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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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einsinken. Die Städte tragen den Charakter der türkischen, sie sind meist eng
gebaut, die Gassen krumm, schmutzig und, wo sie am schmalsten sind, mit dünnen
Bretern überdeckt oder von Weinreben überrankt. Gereist wird nnr zu Pferde,
eine Fahrpost existirt nicht, ebenso wenig giebt es Gasthöfe im europäischen
Sinne. Oft kommt man auf der Strecke zwischen Risch an der serbischen Grenze
und Konstantinopel, welche der Courier in etwa fünf Tagen zurücklegt, bei
Dörfern mit eingefriedigten Obstgärten vorüber, welche außer guten Aepfeln
und Birnen auch die berühmten türkischen Pflaumen liefern, die wir meist von
Salonik beziehen.

Alle Reisende stimmen überein, daß man in'diesen Gegenden ungemein
wenig Ansprüche an das Leben macht, und daß man ans diesem Grunde und
weil die meisten Producte der traurigen Beschaffenheit der Verkehrsanstalten
wegen sich nicht nach auswärts verwerthen lassen, nicht nur der Menge, sondern
auch den Gattungen nach bei Weitem weniger als in Oesterreich und Deutsch¬
land baut, obwohl der Boden an vielen Stellen vortrefflich ist und das Klima
ebenfalls wenig zu wünschen übrig läßt. Von Wohlstand würde daher auch
dann auf dem Lande nicht die Rede sein können, wenn er nicht die ungeheuren
türkischen Steuern zu tragen hätte und nicht überdieß die Habsucht der tür¬
kischen Beamten zur Abzapfung anlockte. Wenn hier Jemand für reich gilt, so
bedeutet das höchstens, daß er tausend Stück Dukaten irgendwo vergraben hat.
Man scheint kaum hier und da so weit gelangt zu sein, daß man sein Geld
durch Ausleihen auf Zinsen oder durch sonstiges fruchtbringendes Anlegen pro-
duetiv zu machen versteht.

In den Handelsstädten an der Donau sowie in Adrianopel, Sofia, Philip¬
popel u. A. ist es allerdings schon ganz anders. Allein auch hier ist es, wenn
mehr finanzieller Verstand bemerkt wird, mehr das Vorhandensein einer für
den Geldverkehr besonders inclinirenden Race, der "Gaudi", wie man hier die
Juden nennt, als ein in dieser Beziehung größeres Aufgewecktsein der eigent¬
lichen Bevölkerung. Nur die Griechen machen hiervon eine Ausnahme. Ja
sie besitzen für alle das Güterleben betreffenden Dinge eine schärfere Auf¬
fassungsgabe, einen feineren Spürsinn und eine regere und vielseitigere Fähigkeit
zum Speculiren als die Kinder Israel, die infolge dessen neben ihnen nicht
aufkommen und gedeihen können und nur da gute Geschäfte machen, wo unter,
den Bulgaren und Arnauten entweder gar keine Griechen oder doch nur wenige
sich angesiedelt haben.




einsinken. Die Städte tragen den Charakter der türkischen, sie sind meist eng
gebaut, die Gassen krumm, schmutzig und, wo sie am schmalsten sind, mit dünnen
Bretern überdeckt oder von Weinreben überrankt. Gereist wird nnr zu Pferde,
eine Fahrpost existirt nicht, ebenso wenig giebt es Gasthöfe im europäischen
Sinne. Oft kommt man auf der Strecke zwischen Risch an der serbischen Grenze
und Konstantinopel, welche der Courier in etwa fünf Tagen zurücklegt, bei
Dörfern mit eingefriedigten Obstgärten vorüber, welche außer guten Aepfeln
und Birnen auch die berühmten türkischen Pflaumen liefern, die wir meist von
Salonik beziehen.

Alle Reisende stimmen überein, daß man in'diesen Gegenden ungemein
wenig Ansprüche an das Leben macht, und daß man ans diesem Grunde und
weil die meisten Producte der traurigen Beschaffenheit der Verkehrsanstalten
wegen sich nicht nach auswärts verwerthen lassen, nicht nur der Menge, sondern
auch den Gattungen nach bei Weitem weniger als in Oesterreich und Deutsch¬
land baut, obwohl der Boden an vielen Stellen vortrefflich ist und das Klima
ebenfalls wenig zu wünschen übrig läßt. Von Wohlstand würde daher auch
dann auf dem Lande nicht die Rede sein können, wenn er nicht die ungeheuren
türkischen Steuern zu tragen hätte und nicht überdieß die Habsucht der tür¬
kischen Beamten zur Abzapfung anlockte. Wenn hier Jemand für reich gilt, so
bedeutet das höchstens, daß er tausend Stück Dukaten irgendwo vergraben hat.
Man scheint kaum hier und da so weit gelangt zu sein, daß man sein Geld
durch Ausleihen auf Zinsen oder durch sonstiges fruchtbringendes Anlegen pro-
duetiv zu machen versteht.

In den Handelsstädten an der Donau sowie in Adrianopel, Sofia, Philip¬
popel u. A. ist es allerdings schon ganz anders. Allein auch hier ist es, wenn
mehr finanzieller Verstand bemerkt wird, mehr das Vorhandensein einer für
den Geldverkehr besonders inclinirenden Race, der „Gaudi", wie man hier die
Juden nennt, als ein in dieser Beziehung größeres Aufgewecktsein der eigent¬
lichen Bevölkerung. Nur die Griechen machen hiervon eine Ausnahme. Ja
sie besitzen für alle das Güterleben betreffenden Dinge eine schärfere Auf¬
fassungsgabe, einen feineren Spürsinn und eine regere und vielseitigere Fähigkeit
zum Speculiren als die Kinder Israel, die infolge dessen neben ihnen nicht
aufkommen und gedeihen können und nur da gute Geschäfte machen, wo unter,
den Bulgaren und Arnauten entweder gar keine Griechen oder doch nur wenige
sich angesiedelt haben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/206>, abgerufen am 23.07.2024.