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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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mit Gründen bekämpften, die z. B. dein Hinweis auf die auch für die Zukunft
unbedingte Gewähr bietende Vergangenheit des Großherzogs Friedrich ent¬
stammen, so fallen diese Gründe für uns nicht sehr schwer in die Wagschale.
Wir verwahren uns gegen die von der "Allg. Ztg." beliebte Deutung unserer
betreffenden Ausführung, als hätten wir den Fürsten des "Wankelmuths" be¬
schuldigt. Habe" wir doch ausdrücklich erklärt, daß wir an dem aufrichtigen
Willen des Großherzogs, die bisherige Regieruugspolitik sowohl in Betreff der
inneren Angelegenheiten, als in Bezug auf den nationalen Gedanken anch
fernerhin maßgebend sein zu lassen, nicht im mindesten zweifeln. Für uns
hätte es der feierlichen Versicherung nicht bedurft, die der Großherzog am 31.
Oktober v. I. beim Schlußempfang der Abgeordneten zur evangelischen General¬
synode vor den Vertretern der evangelischen Landeskirche aussprach, "daß keine
Aenderung eintreten werde in der Richtung, die wir -- auf dem staatlichen
Gebiet -- seit langen Jahren eingehalten haben." "Ich versichere hier das
umso lieber" -- so führte der fürstliche Redner aus -- "als ich weiß, daß keine
Sehnsucht bestand, eine andere Richtung zu verfolgen weder in den Angelegen¬
heiten unseres Landes, noch in denen, die sich ans das Reich beziehen." Auch
dieses Wort ist aufrichtig gesprochn:, und es wird von uns nicht gedeutet und
nicht gebeutelt. Der Wille steht fest. Aber ist mit dein Wollen auch in jedem
einzelnen Falle schou das Vollbringen gegeben? Wir haben in unserem vorigen
Aufsatz davon geredet, daß die vordem bewiesene opferfreudige Hingebung an
den nationalen Gedanken eiuer gewissen Zurückhaltung gewichen sei, daß der
"Kulturkampf" mit der unter Jolly energisch durchgeführten Verwirklichung
freisinnigster Principien nicht mehr genehm sei, und das Alles in erster Linie
bei dem "Hof" im weiteren Sinne des Wortes, sodann aber anch mehr oder
minder bei dem Fürsten selbst, der sich den betreffenden Einflüssen nicht ganz
entziehen konnte. Die "Allg. Ztg." setzt uns die Pistole ans die Brust und
verlangt Beweise sür solche Behauptung. Nun gibt es aber bekanntlich viele
Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich mathematisch nicht beweisen lassen,
aber dennoch faktisch vorhanden sind. Solch ein Ding etwa mochte hier vor¬
liegen, obwohl, wenn es absolut sein müßte, eine oder die andere Beweisführung
angetreten werden konnte -- u. A. nöthigenfalls anch über Berlin -- die nicht
zu durchkreuzen wäre. Jedoch genug hiervon. Der Wille des Fürsten steht
fest. Aber jene Stimmung bei ,',Hof" ist damit nicht aus der Welt geschafft,
aus hohen und höchstem, wie aus niedern und niedersten Kreisen der Bevölke¬
rung heraus wird ihr stete Nahrung zugeführt. Nun denn! Ein klein wenig
von dem, was man psychologischen Scharfblick nennt, und sodann ein "Collegium
Lvgieum" -- und siehe da, unsere Aufstellung bezüglich der tiefsten Ursache
des Miuisterwechsels, als auch bezüglich der politischen Signatur der nächsten


mit Gründen bekämpften, die z. B. dein Hinweis auf die auch für die Zukunft
unbedingte Gewähr bietende Vergangenheit des Großherzogs Friedrich ent¬
stammen, so fallen diese Gründe für uns nicht sehr schwer in die Wagschale.
Wir verwahren uns gegen die von der „Allg. Ztg." beliebte Deutung unserer
betreffenden Ausführung, als hätten wir den Fürsten des „Wankelmuths" be¬
schuldigt. Habe« wir doch ausdrücklich erklärt, daß wir an dem aufrichtigen
Willen des Großherzogs, die bisherige Regieruugspolitik sowohl in Betreff der
inneren Angelegenheiten, als in Bezug auf den nationalen Gedanken anch
fernerhin maßgebend sein zu lassen, nicht im mindesten zweifeln. Für uns
hätte es der feierlichen Versicherung nicht bedurft, die der Großherzog am 31.
Oktober v. I. beim Schlußempfang der Abgeordneten zur evangelischen General¬
synode vor den Vertretern der evangelischen Landeskirche aussprach, „daß keine
Aenderung eintreten werde in der Richtung, die wir — auf dem staatlichen
Gebiet — seit langen Jahren eingehalten haben." „Ich versichere hier das
umso lieber" — so führte der fürstliche Redner aus — „als ich weiß, daß keine
Sehnsucht bestand, eine andere Richtung zu verfolgen weder in den Angelegen¬
heiten unseres Landes, noch in denen, die sich ans das Reich beziehen." Auch
dieses Wort ist aufrichtig gesprochn:, und es wird von uns nicht gedeutet und
nicht gebeutelt. Der Wille steht fest. Aber ist mit dein Wollen auch in jedem
einzelnen Falle schou das Vollbringen gegeben? Wir haben in unserem vorigen
Aufsatz davon geredet, daß die vordem bewiesene opferfreudige Hingebung an
den nationalen Gedanken eiuer gewissen Zurückhaltung gewichen sei, daß der
„Kulturkampf" mit der unter Jolly energisch durchgeführten Verwirklichung
freisinnigster Principien nicht mehr genehm sei, und das Alles in erster Linie
bei dem „Hof" im weiteren Sinne des Wortes, sodann aber anch mehr oder
minder bei dem Fürsten selbst, der sich den betreffenden Einflüssen nicht ganz
entziehen konnte. Die „Allg. Ztg." setzt uns die Pistole ans die Brust und
verlangt Beweise sür solche Behauptung. Nun gibt es aber bekanntlich viele
Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich mathematisch nicht beweisen lassen,
aber dennoch faktisch vorhanden sind. Solch ein Ding etwa mochte hier vor¬
liegen, obwohl, wenn es absolut sein müßte, eine oder die andere Beweisführung
angetreten werden konnte — u. A. nöthigenfalls anch über Berlin — die nicht
zu durchkreuzen wäre. Jedoch genug hiervon. Der Wille des Fürsten steht
fest. Aber jene Stimmung bei ,',Hof" ist damit nicht aus der Welt geschafft,
aus hohen und höchstem, wie aus niedern und niedersten Kreisen der Bevölke¬
rung heraus wird ihr stete Nahrung zugeführt. Nun denn! Ein klein wenig
von dem, was man psychologischen Scharfblick nennt, und sodann ein „Collegium
Lvgieum" — und siehe da, unsere Aufstellung bezüglich der tiefsten Ursache
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[0261] mit Gründen bekämpften, die z. B. dein Hinweis auf die auch für die Zukunft unbedingte Gewähr bietende Vergangenheit des Großherzogs Friedrich ent¬ stammen, so fallen diese Gründe für uns nicht sehr schwer in die Wagschale. Wir verwahren uns gegen die von der „Allg. Ztg." beliebte Deutung unserer betreffenden Ausführung, als hätten wir den Fürsten des „Wankelmuths" be¬ schuldigt. Habe« wir doch ausdrücklich erklärt, daß wir an dem aufrichtigen Willen des Großherzogs, die bisherige Regieruugspolitik sowohl in Betreff der inneren Angelegenheiten, als in Bezug auf den nationalen Gedanken anch fernerhin maßgebend sein zu lassen, nicht im mindesten zweifeln. Für uns hätte es der feierlichen Versicherung nicht bedurft, die der Großherzog am 31. Oktober v. I. beim Schlußempfang der Abgeordneten zur evangelischen General¬ synode vor den Vertretern der evangelischen Landeskirche aussprach, „daß keine Aenderung eintreten werde in der Richtung, die wir — auf dem staatlichen Gebiet — seit langen Jahren eingehalten haben." „Ich versichere hier das umso lieber" — so führte der fürstliche Redner aus — „als ich weiß, daß keine Sehnsucht bestand, eine andere Richtung zu verfolgen weder in den Angelegen¬ heiten unseres Landes, noch in denen, die sich ans das Reich beziehen." Auch dieses Wort ist aufrichtig gesprochn:, und es wird von uns nicht gedeutet und nicht gebeutelt. Der Wille steht fest. Aber ist mit dein Wollen auch in jedem einzelnen Falle schou das Vollbringen gegeben? Wir haben in unserem vorigen Aufsatz davon geredet, daß die vordem bewiesene opferfreudige Hingebung an den nationalen Gedanken eiuer gewissen Zurückhaltung gewichen sei, daß der „Kulturkampf" mit der unter Jolly energisch durchgeführten Verwirklichung freisinnigster Principien nicht mehr genehm sei, und das Alles in erster Linie bei dem „Hof" im weiteren Sinne des Wortes, sodann aber anch mehr oder minder bei dem Fürsten selbst, der sich den betreffenden Einflüssen nicht ganz entziehen konnte. Die „Allg. Ztg." setzt uns die Pistole ans die Brust und verlangt Beweise sür solche Behauptung. Nun gibt es aber bekanntlich viele Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich mathematisch nicht beweisen lassen, aber dennoch faktisch vorhanden sind. Solch ein Ding etwa mochte hier vor¬ liegen, obwohl, wenn es absolut sein müßte, eine oder die andere Beweisführung angetreten werden konnte — u. A. nöthigenfalls anch über Berlin — die nicht zu durchkreuzen wäre. Jedoch genug hiervon. Der Wille des Fürsten steht fest. Aber jene Stimmung bei ,',Hof" ist damit nicht aus der Welt geschafft, aus hohen und höchstem, wie aus niedern und niedersten Kreisen der Bevölke¬ rung heraus wird ihr stete Nahrung zugeführt. Nun denn! Ein klein wenig von dem, was man psychologischen Scharfblick nennt, und sodann ein „Collegium Lvgieum" — und siehe da, unsere Aufstellung bezüglich der tiefsten Ursache des Miuisterwechsels, als auch bezüglich der politischen Signatur der nächsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/261>, abgerufen am 23.07.2024.