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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Jahrhunderte lang waren die Bulgaren die ruhigsten und geduldigsten
Unterthanen der Pforte, obwohl sie hart bedrückt und von den Paschas und
Wesiren und nicht minder von ihrer aus Grieche" bestehenden höheren Geist¬
lichkeit arg gemißhandelt und ausgesogen wurden. Der Druck und die Ausbeutung
blieben sich immer gleich, und so kam die Mehrzahl zu dem Glauben, daß es
nicht anders sein könne, und ertrug, was nicht zu ändern war. Gelegentlich
erhob sich wohl hier und da eine zu arg gequälte und ausgepreßte Gegend
gegen die Paschas oder Bischöfe, ihre Gebieter und Dränger, aber bald wurde
der Aufstand erstickt, und blutend verstummte das Volk, um seine Last weiter
zu tragen. Doch lebten in alten Sagen und Liedern Reste von besseren Tagen
fort und mit ihnen der Haß gegen die Unterdrücker, bis endlich im Laufe der
letzten vierzig Jahre in weiten Kreisen das scheinbar erstorbene Nationalbe¬
wußtsein allmählich wieder auflebte und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt kräftiger
sich kundgab.

Der Befreiungskampf der Serben unter dem schwarzen Georg machte ans
Bulgarien nur geringen Eindruck. Erst später, als Milosch in Serbien regierte,
stellten Einzelne Betrachtungen an, mit denen sie zu dem Schlüsse kamen,
daß es ihnen schlechter als billig gehe, und daß es besser wäre, wenn mau es
auch so machte wie die Serben. Die große Masse aber meinte, es sei klüger,
das bekannte Uebel zu tragen, als ein unbekanntes Gute zu suchen und dabei
möglicherweise sich ein noch größeres Uebel auf den Hals zu ziehen. Intelli¬
gente Leute sahen, woran es zunächst fehlte: sie begannen Schulen zu grün¬
den, dieselben fanden Schüler, und mehr und mehr verbreitete sich einige Bild¬
ung über das Land.

Als die Russen 1828 in Bulgarien einrückten, war hier ein gewisses po¬
litisches Interesse wenigstens in so weit rege geworden, daß das Volk ins¬
geheim gegen die Türken Partei nahm und viele Bulgaren sich erboten, als
Freiwillige mit Diebitschs Armee gegen dieselben zu fechten. Man wies sie
zurück, und ebenso wenig wurde auf den Plan eingegangen, im Rücken des
osmanischen Heeres einen Aufstand hervorzurufen.

So blieb Alles ruhig bis zu der serbischen Bewegung zu Ende der
dreißiger Jahre, wo eine eigenthümliche Gährung durch das Land ging, von
der die Türken nichts bemerkten, und über die man auch in Belgrad nicht ins
Klare kam. Sie legte sich indeß wieder, bis die Scheinreformen Abd ni Med-
fchids statt Erleichterung der Raja nur stärkeren Druck im Gefolge hatten.
Da kam es 1850 seit langer Zeit zum ersten Male wieder zu Gewaltschritten.
Die bisher so friedliche,: Bulgaren der Nahm von Widdin griffen zu den
Waffen, und man befürchtete eine allgemeine Erhebung des bulgarischen Volkes,
die um so bedenklicher werden konnte, als die muhamedanischen Bosnier da-


Jahrhunderte lang waren die Bulgaren die ruhigsten und geduldigsten
Unterthanen der Pforte, obwohl sie hart bedrückt und von den Paschas und
Wesiren und nicht minder von ihrer aus Grieche» bestehenden höheren Geist¬
lichkeit arg gemißhandelt und ausgesogen wurden. Der Druck und die Ausbeutung
blieben sich immer gleich, und so kam die Mehrzahl zu dem Glauben, daß es
nicht anders sein könne, und ertrug, was nicht zu ändern war. Gelegentlich
erhob sich wohl hier und da eine zu arg gequälte und ausgepreßte Gegend
gegen die Paschas oder Bischöfe, ihre Gebieter und Dränger, aber bald wurde
der Aufstand erstickt, und blutend verstummte das Volk, um seine Last weiter
zu tragen. Doch lebten in alten Sagen und Liedern Reste von besseren Tagen
fort und mit ihnen der Haß gegen die Unterdrücker, bis endlich im Laufe der
letzten vierzig Jahre in weiten Kreisen das scheinbar erstorbene Nationalbe¬
wußtsein allmählich wieder auflebte und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt kräftiger
sich kundgab.

Der Befreiungskampf der Serben unter dem schwarzen Georg machte ans
Bulgarien nur geringen Eindruck. Erst später, als Milosch in Serbien regierte,
stellten Einzelne Betrachtungen an, mit denen sie zu dem Schlüsse kamen,
daß es ihnen schlechter als billig gehe, und daß es besser wäre, wenn mau es
auch so machte wie die Serben. Die große Masse aber meinte, es sei klüger,
das bekannte Uebel zu tragen, als ein unbekanntes Gute zu suchen und dabei
möglicherweise sich ein noch größeres Uebel auf den Hals zu ziehen. Intelli¬
gente Leute sahen, woran es zunächst fehlte: sie begannen Schulen zu grün¬
den, dieselben fanden Schüler, und mehr und mehr verbreitete sich einige Bild¬
ung über das Land.

Als die Russen 1828 in Bulgarien einrückten, war hier ein gewisses po¬
litisches Interesse wenigstens in so weit rege geworden, daß das Volk ins¬
geheim gegen die Türken Partei nahm und viele Bulgaren sich erboten, als
Freiwillige mit Diebitschs Armee gegen dieselben zu fechten. Man wies sie
zurück, und ebenso wenig wurde auf den Plan eingegangen, im Rücken des
osmanischen Heeres einen Aufstand hervorzurufen.

So blieb Alles ruhig bis zu der serbischen Bewegung zu Ende der
dreißiger Jahre, wo eine eigenthümliche Gährung durch das Land ging, von
der die Türken nichts bemerkten, und über die man auch in Belgrad nicht ins
Klare kam. Sie legte sich indeß wieder, bis die Scheinreformen Abd ni Med-
fchids statt Erleichterung der Raja nur stärkeren Druck im Gefolge hatten.
Da kam es 1850 seit langer Zeit zum ersten Male wieder zu Gewaltschritten.
Die bisher so friedliche,: Bulgaren der Nahm von Widdin griffen zu den
Waffen, und man befürchtete eine allgemeine Erhebung des bulgarischen Volkes,
die um so bedenklicher werden konnte, als die muhamedanischen Bosnier da-


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[0198] Jahrhunderte lang waren die Bulgaren die ruhigsten und geduldigsten Unterthanen der Pforte, obwohl sie hart bedrückt und von den Paschas und Wesiren und nicht minder von ihrer aus Grieche» bestehenden höheren Geist¬ lichkeit arg gemißhandelt und ausgesogen wurden. Der Druck und die Ausbeutung blieben sich immer gleich, und so kam die Mehrzahl zu dem Glauben, daß es nicht anders sein könne, und ertrug, was nicht zu ändern war. Gelegentlich erhob sich wohl hier und da eine zu arg gequälte und ausgepreßte Gegend gegen die Paschas oder Bischöfe, ihre Gebieter und Dränger, aber bald wurde der Aufstand erstickt, und blutend verstummte das Volk, um seine Last weiter zu tragen. Doch lebten in alten Sagen und Liedern Reste von besseren Tagen fort und mit ihnen der Haß gegen die Unterdrücker, bis endlich im Laufe der letzten vierzig Jahre in weiten Kreisen das scheinbar erstorbene Nationalbe¬ wußtsein allmählich wieder auflebte und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt kräftiger sich kundgab. Der Befreiungskampf der Serben unter dem schwarzen Georg machte ans Bulgarien nur geringen Eindruck. Erst später, als Milosch in Serbien regierte, stellten Einzelne Betrachtungen an, mit denen sie zu dem Schlüsse kamen, daß es ihnen schlechter als billig gehe, und daß es besser wäre, wenn mau es auch so machte wie die Serben. Die große Masse aber meinte, es sei klüger, das bekannte Uebel zu tragen, als ein unbekanntes Gute zu suchen und dabei möglicherweise sich ein noch größeres Uebel auf den Hals zu ziehen. Intelli¬ gente Leute sahen, woran es zunächst fehlte: sie begannen Schulen zu grün¬ den, dieselben fanden Schüler, und mehr und mehr verbreitete sich einige Bild¬ ung über das Land. Als die Russen 1828 in Bulgarien einrückten, war hier ein gewisses po¬ litisches Interesse wenigstens in so weit rege geworden, daß das Volk ins¬ geheim gegen die Türken Partei nahm und viele Bulgaren sich erboten, als Freiwillige mit Diebitschs Armee gegen dieselben zu fechten. Man wies sie zurück, und ebenso wenig wurde auf den Plan eingegangen, im Rücken des osmanischen Heeres einen Aufstand hervorzurufen. So blieb Alles ruhig bis zu der serbischen Bewegung zu Ende der dreißiger Jahre, wo eine eigenthümliche Gährung durch das Land ging, von der die Türken nichts bemerkten, und über die man auch in Belgrad nicht ins Klare kam. Sie legte sich indeß wieder, bis die Scheinreformen Abd ni Med- fchids statt Erleichterung der Raja nur stärkeren Druck im Gefolge hatten. Da kam es 1850 seit langer Zeit zum ersten Male wieder zu Gewaltschritten. Die bisher so friedliche,: Bulgaren der Nahm von Widdin griffen zu den Waffen, und man befürchtete eine allgemeine Erhebung des bulgarischen Volkes, die um so bedenklicher werden konnte, als die muhamedanischen Bosnier da-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/198>, abgerufen am 23.07.2024.