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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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waren. Nach deren Eroberung sollten die russischen Truppen gegen den'Balkan
vordringen und die Hauptdefileeu des östlichen Theils dieser Bergkette
in Besitz nehmen, und war dies vor Ende der guten Jahreszeit gelungen, so
sollte Wittgenstein vom Gebirge in die Ebenen Thraciens hinabsteigen.

Das dritte Corps hatte zunächst in der Dobrudscha zu operiren, einem
Landstrich, der zwischen Silistria, Schumla, der Donau und dem Schwarzen
Meere liegt und größtenteils eine Einöde ist, welche auf der Quadratmeile
höchstens 300 Einwohner hat. In ihrem nördlichen Theile erheben sich die
schroffen Gebirge von Matschin, die zum Theil schönbewaldeten Besch Tepe
(Fünf Berge) und die Höhen von Baba Dagh. Weiter südlich dagegen bildet
das Land ein niedriges wellenförmiges Hügelterrain, welches nur einige hundert
Fuß über der Meeresfläche liegt. Der Boden besteht aus einer feinen grauen
Snndmasse mit Kalkunterlage, in welcher alle Niederschläge einsinken und ver¬
schwinden, so daß man hier vergebens nach Quellen und Bächen sucht. Das
spärliche Trinkwasser wird in den weit auseinander liegenden Dörfern mit
Bastseilen von 80 bis 100 Fuß Länge aus den wenigen Brunnen gezogen.
Ackerbau ist uuter diesen Umständen nicht viel zu finden, und man begegnet in
den Ortschaften der Gegend nur sehr geringen Vorräthen von Getreide
und Rauhfntter. Das Gras verdorrt schon zu Anfang des Sommers und
bildet denn unabsehbare Flächen mit hohen gelben Halmen, die wie Kornfelder
im Winde wogen. Kaum besser von der Natur bedacht ist der Theil der Bul¬
garei vom Trajauswnll bis uach Basardjik; auf einer Strecke von fünfund¬
zwanzig Meilen findet ein Heer hier durchaus keine Lebensmittel und fast
nirgends Wasser.

Wir begeben uns jetzt zuerst zum siebenten Corps der russischen Armee,
welches Jbrail zu nehmen bestimmt war. Man erfuhr hier sofort, daß der
Sieg über die Türken kein leichter sein werde, obwohl mau hoffen gekonnt,
dieselben würden nach den Unglücksfällen in Griechenland entmuthigt sein, und
obwohl die Pforte kurz zuvor die volksthümliche alte Miliz der Janitscharen
vernichtet hatte, um an ihre Stelle eine junge, von keinem Selbstvertrauen und
keinen glorreichen Erinnerungen getragne Truppe zu setzen. Die Belagerung
Jbrails zeigte, daß, wenn man auf die Zaghaftigkeit der Soldaten des Gro߬
herrn gebant hatte, man im Irrthum gewesen war. Am 15. Mai wurde die
Festung eingeschlossen, aber die eigentliche Belagerung machte sehr lang¬
same Fortschritte. Die Türken wehrten sich ebenso rührig als unerschrocken.
Rasch besserten sie die Schäden aus, welche die feindlichen Geschosse anrich¬
teten. Häufige Ausfälle unterbrachen die Arbeiten der Belagerer und tödteten
ehren viele Leute. Erst am 15. Juni war man so weit, daß ein Sturm ge¬
sagt werden konnte. Die Russen verrichteten dabei unter der persönlichen


Grenzboten I. 1877. 29

waren. Nach deren Eroberung sollten die russischen Truppen gegen den'Balkan
vordringen und die Hauptdefileeu des östlichen Theils dieser Bergkette
in Besitz nehmen, und war dies vor Ende der guten Jahreszeit gelungen, so
sollte Wittgenstein vom Gebirge in die Ebenen Thraciens hinabsteigen.

Das dritte Corps hatte zunächst in der Dobrudscha zu operiren, einem
Landstrich, der zwischen Silistria, Schumla, der Donau und dem Schwarzen
Meere liegt und größtenteils eine Einöde ist, welche auf der Quadratmeile
höchstens 300 Einwohner hat. In ihrem nördlichen Theile erheben sich die
schroffen Gebirge von Matschin, die zum Theil schönbewaldeten Besch Tepe
(Fünf Berge) und die Höhen von Baba Dagh. Weiter südlich dagegen bildet
das Land ein niedriges wellenförmiges Hügelterrain, welches nur einige hundert
Fuß über der Meeresfläche liegt. Der Boden besteht aus einer feinen grauen
Snndmasse mit Kalkunterlage, in welcher alle Niederschläge einsinken und ver¬
schwinden, so daß man hier vergebens nach Quellen und Bächen sucht. Das
spärliche Trinkwasser wird in den weit auseinander liegenden Dörfern mit
Bastseilen von 80 bis 100 Fuß Länge aus den wenigen Brunnen gezogen.
Ackerbau ist uuter diesen Umständen nicht viel zu finden, und man begegnet in
den Ortschaften der Gegend nur sehr geringen Vorräthen von Getreide
und Rauhfntter. Das Gras verdorrt schon zu Anfang des Sommers und
bildet denn unabsehbare Flächen mit hohen gelben Halmen, die wie Kornfelder
im Winde wogen. Kaum besser von der Natur bedacht ist der Theil der Bul¬
garei vom Trajauswnll bis uach Basardjik; auf einer Strecke von fünfund¬
zwanzig Meilen findet ein Heer hier durchaus keine Lebensmittel und fast
nirgends Wasser.

Wir begeben uns jetzt zuerst zum siebenten Corps der russischen Armee,
welches Jbrail zu nehmen bestimmt war. Man erfuhr hier sofort, daß der
Sieg über die Türken kein leichter sein werde, obwohl mau hoffen gekonnt,
dieselben würden nach den Unglücksfällen in Griechenland entmuthigt sein, und
obwohl die Pforte kurz zuvor die volksthümliche alte Miliz der Janitscharen
vernichtet hatte, um an ihre Stelle eine junge, von keinem Selbstvertrauen und
keinen glorreichen Erinnerungen getragne Truppe zu setzen. Die Belagerung
Jbrails zeigte, daß, wenn man auf die Zaghaftigkeit der Soldaten des Gro߬
herrn gebant hatte, man im Irrthum gewesen war. Am 15. Mai wurde die
Festung eingeschlossen, aber die eigentliche Belagerung machte sehr lang¬
same Fortschritte. Die Türken wehrten sich ebenso rührig als unerschrocken.
Rasch besserten sie die Schäden aus, welche die feindlichen Geschosse anrich¬
teten. Häufige Ausfälle unterbrachen die Arbeiten der Belagerer und tödteten
ehren viele Leute. Erst am 15. Juni war man so weit, daß ein Sturm ge¬
sagt werden konnte. Die Russen verrichteten dabei unter der persönlichen


Grenzboten I. 1877. 29
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/233>, abgerufen am 23.07.2024.