Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.Gunsten aus, indem der nationalliberale Candidat mit 9 Stimmen über den Gelegentlich der Reichstagswahl ist die am 15. November v. I. gegründete Gunsten aus, indem der nationalliberale Candidat mit 9 Stimmen über den Gelegentlich der Reichstagswahl ist die am 15. November v. I. gegründete <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0266" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137439"/> <p xml:id="ID_886" prev="#ID_885"> Gunsten aus, indem der nationalliberale Candidat mit 9 Stimmen über den<lb/> ultramontanen siegte, in der anderen (Pforzheim) ist Jolly mit 8714 Stim¬<lb/> men gegen den deutschconservativen Candidaten (10,560 Stimmen) unterlegen.<lb/> Wenn etwas unsere Freude an dem Gesammtergebniß trüben mag, so ist es<lb/> der Umstand, daß Jolly kein Mandat erlangt hat. Der siegreiche Gegen¬<lb/> kandidat, Holzhündler Katz von Gernsbcich, ist ein braver Bürger, Pietist vom<lb/> reinsten Wasser, im übrigen ein dunkler Ehrenmann, der insbesondere politische<lb/> Fähigkeit noch nirgend dokumentirt hat. Gleich für den ersten Wahlgang<lb/> hatten die Ultramontanen auf eine eigene Kandidatur verzichtet und den Herrn<lb/> Katz acceptirt auf dessen Versprechen hin, daß er für Revision der Maigesetze<lb/> eintreten werde. Nachdem in Folge der Haltung der Sozialdemokraten und<lb/> einer querköpfigen sogenannten Fortschrittspartei Stichwahl nöthig geworden, ergab<lb/> sich das interessante Factum, daß Pietisten, Ultramontane, Fortschrittler und<lb/> — Sozialdemokraten, deren Bekämpfung bekanntlich zu einem der Hauptpunkte<lb/> des deutschconservativen Programms gehört, sich für Katz gegen Jolly einem.<lb/> Da konnte der Sieg nicht ausbleiben. Lächerlich ist's, wenn die demokratische<lb/> Presse in diesem Unterliegen Jollys eine Verurtheilung der von ihm befolgten<lb/> Politik durch das „Volk" erkennen will. Das „Volk" hat hier nicht gesprochen,<lb/> sondern alle reaktionären und reichsfeindlichen Elemente im Wahlkreis hatten<lb/> sich verbündet, um den von ihnen wegen seiner hohen Verdienste um die deutsche<lb/> und liberale Sache bestgehaßten Mann zu verdrängen. Ha.veant sibi! Herr<lb/> Katz wird in Berlin nicht gefährlich werden. Eigenthümlich aber muß es ihm<lb/> zu Muthe sein, wenn er sich dort als Vertreter der Deutschconservativen betrach¬<lb/> ten soll, während er doch nicht der Handvoll Pietisten, die sich für ihn begeister¬<lb/> ten, sondern den Ultramontanen und Sozialdemokraten den Neichstagssitz zu<lb/> verdanken hat. Nächst dieser Wahl hat noch die im 10. Wahlkreis (Karls-<lb/> ruhe-Bruchsal) dadurch ein besonderes Interesse erlangt, daß die Ultramon¬<lb/> tanen sich mit den Deutschconservativen für den Candidaten dieser letzteren<lb/> gegen den nationalliberalen Candidaten engagirten, wiewohl erfolglos (8252<lb/> Stimmen gegen 7452).</p><lb/> <p xml:id="ID_887" next="#ID_888"> Gelegentlich der Reichstagswahl ist die am 15. November v. I. gegründete<lb/> deutschconfervative Partei zum erstenmal an die größere Öffentlichkeit<lb/> getreten. Das Programm der Partei ist bekannt. Es hat sich auf dem Boden<lb/> desselben in unserem Baden eine eigenthümlich gemischte, aber durch innige<lb/> Solidarität der Interessen geeinte Gesellschaft zusammengefunden. Die Cadres<lb/> der Partei — wir wollen, da die Herren sofort als Kriegführende auftraten,<lb/> militärische Bezeichnungen anwenden — werden gebildet durch die orthodoxen<lb/> und pietistischen Geistlichen der evangelischen Kirche, die Füllung geschieht durch<lb/> den dem geistlichen Heerruf Folge leistenden strenggläubigen Theil der evan-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0266]
Gunsten aus, indem der nationalliberale Candidat mit 9 Stimmen über den
ultramontanen siegte, in der anderen (Pforzheim) ist Jolly mit 8714 Stim¬
men gegen den deutschconservativen Candidaten (10,560 Stimmen) unterlegen.
Wenn etwas unsere Freude an dem Gesammtergebniß trüben mag, so ist es
der Umstand, daß Jolly kein Mandat erlangt hat. Der siegreiche Gegen¬
kandidat, Holzhündler Katz von Gernsbcich, ist ein braver Bürger, Pietist vom
reinsten Wasser, im übrigen ein dunkler Ehrenmann, der insbesondere politische
Fähigkeit noch nirgend dokumentirt hat. Gleich für den ersten Wahlgang
hatten die Ultramontanen auf eine eigene Kandidatur verzichtet und den Herrn
Katz acceptirt auf dessen Versprechen hin, daß er für Revision der Maigesetze
eintreten werde. Nachdem in Folge der Haltung der Sozialdemokraten und
einer querköpfigen sogenannten Fortschrittspartei Stichwahl nöthig geworden, ergab
sich das interessante Factum, daß Pietisten, Ultramontane, Fortschrittler und
— Sozialdemokraten, deren Bekämpfung bekanntlich zu einem der Hauptpunkte
des deutschconservativen Programms gehört, sich für Katz gegen Jolly einem.
Da konnte der Sieg nicht ausbleiben. Lächerlich ist's, wenn die demokratische
Presse in diesem Unterliegen Jollys eine Verurtheilung der von ihm befolgten
Politik durch das „Volk" erkennen will. Das „Volk" hat hier nicht gesprochen,
sondern alle reaktionären und reichsfeindlichen Elemente im Wahlkreis hatten
sich verbündet, um den von ihnen wegen seiner hohen Verdienste um die deutsche
und liberale Sache bestgehaßten Mann zu verdrängen. Ha.veant sibi! Herr
Katz wird in Berlin nicht gefährlich werden. Eigenthümlich aber muß es ihm
zu Muthe sein, wenn er sich dort als Vertreter der Deutschconservativen betrach¬
ten soll, während er doch nicht der Handvoll Pietisten, die sich für ihn begeister¬
ten, sondern den Ultramontanen und Sozialdemokraten den Neichstagssitz zu
verdanken hat. Nächst dieser Wahl hat noch die im 10. Wahlkreis (Karls-
ruhe-Bruchsal) dadurch ein besonderes Interesse erlangt, daß die Ultramon¬
tanen sich mit den Deutschconservativen für den Candidaten dieser letzteren
gegen den nationalliberalen Candidaten engagirten, wiewohl erfolglos (8252
Stimmen gegen 7452).
Gelegentlich der Reichstagswahl ist die am 15. November v. I. gegründete
deutschconfervative Partei zum erstenmal an die größere Öffentlichkeit
getreten. Das Programm der Partei ist bekannt. Es hat sich auf dem Boden
desselben in unserem Baden eine eigenthümlich gemischte, aber durch innige
Solidarität der Interessen geeinte Gesellschaft zusammengefunden. Die Cadres
der Partei — wir wollen, da die Herren sofort als Kriegführende auftraten,
militärische Bezeichnungen anwenden — werden gebildet durch die orthodoxen
und pietistischen Geistlichen der evangelischen Kirche, die Füllung geschieht durch
den dem geistlichen Heerruf Folge leistenden strenggläubigen Theil der evan-
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