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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Pfang mit fast fürstlichen Ehrenbezeugungen wurde ihm zu Theil, als er im
letzten Frühjahr England zum ersten Mal besuchte. Der Guikwar von
Baroda wurde im Januar 1875 wegen eines Versuchs, den englischen Re¬
sidenten, Oberst Phayre, zu vergiften, verhaftet und vor Gericht gestellt.
Seine Schuld war juristisch nicht völlig erwiesen, namentlich die eingebornen
Mitglieder des Gerichtshofes sprachen für den Gmkwar, dennoch proclamirte
schon am 23. April desselben Jahres der Vice-König von Indien seine Ab¬
setzung unter folgender Motivirung: "da die Commissäre, welche dem Baroda-
Untersuchnngs-Gericht präsidirten, verschiedener Meinung waren, hat die Re¬
gierung Ihrer Majestät ihre Entscheidung nicht auf den Bericht der Commission
basirt, sondern auf Mulhar Raos notorisch schlechte Führung, seine großartige
Mißregierung und seine Unfähigkeit, die nothwendigen Reformen auszuführen."
Gleich darauf wurde sein Nachfolger ernannt.' Die öffentliche Meinung in
Indien war sehr aufgeregt und schien geneigt, für den Gnikwar Partei zu
nehmen. Dennoch entstand nicht einmal ein localer Aufstand, ein Zeichen,
wie wenigstens zur Zeit auch in den Eingebornen-Staaten weit mehr
die Engländer Herren sind als die eingebornen Fürsten. Die größten der
eingebornen Staaten resp, großen Staaten-Complexe haben, wie bereits er¬
wähnt, besondere Truppen-Contingente unter englischem Commando und
mit einem geringen Cadre englischer Offiziere. Außerdem haben die ein¬
heimischen Fürsten von England ganz unabhängige Truppen, die auf
315,000 Mann aller Waffen mit fast 5300 Geschützen (namentlich Positions-
Geschütze) geschätzt werden, fast das doppelte der Eingebornen-Armee unter
britischen Commando. Organisation und Bewaffnung dieser Truppen ist sehr
mannigfach und von sehr verschiedenem Werth. Zum Theil aber sind sie mit
Hinterladern ausgerüstet; es existiren Gewehr-, Geschütz- und Pulverfabriken
und zahlreiche kleine Forts.^°) Dazu kommt, daß die einheimischen Fürsten
über bedeutende finanzielle Mittel verfügen und angeblich ihnen williger
Steuern gezahlt werden, als der Regierung.

Ist also auch augenblicklich das Verhältniß zu den Eingebornen - Staaten
ein durchaus gutes, so kann dnrch sie doch einem Feinde, der es versteht, sie
in sein Interesse zu verwickeln, ein formidabler Machtzuwachs entstehen. Die



22) Vergl. Uf.i-den'8 xearkooll 1876 und Registrande der geographisch-statistischen Abth.
des großen Generalstabes, VI. Jahrgang. -- Die Truppen des sembla von Gwalior und des
Holkar von Indore gelten für die bestorganisirten. Die Times vom 7. 2. 7K schildern eine
Parade des Gwalior-Contingents vor dem Prinzen von Wales. Das Kontingent zählt dem¬
nach 5 Infanterie-Regimenter, "vielen Sepoy-Bataillons weit überlegen", 4 Ccwallerie-Regi-
menter zu 40N Pferden, 2 Trupps reitende Artillerie mit glatten 6-Pfündern und 2 9-pfün-
dige Feld-Batterien.

Pfang mit fast fürstlichen Ehrenbezeugungen wurde ihm zu Theil, als er im
letzten Frühjahr England zum ersten Mal besuchte. Der Guikwar von
Baroda wurde im Januar 1875 wegen eines Versuchs, den englischen Re¬
sidenten, Oberst Phayre, zu vergiften, verhaftet und vor Gericht gestellt.
Seine Schuld war juristisch nicht völlig erwiesen, namentlich die eingebornen
Mitglieder des Gerichtshofes sprachen für den Gmkwar, dennoch proclamirte
schon am 23. April desselben Jahres der Vice-König von Indien seine Ab¬
setzung unter folgender Motivirung: „da die Commissäre, welche dem Baroda-
Untersuchnngs-Gericht präsidirten, verschiedener Meinung waren, hat die Re¬
gierung Ihrer Majestät ihre Entscheidung nicht auf den Bericht der Commission
basirt, sondern auf Mulhar Raos notorisch schlechte Führung, seine großartige
Mißregierung und seine Unfähigkeit, die nothwendigen Reformen auszuführen."
Gleich darauf wurde sein Nachfolger ernannt.' Die öffentliche Meinung in
Indien war sehr aufgeregt und schien geneigt, für den Gnikwar Partei zu
nehmen. Dennoch entstand nicht einmal ein localer Aufstand, ein Zeichen,
wie wenigstens zur Zeit auch in den Eingebornen-Staaten weit mehr
die Engländer Herren sind als die eingebornen Fürsten. Die größten der
eingebornen Staaten resp, großen Staaten-Complexe haben, wie bereits er¬
wähnt, besondere Truppen-Contingente unter englischem Commando und
mit einem geringen Cadre englischer Offiziere. Außerdem haben die ein¬
heimischen Fürsten von England ganz unabhängige Truppen, die auf
315,000 Mann aller Waffen mit fast 5300 Geschützen (namentlich Positions-
Geschütze) geschätzt werden, fast das doppelte der Eingebornen-Armee unter
britischen Commando. Organisation und Bewaffnung dieser Truppen ist sehr
mannigfach und von sehr verschiedenem Werth. Zum Theil aber sind sie mit
Hinterladern ausgerüstet; es existiren Gewehr-, Geschütz- und Pulverfabriken
und zahlreiche kleine Forts.^°) Dazu kommt, daß die einheimischen Fürsten
über bedeutende finanzielle Mittel verfügen und angeblich ihnen williger
Steuern gezahlt werden, als der Regierung.

Ist also auch augenblicklich das Verhältniß zu den Eingebornen - Staaten
ein durchaus gutes, so kann dnrch sie doch einem Feinde, der es versteht, sie
in sein Interesse zu verwickeln, ein formidabler Machtzuwachs entstehen. Die



22) Vergl. Uf.i-den'8 xearkooll 1876 und Registrande der geographisch-statistischen Abth.
des großen Generalstabes, VI. Jahrgang. — Die Truppen des sembla von Gwalior und des
Holkar von Indore gelten für die bestorganisirten. Die Times vom 7. 2. 7K schildern eine
Parade des Gwalior-Contingents vor dem Prinzen von Wales. Das Kontingent zählt dem¬
nach 5 Infanterie-Regimenter, „vielen Sepoy-Bataillons weit überlegen", 4 Ccwallerie-Regi-
menter zu 40N Pferden, 2 Trupps reitende Artillerie mit glatten 6-Pfündern und 2 9-pfün-
dige Feld-Batterien.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/253>, abgerufen am 23.07.2024.