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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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die Rede; denn alle irgend einflußreichen Aemter waren und blieben mit Mus¬
limen oder Griechen aus der Fanariotenelique besetzt. Aber im Stillen wurde
nach Kräften für die Erziehung des Volkes zu einer bessern Zukunft gearbeitet,
und dieses Bemühen blieb nicht ohne Erfolg. Viele Stumpfe wurden lebendig,
Entmuthigte faßten von Neuem Hoffnung, und kaum merklich für den Fern¬
stehenden, aber um so deutlicher für den Eingeweihten erhob sich die Saat der
Volksbildner aus dem Boden.

An mehreren Orten fand man jetzt die Willkür der griechischen Bischöfe
unerträglich. Man entfernte die griechischen Bücher und setzte bulgarische an
ihre Stelle, man erhob die Volkssprache, die von der besseren Klasse bis dahin
als nicht vornehm genug gegen die griechische zurückgesetzt worden war, wieder
allenthalben zur Umgangssprache, man trat, aus einer bloßen Race sich immer
mehr zur Nation entwickelnd, endlich auch gegen die Bischöfe auf. Deputationen
gingen an die Regierung nach Stcunbul ab, um zu bitten, daß man den Ge¬
meinden in Zukunft nur geborne Bulgaren als Leiter ihrer kirchlichen Ange¬
legenheiten sende. Es gab unter den Eingebornen Männer genug, die hierzu
genügende Befähigung besaßen. Man hoffte, diese Bitte werde bei den in
Konstantinopel residirenden Gesandten der christlichen Mächte Unterstützung
finden. Diese Hoffnung aber wurde bitter getäuscht, das durch Bildung er¬
worbene Recht nicht anerkannt. Die Pforte verweigerte auch das kleinste Zu¬
geständnis; in der Angelegenheit und erklärte kurz, daß es beim Alten zu ver¬
bleiben habe.

Bald erfuhren die Führer der Bulgaren, was der Abweisung zu Grunde
gelegen hatte. Die den erwähnten Deputationen ertheilte Antwort war von
einer Macht eingegeben, auf deren guten Willen man am meisten gebaut hatte.
In Rom und Paris glaubte man Grund zu haben, sich über den Zwiespalt
zwischen Volk und Kirche in Bulgarien zu freuen. Dauerte er fort, steigerte
er sich -- so rechnete man im Vatican -- zum Bruche, dann war Hoffnung,
daß das Land sich für den Papst und die römische Kirche gewinnen ließ, wie
einst die Maroniten des Libanon. Wurde das Volk in Bulgarien -- so lautete das
Ergebniß des Studiums der bulgarischen Frage in den Tuilerien -- katholisch,
dann gewann Frankreich die Sympathien desselben doppelt: einmal als Gönner
der unterdrückten Nationalitäten, sodann als oberste und thätigste Schutzmacht
aller Römisch-Katholischen in der Levante. Man hatte indeß die Rechnung
ohne den Wirth gemacht. Nur wenige Bulgaren ließen sich durch die Emissäre,
die für den Plan werbend in Konstantinopel und in mehreren Landbezirken um¬
herzogen, gewinnen, aber auch diese nur deshalb, weil sie dadurch zu Schütz¬
lingen des Gesandten und der Consulate Frankreichs zu werden hofften. Die
große Mehrzahl des Volkes wies, dem angestammten Glauben treu, alle An-


die Rede; denn alle irgend einflußreichen Aemter waren und blieben mit Mus¬
limen oder Griechen aus der Fanariotenelique besetzt. Aber im Stillen wurde
nach Kräften für die Erziehung des Volkes zu einer bessern Zukunft gearbeitet,
und dieses Bemühen blieb nicht ohne Erfolg. Viele Stumpfe wurden lebendig,
Entmuthigte faßten von Neuem Hoffnung, und kaum merklich für den Fern¬
stehenden, aber um so deutlicher für den Eingeweihten erhob sich die Saat der
Volksbildner aus dem Boden.

An mehreren Orten fand man jetzt die Willkür der griechischen Bischöfe
unerträglich. Man entfernte die griechischen Bücher und setzte bulgarische an
ihre Stelle, man erhob die Volkssprache, die von der besseren Klasse bis dahin
als nicht vornehm genug gegen die griechische zurückgesetzt worden war, wieder
allenthalben zur Umgangssprache, man trat, aus einer bloßen Race sich immer
mehr zur Nation entwickelnd, endlich auch gegen die Bischöfe auf. Deputationen
gingen an die Regierung nach Stcunbul ab, um zu bitten, daß man den Ge¬
meinden in Zukunft nur geborne Bulgaren als Leiter ihrer kirchlichen Ange¬
legenheiten sende. Es gab unter den Eingebornen Männer genug, die hierzu
genügende Befähigung besaßen. Man hoffte, diese Bitte werde bei den in
Konstantinopel residirenden Gesandten der christlichen Mächte Unterstützung
finden. Diese Hoffnung aber wurde bitter getäuscht, das durch Bildung er¬
worbene Recht nicht anerkannt. Die Pforte verweigerte auch das kleinste Zu¬
geständnis; in der Angelegenheit und erklärte kurz, daß es beim Alten zu ver¬
bleiben habe.

Bald erfuhren die Führer der Bulgaren, was der Abweisung zu Grunde
gelegen hatte. Die den erwähnten Deputationen ertheilte Antwort war von
einer Macht eingegeben, auf deren guten Willen man am meisten gebaut hatte.
In Rom und Paris glaubte man Grund zu haben, sich über den Zwiespalt
zwischen Volk und Kirche in Bulgarien zu freuen. Dauerte er fort, steigerte
er sich — so rechnete man im Vatican — zum Bruche, dann war Hoffnung,
daß das Land sich für den Papst und die römische Kirche gewinnen ließ, wie
einst die Maroniten des Libanon. Wurde das Volk in Bulgarien — so lautete das
Ergebniß des Studiums der bulgarischen Frage in den Tuilerien — katholisch,
dann gewann Frankreich die Sympathien desselben doppelt: einmal als Gönner
der unterdrückten Nationalitäten, sodann als oberste und thätigste Schutzmacht
aller Römisch-Katholischen in der Levante. Man hatte indeß die Rechnung
ohne den Wirth gemacht. Nur wenige Bulgaren ließen sich durch die Emissäre,
die für den Plan werbend in Konstantinopel und in mehreren Landbezirken um¬
herzogen, gewinnen, aber auch diese nur deshalb, weil sie dadurch zu Schütz¬
lingen des Gesandten und der Consulate Frankreichs zu werden hofften. Die
große Mehrzahl des Volkes wies, dem angestammten Glauben treu, alle An-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/202>, abgerufen am 23.07.2024.