. Derselbe war 16.81 als Leibeigener
geboren, wurde eines Abends von seinem Herrn mit dessen ganzer Equipage
und noch fünf Dienern verspielt, diente dann 67 Jahre als Soldat und machte
als solcher alle Feldzüge unter Friedrich dem Ersten, Friedrich Wilhelm dem
Ersten und Friedrich dem Großen mit. Er wohnte siebzehn Hauptschlachten
bei, war häufig in Todesgefahr und wurde mehrmals verwundet. Im sieben¬
jährigen Kriege tödtete ihm eine Kugel das Pferd unter dem Leibe, und er ge-
rieth in russische Gefangenschaft. Nach allen diesen Gefahren und Strapccheu
verheirathete er sich, und nachdem ihm zwei Weiber gestorben, nahm er sich
1790, also im hundertundzehnten Jahre seines Alters, die dritte Frau. Bis
kurz vor seinem Tode war er noch im Stande, alle Monate zwei Stunden
Wegs zu gehen, um sich seinen Gnadenthaler zu holen.

Diese Beispiele werden genügen, um zu zeigen, daß man auch heute noch
sehr alt werden kann. Kehren wir aber zu dem Wunsche darnach zurück, so
hat man die verschiedensten Mittel, ihn zu erreichen, vorgeschlagen und ange¬
wendet. Schon zu Davids Zeiten glaubte man an die Möglichkeit, einen alten
abgelebten Körper durch die Atmosphäre frischer Jugend kräftigen und erhalten
zu können, und noch Boerhave ließ einen achzigjährigen Bürgermeister zwischen
zwei jungen Leuten schlafen und versichert, derselbe habe dadurch neue Lebens¬
kraft gewonnen. Paracelsus besaß den Stein der Weisen, der misterblich
machte, konnte sich aber freilich selbst damit nicht helfen; denn er wurde nur
fünfzig Jahre alt. Aehnliche Phantastereien, unsterblich machende Amulete und
Elixire z. B., übergehen wir. Etwas besser war die Hungerkur, mit welcher
der Venezianer Cornarv sich das Leben verlängerte; denn er starb 1566 im


Der älteste Deutsche, von dem man weiß, war der am 23. April 1626
zu Wülcherstädt im Scilzbnrgischm geborne Georg Wunder. Er kam 1754
mit seiner Fran nach Greiz, wo man ihm, nachdem seine Zeugnisse richtig be¬
funden worden, eine Wohnung im Krankenhause anwies. Bald darauf starb
seine Frau im Alter von 110 Jahren, und er kam nun ins Waisenhaus, wo
man ihn verpflegte, bis am 12. December 1761 sein Tod erfolgte. Er war
somit fast 136 Jahre alt geworden. Nur in der letzten Zeit wurde er kindisch
und ging an zwei Stöcken, doch behielt er Gesicht und Gehör bis zu seinem
Ende. Mau zeigt in Greiz die Porträts dieser beiden alten Leute. Im Jahre
1792 starben zwei gleich alte Burschen, der eine ein gewisser H. Kauper zu Neuß
im Erzstift Köln, der andere ein abgedankter Soldat Namens Mittelstedt zu
Fissahn in Preußen. Der Erstgenannte, ein Mann von starkem Körperbau,
konnte bis an seinen Tod ohne Brille lesen und behielt auch den Gebrauch
seiner Vernunft bis zuletzt. Der Andere ist ein Beispiel dafür, daß sich das
Leben eines Menschen unter wechselreichen Schicksalen und den nachtheiligsten
Umständen unglaublich lauge erhalte» kauu. Derselbe war 16.81 als Leibeigener
geboren, wurde eines Abends von seinem Herrn mit dessen ganzer Equipage
und noch fünf Dienern verspielt, diente dann 67 Jahre als Soldat und machte
als solcher alle Feldzüge unter Friedrich dem Ersten, Friedrich Wilhelm dem
Ersten und Friedrich dem Großen mit. Er wohnte siebzehn Hauptschlachten
bei, war häufig in Todesgefahr und wurde mehrmals verwundet. Im sieben¬
jährigen Kriege tödtete ihm eine Kugel das Pferd unter dem Leibe, und er ge-
rieth in russische Gefangenschaft. Nach allen diesen Gefahren und Strapccheu
verheirathete er sich, und nachdem ihm zwei Weiber gestorben, nahm er sich
1790, also im hundertundzehnten Jahre seines Alters, die dritte Frau. Bis
kurz vor seinem Tode war er noch im Stande, alle Monate zwei Stunden
Wegs zu gehen, um sich seinen Gnadenthaler zu holen.

Diese Beispiele werden genügen, um zu zeigen, daß man auch heute noch
sehr alt werden kann. Kehren wir aber zu dem Wunsche darnach zurück, so
hat man die verschiedensten Mittel, ihn zu erreichen, vorgeschlagen und ange¬
wendet. Schon zu Davids Zeiten glaubte man an die Möglichkeit, einen alten
abgelebten Körper durch die Atmosphäre frischer Jugend kräftigen und erhalten
zu können, und noch Boerhave ließ einen achzigjährigen Bürgermeister zwischen
zwei jungen Leuten schlafen und versichert, derselbe habe dadurch neue Lebens¬
kraft gewonnen. Paracelsus besaß den Stein der Weisen, der misterblich
machte, konnte sich aber freilich selbst damit nicht helfen; denn er wurde nur
fünfzig Jahre alt. Aehnliche Phantastereien, unsterblich machende Amulete und
Elixire z. B., übergehen wir. Etwas besser war die Hungerkur, mit welcher
der Venezianer Cornarv sich das Leben verlängerte; denn er starb 1566 im


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[0295] Der älteste Deutsche, von dem man weiß, war der am 23. April 1626 zu Wülcherstädt im Scilzbnrgischm geborne Georg Wunder. Er kam 1754 mit seiner Fran nach Greiz, wo man ihm, nachdem seine Zeugnisse richtig be¬ funden worden, eine Wohnung im Krankenhause anwies. Bald darauf starb seine Frau im Alter von 110 Jahren, und er kam nun ins Waisenhaus, wo man ihn verpflegte, bis am 12. December 1761 sein Tod erfolgte. Er war somit fast 136 Jahre alt geworden. Nur in der letzten Zeit wurde er kindisch und ging an zwei Stöcken, doch behielt er Gesicht und Gehör bis zu seinem Ende. Mau zeigt in Greiz die Porträts dieser beiden alten Leute. Im Jahre 1792 starben zwei gleich alte Burschen, der eine ein gewisser H. Kauper zu Neuß im Erzstift Köln, der andere ein abgedankter Soldat Namens Mittelstedt zu Fissahn in Preußen. Der Erstgenannte, ein Mann von starkem Körperbau, konnte bis an seinen Tod ohne Brille lesen und behielt auch den Gebrauch seiner Vernunft bis zuletzt. Der Andere ist ein Beispiel dafür, daß sich das Leben eines Menschen unter wechselreichen Schicksalen und den nachtheiligsten Umständen unglaublich lauge erhalte» kauu. Derselbe war 16.81 als Leibeigener geboren, wurde eines Abends von seinem Herrn mit dessen ganzer Equipage und noch fünf Dienern verspielt, diente dann 67 Jahre als Soldat und machte als solcher alle Feldzüge unter Friedrich dem Ersten, Friedrich Wilhelm dem Ersten und Friedrich dem Großen mit. Er wohnte siebzehn Hauptschlachten bei, war häufig in Todesgefahr und wurde mehrmals verwundet. Im sieben¬ jährigen Kriege tödtete ihm eine Kugel das Pferd unter dem Leibe, und er ge- rieth in russische Gefangenschaft. Nach allen diesen Gefahren und Strapccheu verheirathete er sich, und nachdem ihm zwei Weiber gestorben, nahm er sich 1790, also im hundertundzehnten Jahre seines Alters, die dritte Frau. Bis kurz vor seinem Tode war er noch im Stande, alle Monate zwei Stunden Wegs zu gehen, um sich seinen Gnadenthaler zu holen. Diese Beispiele werden genügen, um zu zeigen, daß man auch heute noch sehr alt werden kann. Kehren wir aber zu dem Wunsche darnach zurück, so hat man die verschiedensten Mittel, ihn zu erreichen, vorgeschlagen und ange¬ wendet. Schon zu Davids Zeiten glaubte man an die Möglichkeit, einen alten abgelebten Körper durch die Atmosphäre frischer Jugend kräftigen und erhalten zu können, und noch Boerhave ließ einen achzigjährigen Bürgermeister zwischen zwei jungen Leuten schlafen und versichert, derselbe habe dadurch neue Lebens¬ kraft gewonnen. Paracelsus besaß den Stein der Weisen, der misterblich machte, konnte sich aber freilich selbst damit nicht helfen; denn er wurde nur fünfzig Jahre alt. Aehnliche Phantastereien, unsterblich machende Amulete und Elixire z. B., übergehen wir. Etwas besser war die Hungerkur, mit welcher der Venezianer Cornarv sich das Leben verlängerte; denn er starb 1566 im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/295>, abgerufen am 23.07.2024.