Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wenn es sich um ein Eindringen in russisches Gebiet unter gleichzeitiger Jnsur-
girung Kokaus handelt.^) -- Doch bald folgte die Nachricht von einer aus
Kaschgar nach russischem Gebiete abgegangenen Gesandtschaft. Der Begriff einer
ehrlichen Politik ist in Asien eben ein Unding, und fast nie ist der Versicherung
eines asiatischen Fürsten Glauben beizumessen.

Wichtiger noch sind die Nachbaren im Nord Westen und Westen, denn
hier sind die Eingangsthore nach Indien, die Bergpässe, durch die sich,
wie schon bemerkt, alle Einfälle fremder Völker zunächst in die Ebene des
Indus ergossen haben. Die hier benachbarten Länder sind Afghanistan
mit dem tributpflichtigen Badakschan und südlich davon Baludschistan
oder Kelat.

Für die Sicherung dieser Grenze wurde stets besondere Sorge getragen
und zwar direct durch permanente Aufstellung einer beträchtlichen Truppen¬
macht im Jndusthale und in den Paßmündungen, dnrch Anlage strategisch
wichtiger Bahnen und durch continuirliche Ausübung eines politischen Einflusses
auf die Grenzländer. Wie England in früheren Jahre,: hier vorging, ist in
dem geschichtlichen Theile dieser Arbeit gezeigt worden. Der Unterschied der
Situation besteht darin, daß zur Zeit der ostindischen Compagnie Rußlands
Vorgehen vom kaspischen Meere aus gefürchtet und daher eine Einwirkung
auf Persien versucht wurde, daß jetzt aber die russische Grenze in sehr viel
größere Nähe gerückt ist. Doch um der nächsten Stelle von 52 geographischen
Meilen Luftentfernung liegen unübersteigliche Bergrücken des Himalaya zwischen
beiden Ländern. Auch die Entfernung auf der großen Handelsstraße von
Pischawar über Kabul und Chuten nach Samarkand, mit allen durch die Pässe
bedingten Umwegen u. s. w. gemessen, giebt nur ungefähr 140 geographische
Meilen, doch ist auch die über diese Pässe in einer Höhe von 9--12,000 eng¬
lischen Fuß über dem Meeresspiegel führende Straße wohl nicht für eine Armee
geeignet.

Die beiden Straßen, auf denen ein feindlicher Angriff zu
besorgen ist, sind vielmehr die Straße von Taschkend durch Buchara
und die Steppen der Turkmenen über Merw auf Herai und die
Straße vom Kaspischen Meere durch Persien auf Herat. Von
He rat aus ist wieder ein doppeltes Vorgehen möglich, und zwar über
Kabul und den Kahibar-Paß aufPischawar oder über denBholan-
Paß und durch Baludschistan nach dem untern Indus. Es kommt
also den Engländern darauf an, sich die Freundschaft von Afghanistan und
Baludschistan, womöglich auch der andern von diesen Straßen berührten Staaten



22) Vergl. Wenjukow, die russisch-asiatischen Grenzlande, deutsch v. Krahner.

wenn es sich um ein Eindringen in russisches Gebiet unter gleichzeitiger Jnsur-
girung Kokaus handelt.^) — Doch bald folgte die Nachricht von einer aus
Kaschgar nach russischem Gebiete abgegangenen Gesandtschaft. Der Begriff einer
ehrlichen Politik ist in Asien eben ein Unding, und fast nie ist der Versicherung
eines asiatischen Fürsten Glauben beizumessen.

Wichtiger noch sind die Nachbaren im Nord Westen und Westen, denn
hier sind die Eingangsthore nach Indien, die Bergpässe, durch die sich,
wie schon bemerkt, alle Einfälle fremder Völker zunächst in die Ebene des
Indus ergossen haben. Die hier benachbarten Länder sind Afghanistan
mit dem tributpflichtigen Badakschan und südlich davon Baludschistan
oder Kelat.

Für die Sicherung dieser Grenze wurde stets besondere Sorge getragen
und zwar direct durch permanente Aufstellung einer beträchtlichen Truppen¬
macht im Jndusthale und in den Paßmündungen, dnrch Anlage strategisch
wichtiger Bahnen und durch continuirliche Ausübung eines politischen Einflusses
auf die Grenzländer. Wie England in früheren Jahre,: hier vorging, ist in
dem geschichtlichen Theile dieser Arbeit gezeigt worden. Der Unterschied der
Situation besteht darin, daß zur Zeit der ostindischen Compagnie Rußlands
Vorgehen vom kaspischen Meere aus gefürchtet und daher eine Einwirkung
auf Persien versucht wurde, daß jetzt aber die russische Grenze in sehr viel
größere Nähe gerückt ist. Doch um der nächsten Stelle von 52 geographischen
Meilen Luftentfernung liegen unübersteigliche Bergrücken des Himalaya zwischen
beiden Ländern. Auch die Entfernung auf der großen Handelsstraße von
Pischawar über Kabul und Chuten nach Samarkand, mit allen durch die Pässe
bedingten Umwegen u. s. w. gemessen, giebt nur ungefähr 140 geographische
Meilen, doch ist auch die über diese Pässe in einer Höhe von 9—12,000 eng¬
lischen Fuß über dem Meeresspiegel führende Straße wohl nicht für eine Armee
geeignet.

Die beiden Straßen, auf denen ein feindlicher Angriff zu
besorgen ist, sind vielmehr die Straße von Taschkend durch Buchara
und die Steppen der Turkmenen über Merw auf Herai und die
Straße vom Kaspischen Meere durch Persien auf Herat. Von
He rat aus ist wieder ein doppeltes Vorgehen möglich, und zwar über
Kabul und den Kahibar-Paß aufPischawar oder über denBholan-
Paß und durch Baludschistan nach dem untern Indus. Es kommt
also den Engländern darauf an, sich die Freundschaft von Afghanistan und
Baludschistan, womöglich auch der andern von diesen Straßen berührten Staaten



22) Vergl. Wenjukow, die russisch-asiatischen Grenzlande, deutsch v. Krahner.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0256" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137429"/>
          <p xml:id="ID_864" prev="#ID_863"> wenn es sich um ein Eindringen in russisches Gebiet unter gleichzeitiger Jnsur-<lb/>
girung Kokaus handelt.^) &#x2014; Doch bald folgte die Nachricht von einer aus<lb/>
Kaschgar nach russischem Gebiete abgegangenen Gesandtschaft. Der Begriff einer<lb/>
ehrlichen Politik ist in Asien eben ein Unding, und fast nie ist der Versicherung<lb/>
eines asiatischen Fürsten Glauben beizumessen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_865"> Wichtiger noch sind die Nachbaren im Nord Westen und Westen, denn<lb/>
hier sind die Eingangsthore nach Indien, die Bergpässe, durch die sich,<lb/>
wie schon bemerkt, alle Einfälle fremder Völker zunächst in die Ebene des<lb/>
Indus ergossen haben. Die hier benachbarten Länder sind Afghanistan<lb/>
mit dem tributpflichtigen Badakschan und südlich davon Baludschistan<lb/>
oder Kelat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_866"> Für die Sicherung dieser Grenze wurde stets besondere Sorge getragen<lb/>
und zwar direct durch permanente Aufstellung einer beträchtlichen Truppen¬<lb/>
macht im Jndusthale und in den Paßmündungen, dnrch Anlage strategisch<lb/>
wichtiger Bahnen und durch continuirliche Ausübung eines politischen Einflusses<lb/>
auf die Grenzländer. Wie England in früheren Jahre,: hier vorging, ist in<lb/>
dem geschichtlichen Theile dieser Arbeit gezeigt worden. Der Unterschied der<lb/>
Situation besteht darin, daß zur Zeit der ostindischen Compagnie Rußlands<lb/>
Vorgehen vom kaspischen Meere aus gefürchtet und daher eine Einwirkung<lb/>
auf Persien versucht wurde, daß jetzt aber die russische Grenze in sehr viel<lb/>
größere Nähe gerückt ist. Doch um der nächsten Stelle von 52 geographischen<lb/>
Meilen Luftentfernung liegen unübersteigliche Bergrücken des Himalaya zwischen<lb/>
beiden Ländern. Auch die Entfernung auf der großen Handelsstraße von<lb/>
Pischawar über Kabul und Chuten nach Samarkand, mit allen durch die Pässe<lb/>
bedingten Umwegen u. s. w. gemessen, giebt nur ungefähr 140 geographische<lb/>
Meilen, doch ist auch die über diese Pässe in einer Höhe von 9&#x2014;12,000 eng¬<lb/>
lischen Fuß über dem Meeresspiegel führende Straße wohl nicht für eine Armee<lb/>
geeignet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_867" next="#ID_868"> Die beiden Straßen, auf denen ein feindlicher Angriff zu<lb/>
besorgen ist, sind vielmehr die Straße von Taschkend durch Buchara<lb/>
und die Steppen der Turkmenen über Merw auf Herai und die<lb/>
Straße vom Kaspischen Meere durch Persien auf Herat. Von<lb/>
He rat aus ist wieder ein doppeltes Vorgehen möglich, und zwar über<lb/>
Kabul und den Kahibar-Paß aufPischawar oder über denBholan-<lb/>
Paß und durch Baludschistan nach dem untern Indus. Es kommt<lb/>
also den Engländern darauf an, sich die Freundschaft von Afghanistan und<lb/>
Baludschistan, womöglich auch der andern von diesen Straßen berührten Staaten</p><lb/>
          <note xml:id="FID_52" place="foot"> 22) Vergl. Wenjukow, die russisch-asiatischen Grenzlande, deutsch v. Krahner.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0256] wenn es sich um ein Eindringen in russisches Gebiet unter gleichzeitiger Jnsur- girung Kokaus handelt.^) — Doch bald folgte die Nachricht von einer aus Kaschgar nach russischem Gebiete abgegangenen Gesandtschaft. Der Begriff einer ehrlichen Politik ist in Asien eben ein Unding, und fast nie ist der Versicherung eines asiatischen Fürsten Glauben beizumessen. Wichtiger noch sind die Nachbaren im Nord Westen und Westen, denn hier sind die Eingangsthore nach Indien, die Bergpässe, durch die sich, wie schon bemerkt, alle Einfälle fremder Völker zunächst in die Ebene des Indus ergossen haben. Die hier benachbarten Länder sind Afghanistan mit dem tributpflichtigen Badakschan und südlich davon Baludschistan oder Kelat. Für die Sicherung dieser Grenze wurde stets besondere Sorge getragen und zwar direct durch permanente Aufstellung einer beträchtlichen Truppen¬ macht im Jndusthale und in den Paßmündungen, dnrch Anlage strategisch wichtiger Bahnen und durch continuirliche Ausübung eines politischen Einflusses auf die Grenzländer. Wie England in früheren Jahre,: hier vorging, ist in dem geschichtlichen Theile dieser Arbeit gezeigt worden. Der Unterschied der Situation besteht darin, daß zur Zeit der ostindischen Compagnie Rußlands Vorgehen vom kaspischen Meere aus gefürchtet und daher eine Einwirkung auf Persien versucht wurde, daß jetzt aber die russische Grenze in sehr viel größere Nähe gerückt ist. Doch um der nächsten Stelle von 52 geographischen Meilen Luftentfernung liegen unübersteigliche Bergrücken des Himalaya zwischen beiden Ländern. Auch die Entfernung auf der großen Handelsstraße von Pischawar über Kabul und Chuten nach Samarkand, mit allen durch die Pässe bedingten Umwegen u. s. w. gemessen, giebt nur ungefähr 140 geographische Meilen, doch ist auch die über diese Pässe in einer Höhe von 9—12,000 eng¬ lischen Fuß über dem Meeresspiegel führende Straße wohl nicht für eine Armee geeignet. Die beiden Straßen, auf denen ein feindlicher Angriff zu besorgen ist, sind vielmehr die Straße von Taschkend durch Buchara und die Steppen der Turkmenen über Merw auf Herai und die Straße vom Kaspischen Meere durch Persien auf Herat. Von He rat aus ist wieder ein doppeltes Vorgehen möglich, und zwar über Kabul und den Kahibar-Paß aufPischawar oder über denBholan- Paß und durch Baludschistan nach dem untern Indus. Es kommt also den Engländern darauf an, sich die Freundschaft von Afghanistan und Baludschistan, womöglich auch der andern von diesen Straßen berührten Staaten 22) Vergl. Wenjukow, die russisch-asiatischen Grenzlande, deutsch v. Krahner.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/256
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/256>, abgerufen am 23.07.2024.