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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Reichen die Cherr und Visire, die Anführer der Truppen, die höchsten Beamten
der Verwaltung, wenn von einer solchen hier überhaupt die Rede sein kann, und sind
so die Stützen der despotische" Autokraten, die mehr oder weniger ihrem Ein¬
flüsse unterworfen sind, Zum Theil sind es reine Nomaden, zum Theil siud
sie ganz-, zum Theil halbangesessen. Ihre Lebensweise ist die eines Steppen-
Barbaren. Der Usbek hält es unter seiner Würde, irgend eine häusliche
Arbeit zu verrichten. Dazu hat er die vollständig zu Sclaven herabgewürdigten
Frauen. Ans diesem Grundzuge seines Charakeers erklärt sich auch sein Haß
gegen die Tadjiki -- die Hauptvertreter der arischen Race in dem Hochlande
Turans --, welche, bei einem regen Hange zum Erwerben, durch ihren größeren
Reichthum leicht das Uebergewicht über die Usbeken gewinnen. Letztere belegen
die Tadjikis mit dem Namen Ssarten, was gleichbedeutend mit Spitzbube, ein
Synonymon für dieses Volk geworden ist. Der Usbeke ist ein fanatischer Maho-
medaner, der Tadjiki steht dein Islam ziemlich indifferent gegenüber. Unter¬
würfiger, gefügiger als die Usbeken, geben die Tadjikis oder Ssarten den über
die Länder herrschenden Autokraten gute Werkzeuge für die oberen Verwaltnngs-
posten ab. Sie wissen hier stets die Vortheile derselben bei Eintreibung der
Abgaben wahr zu nehmen, ohne dabei ihren eignen Gewinn etwa außer Augen
zu lassen. Wie groß aber dieser sein mag, geht daraus hervor, daß sie jene
Stellen oft sehr theuer erkaufen. Ihre Lebensweise ist überall dieselbe: sie
leben als Ackerbauer, Händler, Handwerker, Schreiber, Mullas, in den
Städten und Ortschaften. In Buchara haben die Tadjikis entschieden das
Uebergewicht über die anderen Nationalitäten. -- Die Turkmenen spielen
eine sehr wichtige Rolle in dem Chanat Chiwa; weniger ist dies in Buchara
und Kvkau der Fall. Der türkischen Race angehörend, zerfallen sie in eine
Menge Stämme und führen ein reines Nomadenleben. Die Viehzucht giebt
ihnen die Existenzmittel, aber sie leben nicht bloß von dieser allein: sie sind
anch als die gefährlichsten Steppenräuber bekannt. Bald nehmen sie ihre
Raubzüge nach Persien, bald fallen sie in russisches Gebiet ein, und bis vor
kurzem fanden sie für ihre Gefangenen, die sie als Sclaven verkauften, einen
nur zu guten Markt in Chiwa. -- Einen sehr wesentlichen Bestandtheil der >
Bevölkerung der mittelasiatischen Gebiete bilden dann die Kirgisen, welche als
Nomaden überall das gleiche Hirtenleben führen. Im Sommer halten sie sich
in den Gebirgen, im Herbst und Frühjahr in den Ebenen auf, während sie im
Winter ihre Heerden in die Röhrichte an den Flüssen und an den Seeufern
treiben. Ebenso wie die Turkmenen zu Räubereien geneigt, traten sie besonders
in den Beziehungen Rußlands zu Chiwa als ein wichtiger Factor auf. -- Ist
in deu nördlichen Gegenden des Khanats Chiwa noch das Nomadenvolk der
Karakalpaken zu nennen, so treten hauptsächlich in dem Chanat Kokain noch die


Reichen die Cherr und Visire, die Anführer der Truppen, die höchsten Beamten
der Verwaltung, wenn von einer solchen hier überhaupt die Rede sein kann, und sind
so die Stützen der despotische« Autokraten, die mehr oder weniger ihrem Ein¬
flüsse unterworfen sind, Zum Theil sind es reine Nomaden, zum Theil siud
sie ganz-, zum Theil halbangesessen. Ihre Lebensweise ist die eines Steppen-
Barbaren. Der Usbek hält es unter seiner Würde, irgend eine häusliche
Arbeit zu verrichten. Dazu hat er die vollständig zu Sclaven herabgewürdigten
Frauen. Ans diesem Grundzuge seines Charakeers erklärt sich auch sein Haß
gegen die Tadjiki — die Hauptvertreter der arischen Race in dem Hochlande
Turans —, welche, bei einem regen Hange zum Erwerben, durch ihren größeren
Reichthum leicht das Uebergewicht über die Usbeken gewinnen. Letztere belegen
die Tadjikis mit dem Namen Ssarten, was gleichbedeutend mit Spitzbube, ein
Synonymon für dieses Volk geworden ist. Der Usbeke ist ein fanatischer Maho-
medaner, der Tadjiki steht dein Islam ziemlich indifferent gegenüber. Unter¬
würfiger, gefügiger als die Usbeken, geben die Tadjikis oder Ssarten den über
die Länder herrschenden Autokraten gute Werkzeuge für die oberen Verwaltnngs-
posten ab. Sie wissen hier stets die Vortheile derselben bei Eintreibung der
Abgaben wahr zu nehmen, ohne dabei ihren eignen Gewinn etwa außer Augen
zu lassen. Wie groß aber dieser sein mag, geht daraus hervor, daß sie jene
Stellen oft sehr theuer erkaufen. Ihre Lebensweise ist überall dieselbe: sie
leben als Ackerbauer, Händler, Handwerker, Schreiber, Mullas, in den
Städten und Ortschaften. In Buchara haben die Tadjikis entschieden das
Uebergewicht über die anderen Nationalitäten. — Die Turkmenen spielen
eine sehr wichtige Rolle in dem Chanat Chiwa; weniger ist dies in Buchara
und Kvkau der Fall. Der türkischen Race angehörend, zerfallen sie in eine
Menge Stämme und führen ein reines Nomadenleben. Die Viehzucht giebt
ihnen die Existenzmittel, aber sie leben nicht bloß von dieser allein: sie sind
anch als die gefährlichsten Steppenräuber bekannt. Bald nehmen sie ihre
Raubzüge nach Persien, bald fallen sie in russisches Gebiet ein, und bis vor
kurzem fanden sie für ihre Gefangenen, die sie als Sclaven verkauften, einen
nur zu guten Markt in Chiwa. — Einen sehr wesentlichen Bestandtheil der >
Bevölkerung der mittelasiatischen Gebiete bilden dann die Kirgisen, welche als
Nomaden überall das gleiche Hirtenleben führen. Im Sommer halten sie sich
in den Gebirgen, im Herbst und Frühjahr in den Ebenen auf, während sie im
Winter ihre Heerden in die Röhrichte an den Flüssen und an den Seeufern
treiben. Ebenso wie die Turkmenen zu Räubereien geneigt, traten sie besonders
in den Beziehungen Rußlands zu Chiwa als ein wichtiger Factor auf. — Ist
in deu nördlichen Gegenden des Khanats Chiwa noch das Nomadenvolk der
Karakalpaken zu nennen, so treten hauptsächlich in dem Chanat Kokain noch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/16>, abgerufen am 03.07.2024.