Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Einen großen Theil der Schuld trugen, wenn die Bulgaren ihr schweres
Joch nicht abzuschütteln vermochten, die Griechen von Konstantinopel, das
Patriarchat und die Bischöfe, die sich seit Jahrhunderten von den Türken gegen
gute Pfründen gebrauchen ließen, alle nationalen Regungen und jedes Aufstreben
zur Bildung und Gesittung unter den Bulgaren im Keime zu ersticken. Vom
Fanar kam wie den Rumänen so auch den Bulgaren mindestens ebenso viel
Unheil als von den Türken, und so erklärt sich's, wenn das Volk und namentlich
die, welche in den letzten zwanzig Jahren an einer patriotischen Erhebung
arbeiten, gegen diese vornehmen griechischen Glaubensbrüder einen nicht weniger
brennenden Haß hegen, als gegen die Bedrücker im Turban. "Die Fauarioten",
so sagte uns vor einigen Jahren ein in Deutschland studirender Bulgar, "wollen
wissen, daß der Name Feuer (türkisch: Laterne) eine Leuchte bedeute, die
Türken dagegen behaupten, daß er von Fenajer (Bordell) abzuleiten sei, und
in Anbetracht des nichtswürdigen feilen Charakters eines großen Theils der
Einwohner des so benannten Stadtviertels von Konstantinopel darf man letztere
Ansicht für die richtigere halten."

Der Patriarch von Konstantinopel, dem die Bulgaren als dem Oberhaupte
der morgenländischen orthodoxen Kirche untergeben waren, sandte ihnen als
Bischöfe nur geborne Griechen, die weder die Sprache noch die Sitten des
Volkes kannten, dem sie hätten Lehrer und Tröster sein sollen, und die zum
großen Theil nicht einmal in ihrer eignen Sprache Bildung genossen hatten.
Diese hohen Geistlichen waren bis vor wenigen Jahrzehnten fast ohne Aus¬
nahme rohe Gesellen, nur in Ränken und Schlichen wohl erfahren, ohne Herz
für die ihrer Fürsorge Empfohlenen, ohne ein wesentlich anderes Interesse als
das ihres unersättlichen Geldbeutels, den sie mit den niedrigsten Mitteln und
oft mit noch größerer Rücksichtslosigkeit als die türkischen Blutsauger auf Kosten
des Volkes zu füllen bemüht waren. Von Schulen war unter ihrem Regiment
lange Zeit kaum die Rede gewesen; ja sie hatten geflissentlich und eifrig jede
bemerkbar werdende Regung nach dem Erwerb von Kenntnissen zu ersticken
versucht. Vor Allein aber bestrebten sie sich, die Reste einer bulgarischen
Nationalität und alles, was ein Wiederaufleben derselben hoffen -- in ihrem
Sinne fürchten -- ließ, alles, was an die einstige Macht und Bedeutung des
Bulgarenvolkes erinnerte, zu vernichten und das Land zu gräcistren, wobei sie
sich Einsprüchen gegenüber darauf beriefen, daß gewisse Städte des Landes,
Adrianopel, Philippopel und Nikopel z. B., griechische Namen haben, und daß
ein Bruchtheil der Bevölkerung Bulgariens aus Hellenen besteht. Sie arbeiteten
damit ganz zum Vortheile des Sultaus, dem die höhere griechische Geistlichkeit
in der Türkei mit Ausnahme einer kurzen Periode immer ergeben war, und
dem Bildung und Selbstgefühl der Bulgaren in diesen ebenso gefährliche Feinde


Einen großen Theil der Schuld trugen, wenn die Bulgaren ihr schweres
Joch nicht abzuschütteln vermochten, die Griechen von Konstantinopel, das
Patriarchat und die Bischöfe, die sich seit Jahrhunderten von den Türken gegen
gute Pfründen gebrauchen ließen, alle nationalen Regungen und jedes Aufstreben
zur Bildung und Gesittung unter den Bulgaren im Keime zu ersticken. Vom
Fanar kam wie den Rumänen so auch den Bulgaren mindestens ebenso viel
Unheil als von den Türken, und so erklärt sich's, wenn das Volk und namentlich
die, welche in den letzten zwanzig Jahren an einer patriotischen Erhebung
arbeiten, gegen diese vornehmen griechischen Glaubensbrüder einen nicht weniger
brennenden Haß hegen, als gegen die Bedrücker im Turban. „Die Fauarioten",
so sagte uns vor einigen Jahren ein in Deutschland studirender Bulgar, „wollen
wissen, daß der Name Feuer (türkisch: Laterne) eine Leuchte bedeute, die
Türken dagegen behaupten, daß er von Fenajer (Bordell) abzuleiten sei, und
in Anbetracht des nichtswürdigen feilen Charakters eines großen Theils der
Einwohner des so benannten Stadtviertels von Konstantinopel darf man letztere
Ansicht für die richtigere halten."

Der Patriarch von Konstantinopel, dem die Bulgaren als dem Oberhaupte
der morgenländischen orthodoxen Kirche untergeben waren, sandte ihnen als
Bischöfe nur geborne Griechen, die weder die Sprache noch die Sitten des
Volkes kannten, dem sie hätten Lehrer und Tröster sein sollen, und die zum
großen Theil nicht einmal in ihrer eignen Sprache Bildung genossen hatten.
Diese hohen Geistlichen waren bis vor wenigen Jahrzehnten fast ohne Aus¬
nahme rohe Gesellen, nur in Ränken und Schlichen wohl erfahren, ohne Herz
für die ihrer Fürsorge Empfohlenen, ohne ein wesentlich anderes Interesse als
das ihres unersättlichen Geldbeutels, den sie mit den niedrigsten Mitteln und
oft mit noch größerer Rücksichtslosigkeit als die türkischen Blutsauger auf Kosten
des Volkes zu füllen bemüht waren. Von Schulen war unter ihrem Regiment
lange Zeit kaum die Rede gewesen; ja sie hatten geflissentlich und eifrig jede
bemerkbar werdende Regung nach dem Erwerb von Kenntnissen zu ersticken
versucht. Vor Allein aber bestrebten sie sich, die Reste einer bulgarischen
Nationalität und alles, was ein Wiederaufleben derselben hoffen — in ihrem
Sinne fürchten — ließ, alles, was an die einstige Macht und Bedeutung des
Bulgarenvolkes erinnerte, zu vernichten und das Land zu gräcistren, wobei sie
sich Einsprüchen gegenüber darauf beriefen, daß gewisse Städte des Landes,
Adrianopel, Philippopel und Nikopel z. B., griechische Namen haben, und daß
ein Bruchtheil der Bevölkerung Bulgariens aus Hellenen besteht. Sie arbeiteten
damit ganz zum Vortheile des Sultaus, dem die höhere griechische Geistlichkeit
in der Türkei mit Ausnahme einer kurzen Periode immer ergeben war, und
dem Bildung und Selbstgefühl der Bulgaren in diesen ebenso gefährliche Feinde


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0200" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137373"/>
          <p xml:id="ID_678"> Einen großen Theil der Schuld trugen, wenn die Bulgaren ihr schweres<lb/>
Joch nicht abzuschütteln vermochten, die Griechen von Konstantinopel, das<lb/>
Patriarchat und die Bischöfe, die sich seit Jahrhunderten von den Türken gegen<lb/>
gute Pfründen gebrauchen ließen, alle nationalen Regungen und jedes Aufstreben<lb/>
zur Bildung und Gesittung unter den Bulgaren im Keime zu ersticken. Vom<lb/>
Fanar kam wie den Rumänen so auch den Bulgaren mindestens ebenso viel<lb/>
Unheil als von den Türken, und so erklärt sich's, wenn das Volk und namentlich<lb/>
die, welche in den letzten zwanzig Jahren an einer patriotischen Erhebung<lb/>
arbeiten, gegen diese vornehmen griechischen Glaubensbrüder einen nicht weniger<lb/>
brennenden Haß hegen, als gegen die Bedrücker im Turban. &#x201E;Die Fauarioten",<lb/>
so sagte uns vor einigen Jahren ein in Deutschland studirender Bulgar, &#x201E;wollen<lb/>
wissen, daß der Name Feuer (türkisch: Laterne) eine Leuchte bedeute, die<lb/>
Türken dagegen behaupten, daß er von Fenajer (Bordell) abzuleiten sei, und<lb/>
in Anbetracht des nichtswürdigen feilen Charakters eines großen Theils der<lb/>
Einwohner des so benannten Stadtviertels von Konstantinopel darf man letztere<lb/>
Ansicht für die richtigere halten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_679" next="#ID_680"> Der Patriarch von Konstantinopel, dem die Bulgaren als dem Oberhaupte<lb/>
der morgenländischen orthodoxen Kirche untergeben waren, sandte ihnen als<lb/>
Bischöfe nur geborne Griechen, die weder die Sprache noch die Sitten des<lb/>
Volkes kannten, dem sie hätten Lehrer und Tröster sein sollen, und die zum<lb/>
großen Theil nicht einmal in ihrer eignen Sprache Bildung genossen hatten.<lb/>
Diese hohen Geistlichen waren bis vor wenigen Jahrzehnten fast ohne Aus¬<lb/>
nahme rohe Gesellen, nur in Ränken und Schlichen wohl erfahren, ohne Herz<lb/>
für die ihrer Fürsorge Empfohlenen, ohne ein wesentlich anderes Interesse als<lb/>
das ihres unersättlichen Geldbeutels, den sie mit den niedrigsten Mitteln und<lb/>
oft mit noch größerer Rücksichtslosigkeit als die türkischen Blutsauger auf Kosten<lb/>
des Volkes zu füllen bemüht waren. Von Schulen war unter ihrem Regiment<lb/>
lange Zeit kaum die Rede gewesen; ja sie hatten geflissentlich und eifrig jede<lb/>
bemerkbar werdende Regung nach dem Erwerb von Kenntnissen zu ersticken<lb/>
versucht. Vor Allein aber bestrebten sie sich, die Reste einer bulgarischen<lb/>
Nationalität und alles, was ein Wiederaufleben derselben hoffen &#x2014; in ihrem<lb/>
Sinne fürchten &#x2014; ließ, alles, was an die einstige Macht und Bedeutung des<lb/>
Bulgarenvolkes erinnerte, zu vernichten und das Land zu gräcistren, wobei sie<lb/>
sich Einsprüchen gegenüber darauf beriefen, daß gewisse Städte des Landes,<lb/>
Adrianopel, Philippopel und Nikopel z. B., griechische Namen haben, und daß<lb/>
ein Bruchtheil der Bevölkerung Bulgariens aus Hellenen besteht. Sie arbeiteten<lb/>
damit ganz zum Vortheile des Sultaus, dem die höhere griechische Geistlichkeit<lb/>
in der Türkei mit Ausnahme einer kurzen Periode immer ergeben war, und<lb/>
dem Bildung und Selbstgefühl der Bulgaren in diesen ebenso gefährliche Feinde</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0200] Einen großen Theil der Schuld trugen, wenn die Bulgaren ihr schweres Joch nicht abzuschütteln vermochten, die Griechen von Konstantinopel, das Patriarchat und die Bischöfe, die sich seit Jahrhunderten von den Türken gegen gute Pfründen gebrauchen ließen, alle nationalen Regungen und jedes Aufstreben zur Bildung und Gesittung unter den Bulgaren im Keime zu ersticken. Vom Fanar kam wie den Rumänen so auch den Bulgaren mindestens ebenso viel Unheil als von den Türken, und so erklärt sich's, wenn das Volk und namentlich die, welche in den letzten zwanzig Jahren an einer patriotischen Erhebung arbeiten, gegen diese vornehmen griechischen Glaubensbrüder einen nicht weniger brennenden Haß hegen, als gegen die Bedrücker im Turban. „Die Fauarioten", so sagte uns vor einigen Jahren ein in Deutschland studirender Bulgar, „wollen wissen, daß der Name Feuer (türkisch: Laterne) eine Leuchte bedeute, die Türken dagegen behaupten, daß er von Fenajer (Bordell) abzuleiten sei, und in Anbetracht des nichtswürdigen feilen Charakters eines großen Theils der Einwohner des so benannten Stadtviertels von Konstantinopel darf man letztere Ansicht für die richtigere halten." Der Patriarch von Konstantinopel, dem die Bulgaren als dem Oberhaupte der morgenländischen orthodoxen Kirche untergeben waren, sandte ihnen als Bischöfe nur geborne Griechen, die weder die Sprache noch die Sitten des Volkes kannten, dem sie hätten Lehrer und Tröster sein sollen, und die zum großen Theil nicht einmal in ihrer eignen Sprache Bildung genossen hatten. Diese hohen Geistlichen waren bis vor wenigen Jahrzehnten fast ohne Aus¬ nahme rohe Gesellen, nur in Ränken und Schlichen wohl erfahren, ohne Herz für die ihrer Fürsorge Empfohlenen, ohne ein wesentlich anderes Interesse als das ihres unersättlichen Geldbeutels, den sie mit den niedrigsten Mitteln und oft mit noch größerer Rücksichtslosigkeit als die türkischen Blutsauger auf Kosten des Volkes zu füllen bemüht waren. Von Schulen war unter ihrem Regiment lange Zeit kaum die Rede gewesen; ja sie hatten geflissentlich und eifrig jede bemerkbar werdende Regung nach dem Erwerb von Kenntnissen zu ersticken versucht. Vor Allein aber bestrebten sie sich, die Reste einer bulgarischen Nationalität und alles, was ein Wiederaufleben derselben hoffen — in ihrem Sinne fürchten — ließ, alles, was an die einstige Macht und Bedeutung des Bulgarenvolkes erinnerte, zu vernichten und das Land zu gräcistren, wobei sie sich Einsprüchen gegenüber darauf beriefen, daß gewisse Städte des Landes, Adrianopel, Philippopel und Nikopel z. B., griechische Namen haben, und daß ein Bruchtheil der Bevölkerung Bulgariens aus Hellenen besteht. Sie arbeiteten damit ganz zum Vortheile des Sultaus, dem die höhere griechische Geistlichkeit in der Türkei mit Ausnahme einer kurzen Periode immer ergeben war, und dem Bildung und Selbstgefühl der Bulgaren in diesen ebenso gefährliche Feinde

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/200
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/200>, abgerufen am 23.07.2024.