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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Türken, Griechen, in Siebenbürgen, der Walachei, der Dobrntscha und Bessarabien.
Im letztgenannten wohnt sie in starken Massen an den drei großen Seen östlich
von der Mündung des Pruth in die Donau, und die 1856 beim pariser
Friedensschlüsse oft genannte hübsche Stadt Bolgrad gehört zu ihren Nieder¬
lassungen. In der Dobrntscha nehmen sie einen bedeutenden Theil der öst¬
lichen Hülste, weiter im Süden das Küstenland zwischeu Jrlendschik und Kalije
Koi ein, und noch weiter unten begegnet man bulgarischen Niederlassungen bei
Varna und am oberen Kamtschik. Auch zur Bevölkerung der Hauptstadt
des osmanischen Reiches haben die Bulgaren ein nicht unbedeutendes Contingent
gestellt.

Nach Lejeans Beobachtungen sind die Bulgaren selten dunkelhaarig, von
mittelgroßem, kräftigem Wuchse, offnem und verständigen Gesichtsausdrucke, die
Frauen klein und auf dem Lande meist nicht schön. Quin dagegen will schöne
Bulgarinnen mit dunkeln Haaren und Augen gesehen haben. Was ihr son¬
stiges Volksthum betrifft, so wird ihnen Fleiß und Ehrlichkeit nachgerühmt.
Der großen Mehrzahl nach sind sie Ackerbauer, doch giebt es auch viele Hand¬
werker und Kaufleute unter ihnen, desgleichen geschickte Gärtner, die vortreff¬
liche Aepfel und Birnen auf die Märkte bringen. Dein Glauben nach gehören
sie mit geringen Ausnahmen der morgenländischen orthodoxen Kirche an. In
Siebenbürgen wohnen einige Tausend römisch-katholische, in der Türkei muha-
medanische Bulgaren (Pomaken). Ihre Gesammtzahl wird von den Einen auf
vier, von Andern auf sechs Millionen angegeben.

Die Bulgaren gehörten in der Zeit, wo sie ein eignes Reich und eine
eigne Geschichte hatten, zu den angesehensten und mächtigsten Völkern der
illyrischen Halbinsel. Ihr Czar Simeon machte sich im zehnten Jahrhundert
durch seine Siege nicht nur die meisten kleinen Nachbarvölkerschaften zins¬
pflichtig, sondern drang dreimal mit Heeresmacht bis Konstantinopel vor, sah
hier den Nachfolger der Cäsaren zu seinen Füßen und dictirte ihm unter den
Mauern seiner eignen Hauptstadt demüthigende Friedensbedingungen. Die
späteren Beherrscher der Bulgaren vermochten diese Höhe der Macht nicht zu
behaupten. Allerdings war Byzanz nicht im Stande, gegen sie mit den Waffen
in die Schranken zu treten, aber was sein Schwert nicht erzwang, erheblich
seine Politik. Man verstand es, die Bulgaren in Kriege mit Russen, Serben,
Walachen und Magyaren zu verwickeln, man säete Zwietracht im Innern, und
so geschah es, daß das geschwächte Reich, als unter der Regierung Czar Sus-
mans die Türken über Gallipoli gegen dasselbe anstürmten, nach kurzem tapfern
Widerstande erlag und das Volk 1392 seine Unabhängigkeit mit dem Joche
der Knechtschaft vertauschte, das es noch heute trägt.


Türken, Griechen, in Siebenbürgen, der Walachei, der Dobrntscha und Bessarabien.
Im letztgenannten wohnt sie in starken Massen an den drei großen Seen östlich
von der Mündung des Pruth in die Donau, und die 1856 beim pariser
Friedensschlüsse oft genannte hübsche Stadt Bolgrad gehört zu ihren Nieder¬
lassungen. In der Dobrntscha nehmen sie einen bedeutenden Theil der öst¬
lichen Hülste, weiter im Süden das Küstenland zwischeu Jrlendschik und Kalije
Koi ein, und noch weiter unten begegnet man bulgarischen Niederlassungen bei
Varna und am oberen Kamtschik. Auch zur Bevölkerung der Hauptstadt
des osmanischen Reiches haben die Bulgaren ein nicht unbedeutendes Contingent
gestellt.

Nach Lejeans Beobachtungen sind die Bulgaren selten dunkelhaarig, von
mittelgroßem, kräftigem Wuchse, offnem und verständigen Gesichtsausdrucke, die
Frauen klein und auf dem Lande meist nicht schön. Quin dagegen will schöne
Bulgarinnen mit dunkeln Haaren und Augen gesehen haben. Was ihr son¬
stiges Volksthum betrifft, so wird ihnen Fleiß und Ehrlichkeit nachgerühmt.
Der großen Mehrzahl nach sind sie Ackerbauer, doch giebt es auch viele Hand¬
werker und Kaufleute unter ihnen, desgleichen geschickte Gärtner, die vortreff¬
liche Aepfel und Birnen auf die Märkte bringen. Dein Glauben nach gehören
sie mit geringen Ausnahmen der morgenländischen orthodoxen Kirche an. In
Siebenbürgen wohnen einige Tausend römisch-katholische, in der Türkei muha-
medanische Bulgaren (Pomaken). Ihre Gesammtzahl wird von den Einen auf
vier, von Andern auf sechs Millionen angegeben.

Die Bulgaren gehörten in der Zeit, wo sie ein eignes Reich und eine
eigne Geschichte hatten, zu den angesehensten und mächtigsten Völkern der
illyrischen Halbinsel. Ihr Czar Simeon machte sich im zehnten Jahrhundert
durch seine Siege nicht nur die meisten kleinen Nachbarvölkerschaften zins¬
pflichtig, sondern drang dreimal mit Heeresmacht bis Konstantinopel vor, sah
hier den Nachfolger der Cäsaren zu seinen Füßen und dictirte ihm unter den
Mauern seiner eignen Hauptstadt demüthigende Friedensbedingungen. Die
späteren Beherrscher der Bulgaren vermochten diese Höhe der Macht nicht zu
behaupten. Allerdings war Byzanz nicht im Stande, gegen sie mit den Waffen
in die Schranken zu treten, aber was sein Schwert nicht erzwang, erheblich
seine Politik. Man verstand es, die Bulgaren in Kriege mit Russen, Serben,
Walachen und Magyaren zu verwickeln, man säete Zwietracht im Innern, und
so geschah es, daß das geschwächte Reich, als unter der Regierung Czar Sus-
mans die Türken über Gallipoli gegen dasselbe anstürmten, nach kurzem tapfern
Widerstande erlag und das Volk 1392 seine Unabhängigkeit mit dem Joche
der Knechtschaft vertauschte, das es noch heute trägt.


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[0197] Türken, Griechen, in Siebenbürgen, der Walachei, der Dobrntscha und Bessarabien. Im letztgenannten wohnt sie in starken Massen an den drei großen Seen östlich von der Mündung des Pruth in die Donau, und die 1856 beim pariser Friedensschlüsse oft genannte hübsche Stadt Bolgrad gehört zu ihren Nieder¬ lassungen. In der Dobrntscha nehmen sie einen bedeutenden Theil der öst¬ lichen Hülste, weiter im Süden das Küstenland zwischeu Jrlendschik und Kalije Koi ein, und noch weiter unten begegnet man bulgarischen Niederlassungen bei Varna und am oberen Kamtschik. Auch zur Bevölkerung der Hauptstadt des osmanischen Reiches haben die Bulgaren ein nicht unbedeutendes Contingent gestellt. Nach Lejeans Beobachtungen sind die Bulgaren selten dunkelhaarig, von mittelgroßem, kräftigem Wuchse, offnem und verständigen Gesichtsausdrucke, die Frauen klein und auf dem Lande meist nicht schön. Quin dagegen will schöne Bulgarinnen mit dunkeln Haaren und Augen gesehen haben. Was ihr son¬ stiges Volksthum betrifft, so wird ihnen Fleiß und Ehrlichkeit nachgerühmt. Der großen Mehrzahl nach sind sie Ackerbauer, doch giebt es auch viele Hand¬ werker und Kaufleute unter ihnen, desgleichen geschickte Gärtner, die vortreff¬ liche Aepfel und Birnen auf die Märkte bringen. Dein Glauben nach gehören sie mit geringen Ausnahmen der morgenländischen orthodoxen Kirche an. In Siebenbürgen wohnen einige Tausend römisch-katholische, in der Türkei muha- medanische Bulgaren (Pomaken). Ihre Gesammtzahl wird von den Einen auf vier, von Andern auf sechs Millionen angegeben. Die Bulgaren gehörten in der Zeit, wo sie ein eignes Reich und eine eigne Geschichte hatten, zu den angesehensten und mächtigsten Völkern der illyrischen Halbinsel. Ihr Czar Simeon machte sich im zehnten Jahrhundert durch seine Siege nicht nur die meisten kleinen Nachbarvölkerschaften zins¬ pflichtig, sondern drang dreimal mit Heeresmacht bis Konstantinopel vor, sah hier den Nachfolger der Cäsaren zu seinen Füßen und dictirte ihm unter den Mauern seiner eignen Hauptstadt demüthigende Friedensbedingungen. Die späteren Beherrscher der Bulgaren vermochten diese Höhe der Macht nicht zu behaupten. Allerdings war Byzanz nicht im Stande, gegen sie mit den Waffen in die Schranken zu treten, aber was sein Schwert nicht erzwang, erheblich seine Politik. Man verstand es, die Bulgaren in Kriege mit Russen, Serben, Walachen und Magyaren zu verwickeln, man säete Zwietracht im Innern, und so geschah es, daß das geschwächte Reich, als unter der Regierung Czar Sus- mans die Türken über Gallipoli gegen dasselbe anstürmten, nach kurzem tapfern Widerstande erlag und das Volk 1392 seine Unabhängigkeit mit dem Joche der Knechtschaft vertauschte, das es noch heute trägt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/197>, abgerufen am 23.07.2024.