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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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leiten. Der fette Lehmboden macht die Wege bei Regen grundlos, und das
Hinabsteigen in die tiefen Thäler, über deren Gewässer nur bisweilen Brücken
führen, ist dann äußerst beschwerlich. Im Winter fällt der Schnee in solcher
Menge, daß die Straßen oft nicht zu erkennen sind. Im Spätsommer verdorrt
die Vegetation, und es stellt sich Wassermangel ein, sodaß man genöthigt ist,
sehr lange Märsche zu machen. Da endlich die meisten Gefechtsstellungen sich
am Rande von Thälern mit dem Wasserlauf vor der Front befinden, Wasser
aber ein dringendes Bedürfniß ist, so ist man, um die Truppen nicht übermäßig
zu ermüden, fast immer gezwungen, das Nachtlager am Wasser selbst vor der
eigentlichen Gefechtsstelluug einzunehmen.

Schumla, eine amphitheatralisch in einem Thalkessel erbaute, auf dein
Knotenpunkte der Hauptstraßen Ostbulgariens gelegene Stadt von 50,000 Ein¬
wohnern, ist rings von befestigten Höhen umgeben und weniger eine Festung
als ein verschanztes Lager. Seine von Thürmen und Bastionen vertheidigte
Ringmauer hat etwa eine Meile im Umfange. Es hatte damals eine Besatzung
von 45,000 Mann, die von dem Seraskicr Hussein Pascha befehligt waren,
welcher zwar kein besonderer Feldherr, aber ein Mann von großem persönlichem
Muthe war. Unter ihm commandirte der junge, muthige und talentvolle Chain
Pascha, der bei Basardjik ein russisches Jägerregiment mit seiner Reiterei in
die Flucht getrieben hatte, was von den Türken allgemein als gnie Vorbe¬
deutung betrachtet wurde.

Ein am 23. Juli geliefertes Vorpostengesecht bezeichnete die Ankunft der
Russen vor Schumla. Sie bemächtigten sich einiger Außenwerke, welche die
Türken auf den Höhen inne hatten, und zwei russische Divisionen besetzten die
Straße nach Konstantinopel und die nach Silistria, um der Armee Husseins
ihre wichtigsten Verbindungen abzuschneiden. Aber die Türken verloren den
Muth nicht. Täglich machten sie Ausfälle gegen die Russen und wiederholt
mit Erfolg. Sie zerstörten einen Theil der feindlichen Werke, ihre zahlreicheren
Reiter schwärmten auf weite Entfernung in die Umgegend hinaus und nahmen
den Russen ihre Zuführen aus den Depots von Imi Basar ab, und bald
zeigte sich's, daß die Belagerung sich in die Länge ziehen werde.

Von Tage zu Tage verschlimmerte sich die Lage der russischen Armee vor
Schumla. Sie lagerte auf einer schattenlosen Fläche bei einer Sommerhitze,
die sich Mittags in der Sonne bis zu 40 Grad Reaumur steigerte. Die Ent¬
behrungen in der erschöpften Gegend und die Anstrengungen beim Schanzen¬
ban und Vorpostendienst erschütterten den physischen, die Erfolglosigkeit des
langen Harrens und der üble Ausgang der kleinen Gefechte den moralischen
Zustand des Heeres. Dasselbe lebte nur vou Zwieback und Fleisch, und das
letztere war schlecht, da der weite Transport die mitgebrachten Ochsen ab-


leiten. Der fette Lehmboden macht die Wege bei Regen grundlos, und das
Hinabsteigen in die tiefen Thäler, über deren Gewässer nur bisweilen Brücken
führen, ist dann äußerst beschwerlich. Im Winter fällt der Schnee in solcher
Menge, daß die Straßen oft nicht zu erkennen sind. Im Spätsommer verdorrt
die Vegetation, und es stellt sich Wassermangel ein, sodaß man genöthigt ist,
sehr lange Märsche zu machen. Da endlich die meisten Gefechtsstellungen sich
am Rande von Thälern mit dem Wasserlauf vor der Front befinden, Wasser
aber ein dringendes Bedürfniß ist, so ist man, um die Truppen nicht übermäßig
zu ermüden, fast immer gezwungen, das Nachtlager am Wasser selbst vor der
eigentlichen Gefechtsstelluug einzunehmen.

Schumla, eine amphitheatralisch in einem Thalkessel erbaute, auf dein
Knotenpunkte der Hauptstraßen Ostbulgariens gelegene Stadt von 50,000 Ein¬
wohnern, ist rings von befestigten Höhen umgeben und weniger eine Festung
als ein verschanztes Lager. Seine von Thürmen und Bastionen vertheidigte
Ringmauer hat etwa eine Meile im Umfange. Es hatte damals eine Besatzung
von 45,000 Mann, die von dem Seraskicr Hussein Pascha befehligt waren,
welcher zwar kein besonderer Feldherr, aber ein Mann von großem persönlichem
Muthe war. Unter ihm commandirte der junge, muthige und talentvolle Chain
Pascha, der bei Basardjik ein russisches Jägerregiment mit seiner Reiterei in
die Flucht getrieben hatte, was von den Türken allgemein als gnie Vorbe¬
deutung betrachtet wurde.

Ein am 23. Juli geliefertes Vorpostengesecht bezeichnete die Ankunft der
Russen vor Schumla. Sie bemächtigten sich einiger Außenwerke, welche die
Türken auf den Höhen inne hatten, und zwei russische Divisionen besetzten die
Straße nach Konstantinopel und die nach Silistria, um der Armee Husseins
ihre wichtigsten Verbindungen abzuschneiden. Aber die Türken verloren den
Muth nicht. Täglich machten sie Ausfälle gegen die Russen und wiederholt
mit Erfolg. Sie zerstörten einen Theil der feindlichen Werke, ihre zahlreicheren
Reiter schwärmten auf weite Entfernung in die Umgegend hinaus und nahmen
den Russen ihre Zuführen aus den Depots von Imi Basar ab, und bald
zeigte sich's, daß die Belagerung sich in die Länge ziehen werde.

Von Tage zu Tage verschlimmerte sich die Lage der russischen Armee vor
Schumla. Sie lagerte auf einer schattenlosen Fläche bei einer Sommerhitze,
die sich Mittags in der Sonne bis zu 40 Grad Reaumur steigerte. Die Ent¬
behrungen in der erschöpften Gegend und die Anstrengungen beim Schanzen¬
ban und Vorpostendienst erschütterten den physischen, die Erfolglosigkeit des
langen Harrens und der üble Ausgang der kleinen Gefechte den moralischen
Zustand des Heeres. Dasselbe lebte nur vou Zwieback und Fleisch, und das
letztere war schlecht, da der weite Transport die mitgebrachten Ochsen ab-


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[0236] leiten. Der fette Lehmboden macht die Wege bei Regen grundlos, und das Hinabsteigen in die tiefen Thäler, über deren Gewässer nur bisweilen Brücken führen, ist dann äußerst beschwerlich. Im Winter fällt der Schnee in solcher Menge, daß die Straßen oft nicht zu erkennen sind. Im Spätsommer verdorrt die Vegetation, und es stellt sich Wassermangel ein, sodaß man genöthigt ist, sehr lange Märsche zu machen. Da endlich die meisten Gefechtsstellungen sich am Rande von Thälern mit dem Wasserlauf vor der Front befinden, Wasser aber ein dringendes Bedürfniß ist, so ist man, um die Truppen nicht übermäßig zu ermüden, fast immer gezwungen, das Nachtlager am Wasser selbst vor der eigentlichen Gefechtsstelluug einzunehmen. Schumla, eine amphitheatralisch in einem Thalkessel erbaute, auf dein Knotenpunkte der Hauptstraßen Ostbulgariens gelegene Stadt von 50,000 Ein¬ wohnern, ist rings von befestigten Höhen umgeben und weniger eine Festung als ein verschanztes Lager. Seine von Thürmen und Bastionen vertheidigte Ringmauer hat etwa eine Meile im Umfange. Es hatte damals eine Besatzung von 45,000 Mann, die von dem Seraskicr Hussein Pascha befehligt waren, welcher zwar kein besonderer Feldherr, aber ein Mann von großem persönlichem Muthe war. Unter ihm commandirte der junge, muthige und talentvolle Chain Pascha, der bei Basardjik ein russisches Jägerregiment mit seiner Reiterei in die Flucht getrieben hatte, was von den Türken allgemein als gnie Vorbe¬ deutung betrachtet wurde. Ein am 23. Juli geliefertes Vorpostengesecht bezeichnete die Ankunft der Russen vor Schumla. Sie bemächtigten sich einiger Außenwerke, welche die Türken auf den Höhen inne hatten, und zwei russische Divisionen besetzten die Straße nach Konstantinopel und die nach Silistria, um der Armee Husseins ihre wichtigsten Verbindungen abzuschneiden. Aber die Türken verloren den Muth nicht. Täglich machten sie Ausfälle gegen die Russen und wiederholt mit Erfolg. Sie zerstörten einen Theil der feindlichen Werke, ihre zahlreicheren Reiter schwärmten auf weite Entfernung in die Umgegend hinaus und nahmen den Russen ihre Zuführen aus den Depots von Imi Basar ab, und bald zeigte sich's, daß die Belagerung sich in die Länge ziehen werde. Von Tage zu Tage verschlimmerte sich die Lage der russischen Armee vor Schumla. Sie lagerte auf einer schattenlosen Fläche bei einer Sommerhitze, die sich Mittags in der Sonne bis zu 40 Grad Reaumur steigerte. Die Ent¬ behrungen in der erschöpften Gegend und die Anstrengungen beim Schanzen¬ ban und Vorpostendienst erschütterten den physischen, die Erfolglosigkeit des langen Harrens und der üble Ausgang der kleinen Gefechte den moralischen Zustand des Heeres. Dasselbe lebte nur vou Zwieback und Fleisch, und das letztere war schlecht, da der weite Transport die mitgebrachten Ochsen ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/236>, abgerufen am 23.07.2024.