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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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laya und tibetanischen Stämmen wurden zunächst durch Etablirung
von Märkten in der Nähe der Grenze Handelsbeziehungen angebahnt. Der
Rajcch von BHut an, ein sehr unruhiger Nachbar, gab die freundschaftlichsten
Versicherungen ab. Mit dem nördlich des Himalaya gelegenen Tibet Ver¬
bindungen anzuknüpfen, glückte bis jetzt noch nicht -- die eifersüchtige Politik
des oberherrlicher China machte alle Versuche der Annäherung an den Hof
der Lamas vergeblich. Ein im Jahre 1871 dorthin gesandter Brief der eng¬
lischen Regierung kam uneröffnet zurück. Das Blaubuch vom Jahre 1873 be¬
merkt zu dieser schnöden Abweisung ohne jede Empfindlichkeit: "man wird
später eine günstige Gelegenheit ergreifen müssen." Auch mit dem Staate
Nepaul gelang es, obwohl dort ein Resident stationirt ist, noch nicht, Han-
delsv erbindungen anzuknüpfen")

Anders ist das Verhältniß zu dein durch den westlichen Himalaya getrenn¬
ten Nachbarstaat Ost-Turkestan und dessen Herrscher JakubKhan. Dieser
Nachbarschaft wird besondere Aufmerksamkeit zugewandt, da man in England
gewohnt ist, dieses Land als Schutzmauer gegen Rußland anzusehen.
Effeetiv hat jedoch Ost-Turkestan diese Bedeutung für England nicht, wie
auch eine entschiedene Autorität, Mr. Forsyth, im Unterhause entwickelte. Der
Himalaya und die nördlich desselben gelegenen Wüsten bilden eine unüber-
steigliche Grenze zwischen Indien und Ost-Turkestan, nur über den Karako-
rum-Paß und noch zwei andere Pässe führen Straßen, welche jedoch solche
Schwierigkeiten darbieten, daß weder die Russen noch die Mongolen Ost-Tur-
kestans es voraussichtlich je versuchen werden, auf diesem Wege in Indien
einzudringen. Schon 1860 wurden mit Ost-Turkestan Beziehungen angeknüpft,
und England sandte Waffen und Jnstrueteure. 1872 schien sich Jakub Khan
mehr den Russen zu nähern und erlangte auch von thuen die Anerkennung
seiner Unabhängigkeit von China und seiner Herrschaft in ganz Ost-Turkestan.
Dennoch hörten feine Beziehungen zu den Engländern, die ihre Waaren anf
seinen Märkten absetzten und einen fleißigen diplomatischen Verkehr mit dem
Hofe von Kaschgar unterhielten, nicht auf. Vor ewigen Wochen aber ging die
Nachricht durch die Presse, daß Jakub Khan in einem Schreiben feierlich den
türkischen Sultan seiner Ergebenheit versichert habe. Seine Armee, die auf 10
bis 15,000 Mann geschätzt wird, nach europäischer Weise organisirt und nach
englischem Reglement ausgebildet ist, dürfte in Alliance mit England resp, der
Türkei eine nicht zu unterschätzende Macht sein, sowohl wenn es gilt, einer
gegen Afghanistan vordringenden russischen Armee in die Flanke zu fallen, als



Es hat das nicht gehindert, daß der Prinz von Wales in Nepaul mit dem größten
Zuvorkommen aufgenommen wurde.

laya und tibetanischen Stämmen wurden zunächst durch Etablirung
von Märkten in der Nähe der Grenze Handelsbeziehungen angebahnt. Der
Rajcch von BHut an, ein sehr unruhiger Nachbar, gab die freundschaftlichsten
Versicherungen ab. Mit dem nördlich des Himalaya gelegenen Tibet Ver¬
bindungen anzuknüpfen, glückte bis jetzt noch nicht — die eifersüchtige Politik
des oberherrlicher China machte alle Versuche der Annäherung an den Hof
der Lamas vergeblich. Ein im Jahre 1871 dorthin gesandter Brief der eng¬
lischen Regierung kam uneröffnet zurück. Das Blaubuch vom Jahre 1873 be¬
merkt zu dieser schnöden Abweisung ohne jede Empfindlichkeit: „man wird
später eine günstige Gelegenheit ergreifen müssen." Auch mit dem Staate
Nepaul gelang es, obwohl dort ein Resident stationirt ist, noch nicht, Han-
delsv erbindungen anzuknüpfen")

Anders ist das Verhältniß zu dein durch den westlichen Himalaya getrenn¬
ten Nachbarstaat Ost-Turkestan und dessen Herrscher JakubKhan. Dieser
Nachbarschaft wird besondere Aufmerksamkeit zugewandt, da man in England
gewohnt ist, dieses Land als Schutzmauer gegen Rußland anzusehen.
Effeetiv hat jedoch Ost-Turkestan diese Bedeutung für England nicht, wie
auch eine entschiedene Autorität, Mr. Forsyth, im Unterhause entwickelte. Der
Himalaya und die nördlich desselben gelegenen Wüsten bilden eine unüber-
steigliche Grenze zwischen Indien und Ost-Turkestan, nur über den Karako-
rum-Paß und noch zwei andere Pässe führen Straßen, welche jedoch solche
Schwierigkeiten darbieten, daß weder die Russen noch die Mongolen Ost-Tur-
kestans es voraussichtlich je versuchen werden, auf diesem Wege in Indien
einzudringen. Schon 1860 wurden mit Ost-Turkestan Beziehungen angeknüpft,
und England sandte Waffen und Jnstrueteure. 1872 schien sich Jakub Khan
mehr den Russen zu nähern und erlangte auch von thuen die Anerkennung
seiner Unabhängigkeit von China und seiner Herrschaft in ganz Ost-Turkestan.
Dennoch hörten feine Beziehungen zu den Engländern, die ihre Waaren anf
seinen Märkten absetzten und einen fleißigen diplomatischen Verkehr mit dem
Hofe von Kaschgar unterhielten, nicht auf. Vor ewigen Wochen aber ging die
Nachricht durch die Presse, daß Jakub Khan in einem Schreiben feierlich den
türkischen Sultan seiner Ergebenheit versichert habe. Seine Armee, die auf 10
bis 15,000 Mann geschätzt wird, nach europäischer Weise organisirt und nach
englischem Reglement ausgebildet ist, dürfte in Alliance mit England resp, der
Türkei eine nicht zu unterschätzende Macht sein, sowohl wenn es gilt, einer
gegen Afghanistan vordringenden russischen Armee in die Flanke zu fallen, als



Es hat das nicht gehindert, daß der Prinz von Wales in Nepaul mit dem größten
Zuvorkommen aufgenommen wurde.
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[0255] laya und tibetanischen Stämmen wurden zunächst durch Etablirung von Märkten in der Nähe der Grenze Handelsbeziehungen angebahnt. Der Rajcch von BHut an, ein sehr unruhiger Nachbar, gab die freundschaftlichsten Versicherungen ab. Mit dem nördlich des Himalaya gelegenen Tibet Ver¬ bindungen anzuknüpfen, glückte bis jetzt noch nicht — die eifersüchtige Politik des oberherrlicher China machte alle Versuche der Annäherung an den Hof der Lamas vergeblich. Ein im Jahre 1871 dorthin gesandter Brief der eng¬ lischen Regierung kam uneröffnet zurück. Das Blaubuch vom Jahre 1873 be¬ merkt zu dieser schnöden Abweisung ohne jede Empfindlichkeit: „man wird später eine günstige Gelegenheit ergreifen müssen." Auch mit dem Staate Nepaul gelang es, obwohl dort ein Resident stationirt ist, noch nicht, Han- delsv erbindungen anzuknüpfen") Anders ist das Verhältniß zu dein durch den westlichen Himalaya getrenn¬ ten Nachbarstaat Ost-Turkestan und dessen Herrscher JakubKhan. Dieser Nachbarschaft wird besondere Aufmerksamkeit zugewandt, da man in England gewohnt ist, dieses Land als Schutzmauer gegen Rußland anzusehen. Effeetiv hat jedoch Ost-Turkestan diese Bedeutung für England nicht, wie auch eine entschiedene Autorität, Mr. Forsyth, im Unterhause entwickelte. Der Himalaya und die nördlich desselben gelegenen Wüsten bilden eine unüber- steigliche Grenze zwischen Indien und Ost-Turkestan, nur über den Karako- rum-Paß und noch zwei andere Pässe führen Straßen, welche jedoch solche Schwierigkeiten darbieten, daß weder die Russen noch die Mongolen Ost-Tur- kestans es voraussichtlich je versuchen werden, auf diesem Wege in Indien einzudringen. Schon 1860 wurden mit Ost-Turkestan Beziehungen angeknüpft, und England sandte Waffen und Jnstrueteure. 1872 schien sich Jakub Khan mehr den Russen zu nähern und erlangte auch von thuen die Anerkennung seiner Unabhängigkeit von China und seiner Herrschaft in ganz Ost-Turkestan. Dennoch hörten feine Beziehungen zu den Engländern, die ihre Waaren anf seinen Märkten absetzten und einen fleißigen diplomatischen Verkehr mit dem Hofe von Kaschgar unterhielten, nicht auf. Vor ewigen Wochen aber ging die Nachricht durch die Presse, daß Jakub Khan in einem Schreiben feierlich den türkischen Sultan seiner Ergebenheit versichert habe. Seine Armee, die auf 10 bis 15,000 Mann geschätzt wird, nach europäischer Weise organisirt und nach englischem Reglement ausgebildet ist, dürfte in Alliance mit England resp, der Türkei eine nicht zu unterschätzende Macht sein, sowohl wenn es gilt, einer gegen Afghanistan vordringenden russischen Armee in die Flanke zu fallen, als Es hat das nicht gehindert, daß der Prinz von Wales in Nepaul mit dem größten Zuvorkommen aufgenommen wurde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/255>, abgerufen am 23.07.2024.