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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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wird geschildert, desgleichen das Liebeleben zwischen den Nymphen und den
kühnen Seefahrern. Vasco de Gama vermählt sich mit Thetis.

Der zehnte und letzte Gesang ist vorwiegend eine politische Weissagung
der glorreichen Thaten, die nach dem König Manoel von den Portugiesen voll¬
bracht wurden und zum Theil in die Zeit des Camoens, selbst fallen. Während
eines köstlichen Mahles, das Venus veranstaltet, singt eine Nymphe prophetisch
diese Thaten der Nachfolger Vascos ans dem von ihm erschlossenen Wege nach
dem fernen Indien. Die Heldenkümpfe Pachecos, des lnsitanischen Achilles,
des Menezes, des Masearenhas, des Heitor da Silveira und vieler Anderen
werden hier gefeiert. Dann führt Thetis den Vasco auf einen hohen Berg,
wo sie ihm vermittelst eines wunderbaren Globus die Einrichtung des Welt¬
systems und der Erde zeigt. Endlich entläßt die Göttin die Seefahrer zur
Heimreise, welche dann in kurzen Worten geschildert wird.

Hier bricht der Dichter unmuthig ab: "Nicht weiter mehr, o Muse; denn
die Leier ist mir verstimmt, und rauh ist mein Gesang; vom Singen nicht, nein,
sondern weil ich seh, daß ich's vor tauben, hartem Volke thue. Die Gunst,
wodurch der Geist sich mehr entzündet, auf sie giebt nichts das Vaterland;
versunken ist es in Geizeswollust, in die Starrheit verdumpfter, düstrer, niedrer
Traurigkeit." Darauf schließt der Dichter mit einer ernsten Mahnung an den
König, als wüßte er jetzt am Ende des Epos, daß der zu Anfang desselben
in einer glühenden Apostrophe gefeierte junge Fürst keiner Hoffnung entspreche-

Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die Behandlung dieser Stoffe im
Einzelnen, so erinnert uns außer dem mythologischen Beiwerk auch sonst noch
Mancherlei an Virgil, der damals allgemein das Vorbild für epische Dichtungen
war. Aber im Ganzen unterscheiden sich die Lusiaden durch einen wesentlichen
Zug von allen andern Epen, und dieser Zug ist die außerordentlich naturwahre
und kraftvolle Schilderung der See und des Lebens auf ihr. Davor tritt auch
die patriotische Tendenz, das Streben, den portugiesischen Ruhm zu besingen,
in den Hintergrund. Wir begegnen allerdings auch bei andern Dichtern, in
der Odyssee, im Epos von Gudrun, Schilderungen des Meeres, aber die Macht
und Gewalt des großen Oceans draußen vor den Säulen des Herkules und
drunten tief in den Tropen tritt uns zuerst bei Camoens entgegen und zwar
in nie wieder von einem Epiker erreichter und noch weniger je übertroffener
Großartigkeit. Es sei gestattet, das Urtheil Humboldts über diese Haupt¬
eigenthümlichkeit der Lusiaden anzuführen. Er sagt im zweiten Bande des
..Kosmos" S. 58.

"Jene individuelle Naturwahrheit, die aus eigner Anschauung entspringt,
glänzt im reichsten Maß in dem großen Nationalepos der portugiesischen Lite¬
ratur. Es weht wie ein indischer Blüthenduft durch das ganze unter dem


wird geschildert, desgleichen das Liebeleben zwischen den Nymphen und den
kühnen Seefahrern. Vasco de Gama vermählt sich mit Thetis.

Der zehnte und letzte Gesang ist vorwiegend eine politische Weissagung
der glorreichen Thaten, die nach dem König Manoel von den Portugiesen voll¬
bracht wurden und zum Theil in die Zeit des Camoens, selbst fallen. Während
eines köstlichen Mahles, das Venus veranstaltet, singt eine Nymphe prophetisch
diese Thaten der Nachfolger Vascos ans dem von ihm erschlossenen Wege nach
dem fernen Indien. Die Heldenkümpfe Pachecos, des lnsitanischen Achilles,
des Menezes, des Masearenhas, des Heitor da Silveira und vieler Anderen
werden hier gefeiert. Dann führt Thetis den Vasco auf einen hohen Berg,
wo sie ihm vermittelst eines wunderbaren Globus die Einrichtung des Welt¬
systems und der Erde zeigt. Endlich entläßt die Göttin die Seefahrer zur
Heimreise, welche dann in kurzen Worten geschildert wird.

Hier bricht der Dichter unmuthig ab: „Nicht weiter mehr, o Muse; denn
die Leier ist mir verstimmt, und rauh ist mein Gesang; vom Singen nicht, nein,
sondern weil ich seh, daß ich's vor tauben, hartem Volke thue. Die Gunst,
wodurch der Geist sich mehr entzündet, auf sie giebt nichts das Vaterland;
versunken ist es in Geizeswollust, in die Starrheit verdumpfter, düstrer, niedrer
Traurigkeit." Darauf schließt der Dichter mit einer ernsten Mahnung an den
König, als wüßte er jetzt am Ende des Epos, daß der zu Anfang desselben
in einer glühenden Apostrophe gefeierte junge Fürst keiner Hoffnung entspreche-

Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die Behandlung dieser Stoffe im
Einzelnen, so erinnert uns außer dem mythologischen Beiwerk auch sonst noch
Mancherlei an Virgil, der damals allgemein das Vorbild für epische Dichtungen
war. Aber im Ganzen unterscheiden sich die Lusiaden durch einen wesentlichen
Zug von allen andern Epen, und dieser Zug ist die außerordentlich naturwahre
und kraftvolle Schilderung der See und des Lebens auf ihr. Davor tritt auch
die patriotische Tendenz, das Streben, den portugiesischen Ruhm zu besingen,
in den Hintergrund. Wir begegnen allerdings auch bei andern Dichtern, in
der Odyssee, im Epos von Gudrun, Schilderungen des Meeres, aber die Macht
und Gewalt des großen Oceans draußen vor den Säulen des Herkules und
drunten tief in den Tropen tritt uns zuerst bei Camoens entgegen und zwar
in nie wieder von einem Epiker erreichter und noch weniger je übertroffener
Großartigkeit. Es sei gestattet, das Urtheil Humboldts über diese Haupt¬
eigenthümlichkeit der Lusiaden anzuführen. Er sagt im zweiten Bande des
..Kosmos" S. 58.

„Jene individuelle Naturwahrheit, die aus eigner Anschauung entspringt,
glänzt im reichsten Maß in dem großen Nationalepos der portugiesischen Lite¬
ratur. Es weht wie ein indischer Blüthenduft durch das ganze unter dem


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[0187] wird geschildert, desgleichen das Liebeleben zwischen den Nymphen und den kühnen Seefahrern. Vasco de Gama vermählt sich mit Thetis. Der zehnte und letzte Gesang ist vorwiegend eine politische Weissagung der glorreichen Thaten, die nach dem König Manoel von den Portugiesen voll¬ bracht wurden und zum Theil in die Zeit des Camoens, selbst fallen. Während eines köstlichen Mahles, das Venus veranstaltet, singt eine Nymphe prophetisch diese Thaten der Nachfolger Vascos ans dem von ihm erschlossenen Wege nach dem fernen Indien. Die Heldenkümpfe Pachecos, des lnsitanischen Achilles, des Menezes, des Masearenhas, des Heitor da Silveira und vieler Anderen werden hier gefeiert. Dann führt Thetis den Vasco auf einen hohen Berg, wo sie ihm vermittelst eines wunderbaren Globus die Einrichtung des Welt¬ systems und der Erde zeigt. Endlich entläßt die Göttin die Seefahrer zur Heimreise, welche dann in kurzen Worten geschildert wird. Hier bricht der Dichter unmuthig ab: „Nicht weiter mehr, o Muse; denn die Leier ist mir verstimmt, und rauh ist mein Gesang; vom Singen nicht, nein, sondern weil ich seh, daß ich's vor tauben, hartem Volke thue. Die Gunst, wodurch der Geist sich mehr entzündet, auf sie giebt nichts das Vaterland; versunken ist es in Geizeswollust, in die Starrheit verdumpfter, düstrer, niedrer Traurigkeit." Darauf schließt der Dichter mit einer ernsten Mahnung an den König, als wüßte er jetzt am Ende des Epos, daß der zu Anfang desselben in einer glühenden Apostrophe gefeierte junge Fürst keiner Hoffnung entspreche- Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die Behandlung dieser Stoffe im Einzelnen, so erinnert uns außer dem mythologischen Beiwerk auch sonst noch Mancherlei an Virgil, der damals allgemein das Vorbild für epische Dichtungen war. Aber im Ganzen unterscheiden sich die Lusiaden durch einen wesentlichen Zug von allen andern Epen, und dieser Zug ist die außerordentlich naturwahre und kraftvolle Schilderung der See und des Lebens auf ihr. Davor tritt auch die patriotische Tendenz, das Streben, den portugiesischen Ruhm zu besingen, in den Hintergrund. Wir begegnen allerdings auch bei andern Dichtern, in der Odyssee, im Epos von Gudrun, Schilderungen des Meeres, aber die Macht und Gewalt des großen Oceans draußen vor den Säulen des Herkules und drunten tief in den Tropen tritt uns zuerst bei Camoens entgegen und zwar in nie wieder von einem Epiker erreichter und noch weniger je übertroffener Großartigkeit. Es sei gestattet, das Urtheil Humboldts über diese Haupt¬ eigenthümlichkeit der Lusiaden anzuführen. Er sagt im zweiten Bande des ..Kosmos" S. 58. „Jene individuelle Naturwahrheit, die aus eigner Anschauung entspringt, glänzt im reichsten Maß in dem großen Nationalepos der portugiesischen Lite¬ ratur. Es weht wie ein indischer Blüthenduft durch das ganze unter dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/187>, abgerufen am 23.07.2024.