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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Clique gelingen könnte, die Sehnsucht nach jener Zeit in weiteren Kreisen, als
etwa in denen des engherzigsten Conventikel-Christenthums zu wecken. Und
was die plötzlich so wunderbar volksfreundlich auftretenden Herren des hohen
Adels betrifft, so wissen unsere Bauern, daß die Freiheit von Frohnden und
Zehnten ihnen nicht dnrch die Väter dieser Herren errungen wurde, sondern
durch den "Liberalisinus." Und neu aufgetaucht ist in Volkes Mund der
alte Spruch:


Wo der Junker ist mit dem Pfaffen im Bund
Da müssen die Bauern gehen zu Grund!

In 5 Wahlkreisen hatte die deutscheonservative Partei eigene Candidaten
aufgestellt. Die Erkorenen waren: ein Fabrikant, ein Holzhändler, drei Frei¬
herren. Wirklich politisch leistungsfähig ist unter diesen 5 nur einer, Staats¬
anwalt v. Marsch all in Mannheim, Mitglied der ersten Kammer. Im
Ganzen mögen -- die Stichwahlen hinzugerechuet -- etwa 20,000 Stimmen
für die 5 Kandidaten abgegeben worden sein. Der Sieg ist, wie bereits oben
erwähnt, nur einem zugefallen. Trotz der eifrigstell Agitation eines Theils
unserer orthodox pietistischen Geistlichkeit -- dieselben haben ganz nach der
gleich widerwärtigen Methode ihre religiösen Kampfesmittel zur Anwendung
gebracht, wie dies feit Jahren die Priester der römischen Kirche thun -- war
ein größerer Erfolg nicht zu erzielen. Und rechnet man von jenen 20,00t)
Stimmen noch die darin steckenden Stimmen der Ultramontanen und der So¬
zialdemokraten ab, so zeigt sich ein Erfolg von so minimer Natur, daß man
über die deutscheonservative Partei füglich mit rcifchen Schritten zur Tages¬
ordnung schreiten kann.

Der Kandidat, auf welchen die Partei ihre höchsten Hoffnungen fetzte,
Freiherr von Marschall, ist im Wahlkcunpf unterlegen. Es war vergeblich
Mühen, daß er, der Junker ovinus it taut, einige Abende der Mannheimer
Ressource opferte, um in den Dorfschenken der Haardt und in der "Herberge
zur Heimath" in Karlsruhe dem gläubigen Publikum vorzudemonstriren, wie
der Liberalismus das Volk ins Unglück gestürzt habe, und wie uur in dem
deutscheonservativen Programm das rettende Lebenselixir enthalten sei. Es
hat nichts gefruchtet, daß, als in die von ihm zu Graben auf der Haardt ab¬
gehaltene Wahlversammlung hinein die Abendglocke tönte, der innerlich nichts
weniger als pietistisch gerichtete Reichstagseandidat mit den anwesenden pie¬
tistischen Pfarrern und Landleuten, denen es Ernst sein mochte, die Hände zum
Gebet faltete -- laßt unseren Herrgott aus dem Spiel! Es war umsonst, daß
der jugendlich strebsame Freiherr und Candidat der Zukunft für den Posten
des badischen Ministerpräsidenten sich in seinen Wahlreden so geschickt aufzu-


Clique gelingen könnte, die Sehnsucht nach jener Zeit in weiteren Kreisen, als
etwa in denen des engherzigsten Conventikel-Christenthums zu wecken. Und
was die plötzlich so wunderbar volksfreundlich auftretenden Herren des hohen
Adels betrifft, so wissen unsere Bauern, daß die Freiheit von Frohnden und
Zehnten ihnen nicht dnrch die Väter dieser Herren errungen wurde, sondern
durch den „Liberalisinus." Und neu aufgetaucht ist in Volkes Mund der
alte Spruch:


Wo der Junker ist mit dem Pfaffen im Bund
Da müssen die Bauern gehen zu Grund!

In 5 Wahlkreisen hatte die deutscheonservative Partei eigene Candidaten
aufgestellt. Die Erkorenen waren: ein Fabrikant, ein Holzhändler, drei Frei¬
herren. Wirklich politisch leistungsfähig ist unter diesen 5 nur einer, Staats¬
anwalt v. Marsch all in Mannheim, Mitglied der ersten Kammer. Im
Ganzen mögen — die Stichwahlen hinzugerechuet — etwa 20,000 Stimmen
für die 5 Kandidaten abgegeben worden sein. Der Sieg ist, wie bereits oben
erwähnt, nur einem zugefallen. Trotz der eifrigstell Agitation eines Theils
unserer orthodox pietistischen Geistlichkeit — dieselben haben ganz nach der
gleich widerwärtigen Methode ihre religiösen Kampfesmittel zur Anwendung
gebracht, wie dies feit Jahren die Priester der römischen Kirche thun — war
ein größerer Erfolg nicht zu erzielen. Und rechnet man von jenen 20,00t)
Stimmen noch die darin steckenden Stimmen der Ultramontanen und der So¬
zialdemokraten ab, so zeigt sich ein Erfolg von so minimer Natur, daß man
über die deutscheonservative Partei füglich mit rcifchen Schritten zur Tages¬
ordnung schreiten kann.

Der Kandidat, auf welchen die Partei ihre höchsten Hoffnungen fetzte,
Freiherr von Marschall, ist im Wahlkcunpf unterlegen. Es war vergeblich
Mühen, daß er, der Junker ovinus it taut, einige Abende der Mannheimer
Ressource opferte, um in den Dorfschenken der Haardt und in der „Herberge
zur Heimath" in Karlsruhe dem gläubigen Publikum vorzudemonstriren, wie
der Liberalismus das Volk ins Unglück gestürzt habe, und wie uur in dem
deutscheonservativen Programm das rettende Lebenselixir enthalten sei. Es
hat nichts gefruchtet, daß, als in die von ihm zu Graben auf der Haardt ab¬
gehaltene Wahlversammlung hinein die Abendglocke tönte, der innerlich nichts
weniger als pietistisch gerichtete Reichstagseandidat mit den anwesenden pie¬
tistischen Pfarrern und Landleuten, denen es Ernst sein mochte, die Hände zum
Gebet faltete — laßt unseren Herrgott aus dem Spiel! Es war umsonst, daß
der jugendlich strebsame Freiherr und Candidat der Zukunft für den Posten
des badischen Ministerpräsidenten sich in seinen Wahlreden so geschickt aufzu-


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[0268] Clique gelingen könnte, die Sehnsucht nach jener Zeit in weiteren Kreisen, als etwa in denen des engherzigsten Conventikel-Christenthums zu wecken. Und was die plötzlich so wunderbar volksfreundlich auftretenden Herren des hohen Adels betrifft, so wissen unsere Bauern, daß die Freiheit von Frohnden und Zehnten ihnen nicht dnrch die Väter dieser Herren errungen wurde, sondern durch den „Liberalisinus." Und neu aufgetaucht ist in Volkes Mund der alte Spruch: Wo der Junker ist mit dem Pfaffen im Bund Da müssen die Bauern gehen zu Grund! In 5 Wahlkreisen hatte die deutscheonservative Partei eigene Candidaten aufgestellt. Die Erkorenen waren: ein Fabrikant, ein Holzhändler, drei Frei¬ herren. Wirklich politisch leistungsfähig ist unter diesen 5 nur einer, Staats¬ anwalt v. Marsch all in Mannheim, Mitglied der ersten Kammer. Im Ganzen mögen — die Stichwahlen hinzugerechuet — etwa 20,000 Stimmen für die 5 Kandidaten abgegeben worden sein. Der Sieg ist, wie bereits oben erwähnt, nur einem zugefallen. Trotz der eifrigstell Agitation eines Theils unserer orthodox pietistischen Geistlichkeit — dieselben haben ganz nach der gleich widerwärtigen Methode ihre religiösen Kampfesmittel zur Anwendung gebracht, wie dies feit Jahren die Priester der römischen Kirche thun — war ein größerer Erfolg nicht zu erzielen. Und rechnet man von jenen 20,00t) Stimmen noch die darin steckenden Stimmen der Ultramontanen und der So¬ zialdemokraten ab, so zeigt sich ein Erfolg von so minimer Natur, daß man über die deutscheonservative Partei füglich mit rcifchen Schritten zur Tages¬ ordnung schreiten kann. Der Kandidat, auf welchen die Partei ihre höchsten Hoffnungen fetzte, Freiherr von Marschall, ist im Wahlkcunpf unterlegen. Es war vergeblich Mühen, daß er, der Junker ovinus it taut, einige Abende der Mannheimer Ressource opferte, um in den Dorfschenken der Haardt und in der „Herberge zur Heimath" in Karlsruhe dem gläubigen Publikum vorzudemonstriren, wie der Liberalismus das Volk ins Unglück gestürzt habe, und wie uur in dem deutscheonservativen Programm das rettende Lebenselixir enthalten sei. Es hat nichts gefruchtet, daß, als in die von ihm zu Graben auf der Haardt ab¬ gehaltene Wahlversammlung hinein die Abendglocke tönte, der innerlich nichts weniger als pietistisch gerichtete Reichstagseandidat mit den anwesenden pie¬ tistischen Pfarrern und Landleuten, denen es Ernst sein mochte, die Hände zum Gebet faltete — laßt unseren Herrgott aus dem Spiel! Es war umsonst, daß der jugendlich strebsame Freiherr und Candidat der Zukunft für den Posten des badischen Ministerpräsidenten sich in seinen Wahlreden so geschickt aufzu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/268>, abgerufen am 23.07.2024.