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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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gelischen Bevölkerung, zumeist der Landbevölkerung, insbesondere durch die
vorwiegend ans der Haardt und in der Gegend von Pforzheim zahlreichst ver¬
breiteten pietistischen Conventikel, an denen man das bisher Ungewohnte schauen
konnte, daß sie aus der dumpfen Stille ihrer Gebetstüblein heraustraten auf
die Arena des politischen Wahlkampfes. Flcmkirt wird die Truppe von mi߬
vergnügten, sich verkannt wähnenden Herren der hohen Bureaukratie, von Par-
tikularisten, mißstimmten und unzufriedenen Leuten jeglichen Standes, die, durch
mancherlei Rücksichten und Bedenken abgehalten, sich nicht unter die Ultramon¬
tanen einreihen mögen, nicht einmal als Hospitanten, nun aber gerne die Ge¬
legenheit ergreifen, unter dem Banner der Deutscheonservativen ein bischen
allergetreuste Opposition machen zu können. In huldvoller Herablassung,
hoffend, daß vielleicht ein kleiner Rest alter Feudalherrlichkeit wieder aufleben
könne, sind mehrere Herren des hohen Adels s, Is, suiw des Regiments ge¬
treten, während die persönliche Führung der Cohorte dem klugen, vielgewandten
Pfarrer von Wilferdingen, Oberkirchenrath Dr. Mühlh außer, zufiel. Die
Partei läßt in vollen Tönen in das Land hinausschmettern, daß sie dem Volk
das währe Heil bringe. Und sie weiß so schön zu reden, diese Partei, von
ihrer Reichsfreundlichkeit, in welcher sie "die für unser Vaterland gewonnene
Einheit auf dem Boden der Reichsverfassung in nationalem Sinn stärken und
ausbauen" will, ohne daß "die berechtigte Selbständigkeit und Eigenart der
deutschen Staaten, Provinzen und Stämme" alterirt wird. Auch sind die
Deutscheonservativen ja nicht reaktionär, denn sie wollen eine "Weiterbildung
unseres öffentlichen und privaten Rechtes". Und wie regierungsfreundlich sind
die Herren, indem sie ganz besonderes Gewicht legen "auf die monarchischen
Grundlagen unseres Staatslebens und eine kräftige obrigkeitliche Gewalt"!
Auch "bürgerliche Freiheit für Alle" wollen sie, Selbstverwaltung sogar. Aber
die confessionelle Volksschule muß erhalten werden, und der Kulturkampf, der
ein Unglück ist "für Reich und Volk", soll durch eine Revision der betreffenden
Gesetze zu Ende kommen. Dem Landmann wird vertraulich die Hand gedrückt,
und dem Gewerbetreibenden wird Beseitigung der wirthschaftlichen Krisis zu¬
gesagt. Der Sozialismus endlich wird absolut unschädlich gemacht (M. nach¬
dem man noch ein und das anderem"! sich seiner Unterstützung bei den Wahlen
erfreut hat!). Ist's nicht ein gar lieblich Lied, das hier dem Volk in die Ohren
summt? Aber wie harthörig unser Volk ist! Das Lied wollte ihm gar nicht
gefallen. Und es hat sich sogar die Freiheit genommen, zu behaupten, unsere
Deutscheonservativen seien nur der nach Süddeutschland verpflanzte Ableger
der im Norden schon längst aus der Reihe der politischen Faktoren gestrichenen
feudalen Kreuzzeitungspartei. Wahrlich! Die fünfziger Jahre sind noch zu
gut im Andenken der jetzt lebenden Generation, als daß es einer hochkirchlichen


gelischen Bevölkerung, zumeist der Landbevölkerung, insbesondere durch die
vorwiegend ans der Haardt und in der Gegend von Pforzheim zahlreichst ver¬
breiteten pietistischen Conventikel, an denen man das bisher Ungewohnte schauen
konnte, daß sie aus der dumpfen Stille ihrer Gebetstüblein heraustraten auf
die Arena des politischen Wahlkampfes. Flcmkirt wird die Truppe von mi߬
vergnügten, sich verkannt wähnenden Herren der hohen Bureaukratie, von Par-
tikularisten, mißstimmten und unzufriedenen Leuten jeglichen Standes, die, durch
mancherlei Rücksichten und Bedenken abgehalten, sich nicht unter die Ultramon¬
tanen einreihen mögen, nicht einmal als Hospitanten, nun aber gerne die Ge¬
legenheit ergreifen, unter dem Banner der Deutscheonservativen ein bischen
allergetreuste Opposition machen zu können. In huldvoller Herablassung,
hoffend, daß vielleicht ein kleiner Rest alter Feudalherrlichkeit wieder aufleben
könne, sind mehrere Herren des hohen Adels s, Is, suiw des Regiments ge¬
treten, während die persönliche Führung der Cohorte dem klugen, vielgewandten
Pfarrer von Wilferdingen, Oberkirchenrath Dr. Mühlh außer, zufiel. Die
Partei läßt in vollen Tönen in das Land hinausschmettern, daß sie dem Volk
das währe Heil bringe. Und sie weiß so schön zu reden, diese Partei, von
ihrer Reichsfreundlichkeit, in welcher sie „die für unser Vaterland gewonnene
Einheit auf dem Boden der Reichsverfassung in nationalem Sinn stärken und
ausbauen" will, ohne daß „die berechtigte Selbständigkeit und Eigenart der
deutschen Staaten, Provinzen und Stämme" alterirt wird. Auch sind die
Deutscheonservativen ja nicht reaktionär, denn sie wollen eine „Weiterbildung
unseres öffentlichen und privaten Rechtes". Und wie regierungsfreundlich sind
die Herren, indem sie ganz besonderes Gewicht legen „auf die monarchischen
Grundlagen unseres Staatslebens und eine kräftige obrigkeitliche Gewalt"!
Auch „bürgerliche Freiheit für Alle" wollen sie, Selbstverwaltung sogar. Aber
die confessionelle Volksschule muß erhalten werden, und der Kulturkampf, der
ein Unglück ist „für Reich und Volk", soll durch eine Revision der betreffenden
Gesetze zu Ende kommen. Dem Landmann wird vertraulich die Hand gedrückt,
und dem Gewerbetreibenden wird Beseitigung der wirthschaftlichen Krisis zu¬
gesagt. Der Sozialismus endlich wird absolut unschädlich gemacht (M. nach¬
dem man noch ein und das anderem«! sich seiner Unterstützung bei den Wahlen
erfreut hat!). Ist's nicht ein gar lieblich Lied, das hier dem Volk in die Ohren
summt? Aber wie harthörig unser Volk ist! Das Lied wollte ihm gar nicht
gefallen. Und es hat sich sogar die Freiheit genommen, zu behaupten, unsere
Deutscheonservativen seien nur der nach Süddeutschland verpflanzte Ableger
der im Norden schon längst aus der Reihe der politischen Faktoren gestrichenen
feudalen Kreuzzeitungspartei. Wahrlich! Die fünfziger Jahre sind noch zu
gut im Andenken der jetzt lebenden Generation, als daß es einer hochkirchlichen


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[0267] gelischen Bevölkerung, zumeist der Landbevölkerung, insbesondere durch die vorwiegend ans der Haardt und in der Gegend von Pforzheim zahlreichst ver¬ breiteten pietistischen Conventikel, an denen man das bisher Ungewohnte schauen konnte, daß sie aus der dumpfen Stille ihrer Gebetstüblein heraustraten auf die Arena des politischen Wahlkampfes. Flcmkirt wird die Truppe von mi߬ vergnügten, sich verkannt wähnenden Herren der hohen Bureaukratie, von Par- tikularisten, mißstimmten und unzufriedenen Leuten jeglichen Standes, die, durch mancherlei Rücksichten und Bedenken abgehalten, sich nicht unter die Ultramon¬ tanen einreihen mögen, nicht einmal als Hospitanten, nun aber gerne die Ge¬ legenheit ergreifen, unter dem Banner der Deutscheonservativen ein bischen allergetreuste Opposition machen zu können. In huldvoller Herablassung, hoffend, daß vielleicht ein kleiner Rest alter Feudalherrlichkeit wieder aufleben könne, sind mehrere Herren des hohen Adels s, Is, suiw des Regiments ge¬ treten, während die persönliche Führung der Cohorte dem klugen, vielgewandten Pfarrer von Wilferdingen, Oberkirchenrath Dr. Mühlh außer, zufiel. Die Partei läßt in vollen Tönen in das Land hinausschmettern, daß sie dem Volk das währe Heil bringe. Und sie weiß so schön zu reden, diese Partei, von ihrer Reichsfreundlichkeit, in welcher sie „die für unser Vaterland gewonnene Einheit auf dem Boden der Reichsverfassung in nationalem Sinn stärken und ausbauen" will, ohne daß „die berechtigte Selbständigkeit und Eigenart der deutschen Staaten, Provinzen und Stämme" alterirt wird. Auch sind die Deutscheonservativen ja nicht reaktionär, denn sie wollen eine „Weiterbildung unseres öffentlichen und privaten Rechtes". Und wie regierungsfreundlich sind die Herren, indem sie ganz besonderes Gewicht legen „auf die monarchischen Grundlagen unseres Staatslebens und eine kräftige obrigkeitliche Gewalt"! Auch „bürgerliche Freiheit für Alle" wollen sie, Selbstverwaltung sogar. Aber die confessionelle Volksschule muß erhalten werden, und der Kulturkampf, der ein Unglück ist „für Reich und Volk", soll durch eine Revision der betreffenden Gesetze zu Ende kommen. Dem Landmann wird vertraulich die Hand gedrückt, und dem Gewerbetreibenden wird Beseitigung der wirthschaftlichen Krisis zu¬ gesagt. Der Sozialismus endlich wird absolut unschädlich gemacht (M. nach¬ dem man noch ein und das anderem«! sich seiner Unterstützung bei den Wahlen erfreut hat!). Ist's nicht ein gar lieblich Lied, das hier dem Volk in die Ohren summt? Aber wie harthörig unser Volk ist! Das Lied wollte ihm gar nicht gefallen. Und es hat sich sogar die Freiheit genommen, zu behaupten, unsere Deutscheonservativen seien nur der nach Süddeutschland verpflanzte Ableger der im Norden schon längst aus der Reihe der politischen Faktoren gestrichenen feudalen Kreuzzeitungspartei. Wahrlich! Die fünfziger Jahre sind noch zu gut im Andenken der jetzt lebenden Generation, als daß es einer hochkirchlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/267>, abgerufen am 23.07.2024.