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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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von etwas Anschaulichem über die tropische Vegetation und ihre physiogno-
mische Gestaltung enthält. Nur die Arome und nützlichen Handelsproducte
werden bezeichnet. Die Zauberinsel bietet freilich das reizendste Gemälde
einer Landschaft dar; aber die Pflanzendecke ist gebildet, wie einellua, äeVenus
es erfordert, "von Myrthen, dem Citrusbaume, duftenden Limonen und Gra¬
naten, alle dem Klima des südlichen Europa angeeignet. Bei dem größten der
damaligen Seefahrer, Christoph Columbus, finden wir mehr Freude an den
Küstenwäldern, mehr Aufmerksamkeit auf die Formen des Gewächsreiches; aber
Columbus schreibt ein Reisejournal und verzeichnet in diesem die lebendigen
Eindrücke jedes Tages, während das Epos des Camoens die Großthaten der
Portugiesen verherrlicht. Pflanzennamen den Sprachen der Eingebornen zu
entlehnen und sie in die Beschreibung einer Landschaft einzuflechten, in der, wie
vor einem Hintergrund, die Handelnden sich bewegen, konnte den an harmonische
Klänge gewöhnten Dichter wenig reizen."

Wir meinen, daß dieser Mangel sich besser dadurch erklärt, daß der
Dichter seinen Landsleuten verständlicher blieb, wenn er vom Malen tropischer
Pflanzen und der Nennung ihrer Namen in einem Wirrwarr von bloßen
Klängen absah, bei denen man sich nichts denken konnte. Jedenfalls hat er
die Eigenthümlichkeit der Tropenwelt durch zwei Dinge genügend, ja vortrefflich
gekennzeichnet, durch die Schilderung des Lichts, das Helios dort in Fluthen
verschwenderisch ausgießt, und des Würzgeruchs, der von den sonnedurchkochten
Pflanzen ausduftet.

Nach alledem ist, wie Rosenkranz mit vollem Rechte hervorhebt, die eigent¬
liche Handlung und Hauptsache in den Lusiaden nicht so sehr in den Kämpfen
der Portugiesen und Inder zu suchen, als in dem Kampfe jener mit dem Oeean
und dessen ungeheurer Wucht und Gewalt, die uns vorzüglich durch den Riesen
Adamastor versinnbildet wird, wie die Vermählung Vasco de Gamas mit
Thetis ein Symbol der Seeherrschaft der Portugiesen ist.

Die Wirklichkeit freilich gestaltete sich nicht nach dieser Prophezeiung unseres
Dichters, und dessen Werk wurde durch die Geschichte gewissermaßen in ein
Trauerspiel verwandelt. Der völlige Untergang der kühnen Nation an den
Gestaden Lusitaniens, ein Untergang, von dem sie sich nie wieder zu der alten
Kraft und Herrlichkeit erhob, schloß sich unmittelbar an die kurze Epoche ihrer
höchsten Licht- und Machteufaltung an, als deren strahlenden Wiederschein wir
jenes Nationalgedicht zu betrachten haben. Die Lusiaden sind das Triumphlied
der portugiesischen Heroenzeit, zugleich aber ihr Schwanengesang.




von etwas Anschaulichem über die tropische Vegetation und ihre physiogno-
mische Gestaltung enthält. Nur die Arome und nützlichen Handelsproducte
werden bezeichnet. Die Zauberinsel bietet freilich das reizendste Gemälde
einer Landschaft dar; aber die Pflanzendecke ist gebildet, wie einellua, äeVenus
es erfordert, „von Myrthen, dem Citrusbaume, duftenden Limonen und Gra¬
naten, alle dem Klima des südlichen Europa angeeignet. Bei dem größten der
damaligen Seefahrer, Christoph Columbus, finden wir mehr Freude an den
Küstenwäldern, mehr Aufmerksamkeit auf die Formen des Gewächsreiches; aber
Columbus schreibt ein Reisejournal und verzeichnet in diesem die lebendigen
Eindrücke jedes Tages, während das Epos des Camoens die Großthaten der
Portugiesen verherrlicht. Pflanzennamen den Sprachen der Eingebornen zu
entlehnen und sie in die Beschreibung einer Landschaft einzuflechten, in der, wie
vor einem Hintergrund, die Handelnden sich bewegen, konnte den an harmonische
Klänge gewöhnten Dichter wenig reizen."

Wir meinen, daß dieser Mangel sich besser dadurch erklärt, daß der
Dichter seinen Landsleuten verständlicher blieb, wenn er vom Malen tropischer
Pflanzen und der Nennung ihrer Namen in einem Wirrwarr von bloßen
Klängen absah, bei denen man sich nichts denken konnte. Jedenfalls hat er
die Eigenthümlichkeit der Tropenwelt durch zwei Dinge genügend, ja vortrefflich
gekennzeichnet, durch die Schilderung des Lichts, das Helios dort in Fluthen
verschwenderisch ausgießt, und des Würzgeruchs, der von den sonnedurchkochten
Pflanzen ausduftet.

Nach alledem ist, wie Rosenkranz mit vollem Rechte hervorhebt, die eigent¬
liche Handlung und Hauptsache in den Lusiaden nicht so sehr in den Kämpfen
der Portugiesen und Inder zu suchen, als in dem Kampfe jener mit dem Oeean
und dessen ungeheurer Wucht und Gewalt, die uns vorzüglich durch den Riesen
Adamastor versinnbildet wird, wie die Vermählung Vasco de Gamas mit
Thetis ein Symbol der Seeherrschaft der Portugiesen ist.

Die Wirklichkeit freilich gestaltete sich nicht nach dieser Prophezeiung unseres
Dichters, und dessen Werk wurde durch die Geschichte gewissermaßen in ein
Trauerspiel verwandelt. Der völlige Untergang der kühnen Nation an den
Gestaden Lusitaniens, ein Untergang, von dem sie sich nie wieder zu der alten
Kraft und Herrlichkeit erhob, schloß sich unmittelbar an die kurze Epoche ihrer
höchsten Licht- und Machteufaltung an, als deren strahlenden Wiederschein wir
jenes Nationalgedicht zu betrachten haben. Die Lusiaden sind das Triumphlied
der portugiesischen Heroenzeit, zugleich aber ihr Schwanengesang.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/189>, abgerufen am 23.07.2024.