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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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zu sichern, resp, dort ihre Herrschaft zu etabliren. 1857 wurde der Emir
vou Kabul, Herrscher von Afghanistan, durch einen Vertrag ver¬
pflichtet, gegen eine jährliche Subvention von 120,000 L. mindestens 18,000
Mann Truppen zum Widerstand gegen die Russen zu halten. Dieser Schutz
schien jedoch nicht zuverlässig, und man beschäftigte sich nun viel mit einem
Project von einem im EinVerständniß mit Rußland zu schaffenden neutralen
Staat, dem sogenannten "Uppsr Oxus 8es,w", der ans Kabul und dem Ge¬
biet des oberen Ann-Daria gebildet werden sollte. In Rußland fand jedoch
dies Project kein Entgegenkommen. Das unaufhaltsame Vorgehen Rußlands,
die Eroberungen in Chiwa, obwohl es England vorher feierlichst versprochen
war, daß man hier Ländererwerb nicht wolle, und schließlich die Annexion
Kvkans im letzten Frühjahr erregten die öffentliche Meinung in England ge¬
waltig und erzeugten eine Art von Panik.

In Kelat gelang es Englaud bereits in deu letzten Jahren, erheblichen
Einfluß zu gewinnen dadurch, daß es Streit schlichtend zwischen dem Herrscher
und seinen Großen auftrat. Auch den Herrscher von Afghanistan, den
Emir von Kabul, bezeichnet das Blaubuch des Jahres 1873 als einen
herzlichen Verbündeten und Freund Englands, wenn ihn auch Rußland in
sein Interesse zu ziehen suche durch Anerkennung seiner Rechte auf Badakschan
und Waldau. -- Doch England ist es um größere Sicherheit zu thun, als
asiatische Freundschaft bietet. Streitigkeiten in den Nachbarländern und das
üble Verhalten von Grenzstämmen scheinen Gelegenheit zur Vorschiebung eng¬
lischer Streitkräfte bieten zu wollen. Schon seit dem letzten Frühjahr befindet
sich ein Detachement im Bholan-Paß, um denselben den Karavanen offen zu
halten, ein anderes zum Schutze gegen die Afridis im Kahibar-Paß. Als ein
Schutz für den Handel sind die Sicherheitsmaßregeln ganz unverfänglich, viel¬
leicht aber war es Englaud durchaus uicht unlieb, daß das Benehmen der
Nachbaren Gelegenheit bot, jene wichtigen Pässe mit einer wenn auch vorläufig
nur geringen Streitmacht zu besetzen. Das gute Verhältniß zu dem Emir von
Kelat besteht dabei ungetrübt weiter^). Unklar sind dagegen die Nachrichten
über die Stellung Kabuls'"").

Es fragt sich nun, was für Streitkräfte England auf dem
indisch-central-asiatischen Kr legs-T heater verwenden kann.




Im Lager von Delhi ist auch der Emir von Kelat, obwohl noch unabhängiger Fürst,
Zur Proklamation des indischen Kaiser-Titels eingetroffen (Nachricht der Times). -- nebligen"
haben die Engländer vertragsmäßig das Recht, jeder Zeit in Kelat Garnisonen zu siationiren
(Times v. 21. 2. 7";.).
> Auf die Anwesenheit des Emir von Kabul bei der Kaiser-Proclnmation zu Delhi hat
Man vergeblich gerechnet. Das? der Emir eiuen russischen Abgesandten nu! besonderer Aus-
jeichnnng empfing, bat in England böses Blut gemacht.
Grenzboten l. 1"77. 32

zu sichern, resp, dort ihre Herrschaft zu etabliren. 1857 wurde der Emir
vou Kabul, Herrscher von Afghanistan, durch einen Vertrag ver¬
pflichtet, gegen eine jährliche Subvention von 120,000 L. mindestens 18,000
Mann Truppen zum Widerstand gegen die Russen zu halten. Dieser Schutz
schien jedoch nicht zuverlässig, und man beschäftigte sich nun viel mit einem
Project von einem im EinVerständniß mit Rußland zu schaffenden neutralen
Staat, dem sogenannten „Uppsr Oxus 8es,w", der ans Kabul und dem Ge¬
biet des oberen Ann-Daria gebildet werden sollte. In Rußland fand jedoch
dies Project kein Entgegenkommen. Das unaufhaltsame Vorgehen Rußlands,
die Eroberungen in Chiwa, obwohl es England vorher feierlichst versprochen
war, daß man hier Ländererwerb nicht wolle, und schließlich die Annexion
Kvkans im letzten Frühjahr erregten die öffentliche Meinung in England ge¬
waltig und erzeugten eine Art von Panik.

In Kelat gelang es Englaud bereits in deu letzten Jahren, erheblichen
Einfluß zu gewinnen dadurch, daß es Streit schlichtend zwischen dem Herrscher
und seinen Großen auftrat. Auch den Herrscher von Afghanistan, den
Emir von Kabul, bezeichnet das Blaubuch des Jahres 1873 als einen
herzlichen Verbündeten und Freund Englands, wenn ihn auch Rußland in
sein Interesse zu ziehen suche durch Anerkennung seiner Rechte auf Badakschan
und Waldau. — Doch England ist es um größere Sicherheit zu thun, als
asiatische Freundschaft bietet. Streitigkeiten in den Nachbarländern und das
üble Verhalten von Grenzstämmen scheinen Gelegenheit zur Vorschiebung eng¬
lischer Streitkräfte bieten zu wollen. Schon seit dem letzten Frühjahr befindet
sich ein Detachement im Bholan-Paß, um denselben den Karavanen offen zu
halten, ein anderes zum Schutze gegen die Afridis im Kahibar-Paß. Als ein
Schutz für den Handel sind die Sicherheitsmaßregeln ganz unverfänglich, viel¬
leicht aber war es Englaud durchaus uicht unlieb, daß das Benehmen der
Nachbaren Gelegenheit bot, jene wichtigen Pässe mit einer wenn auch vorläufig
nur geringen Streitmacht zu besetzen. Das gute Verhältniß zu dem Emir von
Kelat besteht dabei ungetrübt weiter^). Unklar sind dagegen die Nachrichten
über die Stellung Kabuls'"").

Es fragt sich nun, was für Streitkräfte England auf dem
indisch-central-asiatischen Kr legs-T heater verwenden kann.




Im Lager von Delhi ist auch der Emir von Kelat, obwohl noch unabhängiger Fürst,
Zur Proklamation des indischen Kaiser-Titels eingetroffen (Nachricht der Times). — nebligen«
haben die Engländer vertragsmäßig das Recht, jeder Zeit in Kelat Garnisonen zu siationiren
(Times v. 21. 2. 7«;.).
> Auf die Anwesenheit des Emir von Kabul bei der Kaiser-Proclnmation zu Delhi hat
Man vergeblich gerechnet. Das? der Emir eiuen russischen Abgesandten nu! besonderer Aus-
jeichnnng empfing, bat in England böses Blut gemacht.
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[0257] zu sichern, resp, dort ihre Herrschaft zu etabliren. 1857 wurde der Emir vou Kabul, Herrscher von Afghanistan, durch einen Vertrag ver¬ pflichtet, gegen eine jährliche Subvention von 120,000 L. mindestens 18,000 Mann Truppen zum Widerstand gegen die Russen zu halten. Dieser Schutz schien jedoch nicht zuverlässig, und man beschäftigte sich nun viel mit einem Project von einem im EinVerständniß mit Rußland zu schaffenden neutralen Staat, dem sogenannten „Uppsr Oxus 8es,w", der ans Kabul und dem Ge¬ biet des oberen Ann-Daria gebildet werden sollte. In Rußland fand jedoch dies Project kein Entgegenkommen. Das unaufhaltsame Vorgehen Rußlands, die Eroberungen in Chiwa, obwohl es England vorher feierlichst versprochen war, daß man hier Ländererwerb nicht wolle, und schließlich die Annexion Kvkans im letzten Frühjahr erregten die öffentliche Meinung in England ge¬ waltig und erzeugten eine Art von Panik. In Kelat gelang es Englaud bereits in deu letzten Jahren, erheblichen Einfluß zu gewinnen dadurch, daß es Streit schlichtend zwischen dem Herrscher und seinen Großen auftrat. Auch den Herrscher von Afghanistan, den Emir von Kabul, bezeichnet das Blaubuch des Jahres 1873 als einen herzlichen Verbündeten und Freund Englands, wenn ihn auch Rußland in sein Interesse zu ziehen suche durch Anerkennung seiner Rechte auf Badakschan und Waldau. — Doch England ist es um größere Sicherheit zu thun, als asiatische Freundschaft bietet. Streitigkeiten in den Nachbarländern und das üble Verhalten von Grenzstämmen scheinen Gelegenheit zur Vorschiebung eng¬ lischer Streitkräfte bieten zu wollen. Schon seit dem letzten Frühjahr befindet sich ein Detachement im Bholan-Paß, um denselben den Karavanen offen zu halten, ein anderes zum Schutze gegen die Afridis im Kahibar-Paß. Als ein Schutz für den Handel sind die Sicherheitsmaßregeln ganz unverfänglich, viel¬ leicht aber war es Englaud durchaus uicht unlieb, daß das Benehmen der Nachbaren Gelegenheit bot, jene wichtigen Pässe mit einer wenn auch vorläufig nur geringen Streitmacht zu besetzen. Das gute Verhältniß zu dem Emir von Kelat besteht dabei ungetrübt weiter^). Unklar sind dagegen die Nachrichten über die Stellung Kabuls'""). Es fragt sich nun, was für Streitkräfte England auf dem indisch-central-asiatischen Kr legs-T heater verwenden kann. Im Lager von Delhi ist auch der Emir von Kelat, obwohl noch unabhängiger Fürst, Zur Proklamation des indischen Kaiser-Titels eingetroffen (Nachricht der Times). — nebligen« haben die Engländer vertragsmäßig das Recht, jeder Zeit in Kelat Garnisonen zu siationiren (Times v. 21. 2. 7«;.). > Auf die Anwesenheit des Emir von Kabul bei der Kaiser-Proclnmation zu Delhi hat Man vergeblich gerechnet. Das? der Emir eiuen russischen Abgesandten nu! besonderer Aus- jeichnnng empfing, bat in England böses Blut gemacht. Grenzboten l. 1«77. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/257>, abgerufen am 23.07.2024.