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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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das" (die Festbauten Leipzigs u. s. w. zu Ehren des Kaisers) "ist doch nur ein
großer Affront, den Sie uns gemacht haben!" Falls das Vorkommniß ge¬
leugnet werden sollte, wird der Beweis erbracht werden. Wenn solche Worte
im Foyer des Leipziger Stadttheaters während der Kaiserfestvorstellung von
einem der höchstgestellten "Deutsch-conservativen" gesprochen werden, so ist nicht zu
verwundern, daß untergeordnetere Mitglieder dieser ungewöhnlich "reichstreuen"
Partei offen die wahre Meinung ihres Herzens dahin kundgeben: "Lieber einen
Soeialdemvkrciten, als einen Nationalliberalen!"

Der Sächsischen Regierung drängen unseres Erachtens die Januarwahleu
dieselbe Lehre auf, die ihr schon die 1874er Wahlen boten: daß die einzige
große Partei im Lande, ans welche die Regierung bei einem wirklich ernsten
Ankämpfen gegen die Socialdemokratie sich stützen und erhebliche Erfolge er¬
zielen kann, die nationalliberale ist. Daß die deutsch-conservative Partei diese
Stütze in keiner Weise gewährt, ist nun hinlänglich dargethan. Es mag zugegeben
werden: die Erfolge der Socialdemokratie bei den Wahlen find nicht so glänzend,
wie sie durch die Zahlenmassen aussehen. Fest behauptet hat die Partei bis
jetzt nur sechs von den Sächsischen Reichstagssitzen. Diese Erfolge hat sie er¬
rungen durch das Aufbieten ihrer letzten Reserven. Keine einzige Stimme mehr
hat die Socialdemokratie bei den Stichwahlen aus ihren eigenen Reihen auf¬
zubringen; während die übrigen Parteien theilweise noch über erhebliche Re¬
serven verfügen, weil am Wahltag an manchen Orten mit erschrecklicher Lauheit
gewählt wurde. Aber wenn die Socialdemokratie selbst bei allen Stichwahlen ge¬
schlagen würde: ein bedeutendes Wachsthum ihrer Anhänger, selbst bis in die
Residenz und in stockeouservative ländliche Wahlkreise hinein, beweisen diese
Wahlen doch. Und wir sind überzeugt, daß niemand die drohenden Gefahren, welche
diese Thatsache in sich schließt, weniger verkennt, als die Sächsische Regierung.

Das nächste Mittel, diese Gefahren abzuwenden, ist die entschiedenste Un¬
terstützung des nationalliberalen, des reichstreuen Candidaten bei allen Stichwahlen,
in denen dieser einem Socialdemokraten gegenübersteht, dnrch alle reichstreuen
Parteien und Männer und die Aufbietung des ganzen erlaubten Regierungsein¬
flusses in demselben Sinne. Wir hoffen zuversichtlich, auch die Fortschrittspartei wird
sich dieser Einsicht nicht verschließen und damit ihren "Führer" Francke desa-
vvuiren, welcher da meinte, seine Partei stehe in politischer Hinsicht auf dem
Boden der Socialdemokratie. Die weiteren Mittel zur Bekämpfung der Social¬
demokratie in Sachsen bestehen unseres Erachtens in der kräftigeren
Entfaltung der Strenge der Gesetze gegen ihre Wühlereien, Verleumdungen
u .s. w. und in einer besseren Belehrung der Massen durch die reichstreueu Par¬
Hans Blum. teien. Doch darüber ein ander Mal mehr.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Ha"S Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. -- Druck von Hüthcl <ü: Herrmann in Leipzig.

das" (die Festbauten Leipzigs u. s. w. zu Ehren des Kaisers) „ist doch nur ein
großer Affront, den Sie uns gemacht haben!" Falls das Vorkommniß ge¬
leugnet werden sollte, wird der Beweis erbracht werden. Wenn solche Worte
im Foyer des Leipziger Stadttheaters während der Kaiserfestvorstellung von
einem der höchstgestellten „Deutsch-conservativen" gesprochen werden, so ist nicht zu
verwundern, daß untergeordnetere Mitglieder dieser ungewöhnlich „reichstreuen"
Partei offen die wahre Meinung ihres Herzens dahin kundgeben: „Lieber einen
Soeialdemvkrciten, als einen Nationalliberalen!"

Der Sächsischen Regierung drängen unseres Erachtens die Januarwahleu
dieselbe Lehre auf, die ihr schon die 1874er Wahlen boten: daß die einzige
große Partei im Lande, ans welche die Regierung bei einem wirklich ernsten
Ankämpfen gegen die Socialdemokratie sich stützen und erhebliche Erfolge er¬
zielen kann, die nationalliberale ist. Daß die deutsch-conservative Partei diese
Stütze in keiner Weise gewährt, ist nun hinlänglich dargethan. Es mag zugegeben
werden: die Erfolge der Socialdemokratie bei den Wahlen find nicht so glänzend,
wie sie durch die Zahlenmassen aussehen. Fest behauptet hat die Partei bis
jetzt nur sechs von den Sächsischen Reichstagssitzen. Diese Erfolge hat sie er¬
rungen durch das Aufbieten ihrer letzten Reserven. Keine einzige Stimme mehr
hat die Socialdemokratie bei den Stichwahlen aus ihren eigenen Reihen auf¬
zubringen; während die übrigen Parteien theilweise noch über erhebliche Re¬
serven verfügen, weil am Wahltag an manchen Orten mit erschrecklicher Lauheit
gewählt wurde. Aber wenn die Socialdemokratie selbst bei allen Stichwahlen ge¬
schlagen würde: ein bedeutendes Wachsthum ihrer Anhänger, selbst bis in die
Residenz und in stockeouservative ländliche Wahlkreise hinein, beweisen diese
Wahlen doch. Und wir sind überzeugt, daß niemand die drohenden Gefahren, welche
diese Thatsache in sich schließt, weniger verkennt, als die Sächsische Regierung.

Das nächste Mittel, diese Gefahren abzuwenden, ist die entschiedenste Un¬
terstützung des nationalliberalen, des reichstreuen Candidaten bei allen Stichwahlen,
in denen dieser einem Socialdemokraten gegenübersteht, dnrch alle reichstreuen
Parteien und Männer und die Aufbietung des ganzen erlaubten Regierungsein¬
flusses in demselben Sinne. Wir hoffen zuversichtlich, auch die Fortschrittspartei wird
sich dieser Einsicht nicht verschließen und damit ihren „Führer" Francke desa-
vvuiren, welcher da meinte, seine Partei stehe in politischer Hinsicht auf dem
Boden der Socialdemokratie. Die weiteren Mittel zur Bekämpfung der Social¬
demokratie in Sachsen bestehen unseres Erachtens in der kräftigeren
Entfaltung der Strenge der Gesetze gegen ihre Wühlereien, Verleumdungen
u .s. w. und in einer besseren Belehrung der Massen durch die reichstreueu Par¬
Hans Blum. teien. Doch darüber ein ander Mal mehr.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Ha«S Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hüthcl <ü: Herrmann in Leipzig.
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[0168] das" (die Festbauten Leipzigs u. s. w. zu Ehren des Kaisers) „ist doch nur ein großer Affront, den Sie uns gemacht haben!" Falls das Vorkommniß ge¬ leugnet werden sollte, wird der Beweis erbracht werden. Wenn solche Worte im Foyer des Leipziger Stadttheaters während der Kaiserfestvorstellung von einem der höchstgestellten „Deutsch-conservativen" gesprochen werden, so ist nicht zu verwundern, daß untergeordnetere Mitglieder dieser ungewöhnlich „reichstreuen" Partei offen die wahre Meinung ihres Herzens dahin kundgeben: „Lieber einen Soeialdemvkrciten, als einen Nationalliberalen!" Der Sächsischen Regierung drängen unseres Erachtens die Januarwahleu dieselbe Lehre auf, die ihr schon die 1874er Wahlen boten: daß die einzige große Partei im Lande, ans welche die Regierung bei einem wirklich ernsten Ankämpfen gegen die Socialdemokratie sich stützen und erhebliche Erfolge er¬ zielen kann, die nationalliberale ist. Daß die deutsch-conservative Partei diese Stütze in keiner Weise gewährt, ist nun hinlänglich dargethan. Es mag zugegeben werden: die Erfolge der Socialdemokratie bei den Wahlen find nicht so glänzend, wie sie durch die Zahlenmassen aussehen. Fest behauptet hat die Partei bis jetzt nur sechs von den Sächsischen Reichstagssitzen. Diese Erfolge hat sie er¬ rungen durch das Aufbieten ihrer letzten Reserven. Keine einzige Stimme mehr hat die Socialdemokratie bei den Stichwahlen aus ihren eigenen Reihen auf¬ zubringen; während die übrigen Parteien theilweise noch über erhebliche Re¬ serven verfügen, weil am Wahltag an manchen Orten mit erschrecklicher Lauheit gewählt wurde. Aber wenn die Socialdemokratie selbst bei allen Stichwahlen ge¬ schlagen würde: ein bedeutendes Wachsthum ihrer Anhänger, selbst bis in die Residenz und in stockeouservative ländliche Wahlkreise hinein, beweisen diese Wahlen doch. Und wir sind überzeugt, daß niemand die drohenden Gefahren, welche diese Thatsache in sich schließt, weniger verkennt, als die Sächsische Regierung. Das nächste Mittel, diese Gefahren abzuwenden, ist die entschiedenste Un¬ terstützung des nationalliberalen, des reichstreuen Candidaten bei allen Stichwahlen, in denen dieser einem Socialdemokraten gegenübersteht, dnrch alle reichstreuen Parteien und Männer und die Aufbietung des ganzen erlaubten Regierungsein¬ flusses in demselben Sinne. Wir hoffen zuversichtlich, auch die Fortschrittspartei wird sich dieser Einsicht nicht verschließen und damit ihren „Führer" Francke desa- vvuiren, welcher da meinte, seine Partei stehe in politischer Hinsicht auf dem Boden der Socialdemokratie. Die weiteren Mittel zur Bekämpfung der Social¬ demokratie in Sachsen bestehen unseres Erachtens in der kräftigeren Entfaltung der Strenge der Gesetze gegen ihre Wühlereien, Verleumdungen u .s. w. und in einer besseren Belehrung der Massen durch die reichstreueu Par¬ Hans Blum. teien. Doch darüber ein ander Mal mehr. Verantwortlicher Redacteur: Dr. Ha«S Blum in Leipzig. Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hüthcl <ü: Herrmann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/168>, abgerufen am 23.07.2024.